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die menschliche Arbeit und Kunst oder die Ma-
schine, aber indem es in der Hand des Produ-
zenten das Mittel ist, solche produktiven Güter zu
erwerben, darf man ihm eine von diesen Gütern
gleichsam erborgte, eine quasi „instrumentale“
Fruchtbarkeit zuschreiben (Pesch, Zinsgrund 41).
„Das Geld gab nur die Verkehrsform ab, ge-
wissermaßen die Verkleidung, in der die zins-
tragenden Dinge von Hand zu Hand gingen; der
wahre „Stamm“ (Kapital) aber, der die Zinsen
trug, war nicht das Geld, sondern die für das-
selbe angeschafften Güter“ (Böhm-Bawerk, Ka-
pital und Kapitalzins II 24).
Die Verausgabung des Gelds zur Anschaffung
von Konsumgütern ist wirtschaftlich etwas anderes
als seine produktive Verwendung, da jene wenigstens
mittelbar eine Verminderung des Vermögens be-
wirkt, weil die dafür erlangten Fähigkeiten und
Kräfte nicht schlechthin wirtschaftliche Güter dar-
stellen, die einen Marktpreis besitzen; erst die Kraft-
äußerung derselben erscheint in ihrem Effekt als
Tauschware. Demnach findet bei der Konsumtion
keine unmittelbare Substitution eines wirtschaft-
lichen Werts an Stelle eines andern statt, wäh-
rend bei der produktiven Verwendung des Gelds,
in der eine Summe zur Beschaffung von Pro-
duktionsmitteln gebraucht wird, zwar ein Ver-
brauch des Gelds stattfindet, jedoch das Vermögen
nicht nur durch Substitution gleichwertiger Ob-
jekte auf demselben wertlichen Niveau belassen,
sondern sogar die konkrete und unmittelbare
Möglichkeit zur Vermehrung des Vermögens ge-
boten wird (Pesch S. 65).
Die Veränderung der wirtschaftlichen Verhält-
nisse wird vielfach bei der Beurteilung des Zins-
verbots außer acht gelassen. So findet Roscher
(Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland
(1874 8) den Grund des Zinsverbots in dem
Unverstand der Kanonisten, denen der Begriff des
Geldkapitals unfaßlich geblieben sei, und die sich
nicht über die Betrachtung der einzelnen Münzen
zu erheben vermocht hätten, die abgesehen von
ihrer Benutzung als Schaustücke usw. nach ihrer
Ansicht nur zum Kaufen bestimmt seien. Er glaubt,
daß die Wuchertheorie der Kanonisten, die sie im
Anschluß an das Wucherverbot der Kirche auf-
gestellt und entwickelt haben, jede Entwicklung des
Kredits und damit jeden Aufschwung des Wirt-
schaftslebens unterdrückt habe. Schönberg
(Handbuch der politischen Okonomie ?1 7377)
erblickt im Gegensatz zu Roscher den Grund des
Zinsverbots in der kirchlichen Auslegung der be-
kannten Bibelstellen. Schönberg muß aber selbst
zugestehen, daß auf niedriger Wirtschaftsstufe der
Völker Darlehen sehr selten zu produktiven, wesent-
lich nur zu konsumtiven Zwecken, aus Not ver-
langt würden. Hier dem Nächsten zu helfen, sei
Christenpflicht gewesen, und es sollte die Lage des
Mitmenschen nicht zu einem gewinnbringenden
Geschäft gemacht werden. Schönberg stellt es dann
freilich dar, als habe sich die Kirche nur wider-
Wucher und Zins.
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willig nach langen Kämpfen den Anforderungen
des modernen Wirtschaftslebens gefügt.
V. Perschiedene Erklärungen des Dar-
lehenzinses. Herrscht heute über die Berechtigung
des Zinses allgemeine Ubereinstimmung, so weichen
die Begründungen des rechtmäßigen Zinses
im einzelnen doch wiederum vielfach voneinander
ab. Zahlreiche Theologen erblicken den Grund der
heutigen allgemeinen Erlaubtheit des Zinses in
der infolge der veränderten wirtschaftlichen Ver-
hältnisse stets gegebenen Möglichkeit, den einen
oder andern Zinstitel, insbesondere den des durch
das Darlehen entstehenden Schadens, geltend zu
machen (Biederlack S. 35 ff, Kempel S. 73; vgl.
die Übersicht bei Funk, Wucher und Zins 121ff).
Andere wieder bestreiten, daß die Begründung
der Zinsberechtigung auf jene Titel zurückgreifen
müsse. Wenn auch das Leben längst über die
Zinsfrage entschieden hat, so ist doch die Frage
keine rein theoretische, da es sich dabei um eine zu-
reichende Rechtfertigung der heute von der Kirche
eingenommenen Stellung handelt.
Von den Titeln, mit welchen früher der Bezug
einer besondern Vergütung gerechtfertigt wurde,
kommen in Betracht der des entstehenden Schadens
und der des entgehenden Gewinns. So meint
Biederlack (S. 35): wer in einer Kulturperiode
lebe, wie in der heutigen, wo sich die Möglichkeit
biete, für sein Geld fruchttragende Gegenstände zu
erwerben, brauche dasselbe nicht umsonst einem
andern zu leihen, da ihm durch ein unverzins-
liches Darlehen ein Nutzen entginge, mithin der
titulus lucri cessantis vorhanden sei. Und
wenn er auch gerade in dem Augenblick, wo er
um ein Geldanlehen ersucht werde, keine Möglich-
keit sehe, das Geld gegen einen nutzbringenden
Gegenstand auszutauschen, so könne er doch mit
Grund annehmen, während der Darlehensfrist in
diese Lage zu kommen; durch das unentgeltliche
Darlehen ginge ihm wenigstens die Hoffnung
verloren, in erlaubter Weise sein Vermögen ver-
mittelst des Geldes zu vermehren.
Nun ist die Möglichkeit einer fruchtbringenden
Verwertung des Gelds heute gewiß vielfach vor-
handen; fraglich bleibt trotzdem die Zulässigkeit
der Interessentheorie. Denn sie erweitert den
Geltungsbereich des entgehenden Gewinns über
die ihm im Sinn der alten Theologen gesteckten
Schranken. Damit der Titel des lucrum cessans,
dem man lange sehr mißtrauisch gegenüberstand,
ein Recht auf Vergütung gewähre, war gefordert,
daß nicht die bloße abstrakte Möglichkeit eines
Gewinns gegeben sei, sondern daß der Gläubiger
durch das Darlehen wirklich verhindert war, seiner
tatsächlich vorhandenen, nicht bloß fingierten Ab-
sicht gemäß, von der objektiv ihm gebotenen Mög-
lichkeit anderweitiger gewinnbringender Verwen-
dung seines Gelds selbst Gebrauch zu machen.
Der Gewinn war mithin etwas individuell Be-
stimmtes, gerade durch diesen Gläubiger und diese
Verwendung Bedingtes, während die neuere