Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Zins ist nicht ein Ersatz für den individuell ver- 
schiedenen Gewinn, sondern ein Preis, der auf 
allgemeine Tatsachen des Markts sich stützt, „eben- 
so unabhängig von individuellen Rücksichten, wie 
jeder Ersatz an das Individuum sich anlehnt“ 
(Pesch, Zinsgrund 53). 
Der tiefere Grund der heutigen Zinserlaubnis 
liegt darum nicht so sehr im Titel des lucrum 
cessans als vielmehr in einer Teilnahme des 
Gelds an der Produktivität der Ka- 
pitalgüter. Das Darlehen bildet nur mehr 
die Vertragsform für das Kapitalgeschäft. Der 
Titel mußte in seiner Existenz jedesmal erwiesen 
werden und ließ das Wesen des Darlehens als 
eines unentgeltlichen Vertrags unberührt; die 
Produktivität ist eine dem Kapital wesentlich in- 
härente Eigenschaft. Bleibt man auf dem Inter- 
essentitel stehen, so sieht man sich zu einer Er- 
weiterung der Rechtskraft des ursprünglichen 
Titels und zur Unterscheidung von äußern oder 
zufälligen Zinstiteln genötigt, welche bloß zu- 
weilen und unter besondern Umständen vorliegen, 
deshalb in jedem einzelnen Fall nachgewiesen 
werden müssen, und innern oder allgemeinen, 
die allgemein vorhanden sind, deshalb im einzelnen 
Fall keines Beweises bedürfen, sondern präsumiert 
werden (Cathrein II). Aber mit der Annahme 
innerer Zinstitel wird der Boden, auf dem die 
alte Interessentheorie erwachsen war, verlassen, die 
von der absoluten Unproduktivität des Gelds aus- 
ging. Ein innerer Zinstitel ist ein Widerspruch 
in sich. Wo der Zins innerlich gerechtfertigt ist, 
da bedarf es keines Zinstitels zur Rechtfertigung. 
Auch der heutige, von der Kirche nicht beanstandete 
Zins hat seinen Rechtsgrund nicht eigentlich im 
Darlehen, sondern in den äußern wechselnden 
Wirtschaftsverhältnissen, in einem dem Darlehen 
als solchem nicht wesentlichen Nebenumstand 
(Pesch S. 60). Wollte man den Titel des ent- 
gehenden Gewinns entgegen der ursprünglichen 
Auffassung, die ein bestimmtes in Aussicht ge- 
nommenes Geschäft als seine Voraussetzung for- 
derte, ganz allgemein als vollgültigen Titel gelten 
lassen, so nimmt man stillschweigend die Produk- 
tivität des Gelddarlehens an und gerät so in 
Widerspruch mit der Grundlage der Zinstitel- 
theorie, der Unfruchtbarkeit des Gelds. Beide 
schließen sich gegenseitig aus (Funk, Wucher 128). 
Dagegen ist es berechtigt, im Gegensatz zur mittel- 
alterlichen Wirtschaft, die nur besondere Titel 
kannte, von einem allgemeinen, dem Darlehen je- 
doch äußerlichen Titel zu sprechen, der eben in 
der durch die Kreditleistung gewährten realen 
Möglichkeit produktiver Verwertung gelegen ist 
(Pesch S. 72). Deswegen haben die alten 
Zinstitel jedoch keineswegs alle Bedeutung ein- 
gebüßt; auch heute werden Risiko, Schaden, 
Gewinnentgang noch oft einen Anspruch auf ein 
Aquivalent begründen; die allgemeine heutige 
Zinserlaubnis vermögen sie indes nicht zu be- 
gründen. (Sie sind gerade mit Bezug auf die 
Wucher und Zins. 
  
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heutigen Verhältnisse sehr eingehend besprochen 
bei Pesch a. a. O. 404 ff.) 
Andere glaubten die Stellung der Kirche und 
die heutige Erlaubtheit des Zinses mit der Unter- 
scheidung des Konsumtiv- und Prod uktiv- 
darlehens begründen zu können. Es komme 
auf den Zweck an, dem das Darlehen zu dienen 
habe, wenn es sich um die Berechtigung des 
Zinses handle (Linsenmann S. 559). So äußert 
sich Funk (Wucher und Zins 29), beim Konsum- 
tivdarlehen verstoße ein Gewinn gegen die Sitt- 
lichkeit, und zwar in demselben Maß, in welchem 
die Not des einen der Grund des Gewinns des 
andern sei, während sich beim Produktivdarlehen 
an dem Zins als einer entsprechenden Teilnahme 
an dem Gewinn, der nur durch das Darlehen er- 
möglicht sei, nichts Anstößiges finde. Indessen 
spricht gegen diese Unterscheidung, daß die Kirche 
den Zins vom Darlehen überhaupt, diene es der 
Produktion oder Konsumtion, verboten und daß 
Benedikt XIV. in der Enzyklika Vix pervenit 
vom Jahr 1745 ausdrücklich auch den Zins vom 
Produktivdarlehen für unerlaubt erklärt hat. 
Die Möglichkeit, daß der Schuldner mit dem 
Darlehen sich bereichere, gewährt dem Gläubiger 
an sich noch kein Recht zu einer Mehrforderung, 
solange die Möglichkeit einer produktiven Wert- 
erzeugung lediglich den individuellen und kon- 
kreten Verhältnissen des Schuldners zuzuschreiben 
ist und keinen vom Gläubiger geleisteten Wert 
darstellt. Der Schuldner ist Eigentümer der 
Darlehenssumme, und die Früchte, die er damit 
zu erzielen vermag, gehören ihm. Nur wenn der 
Gläubiger in einer ähnlichen Lage gewesen wäre 
und zugunsten des Schuldners auf eine gewinn- 
bringende Verwendung seines Gelds verzichtet 
hätte, wäre er zur Forderung des Ersatzes berech- 
tigt. Ratzinger (S. 269 ff) bekämpft obige Unter- 
scheidung aus dem Grund, weil in Wirklichkeit 
sich zwischen Konsumtiv= und Produktivdarlehen 
nicht unterscheiden lasse. Die Konsumtion sei 
Zweck und Blüte der Produktion; das konsumierte 
Gut verschwinde keineswegs, sondern setze sich in 
Arbeitskraft um und erzeuge so Mehrwert. Dieser 
Einwand verkennt jedoch den oben dargelegten 
Unterschied, der zwischen der konsumtiven und pro- 
duktiven Verwendung des Gelds für den Ver- 
mögensstand besteht. 
Solange die Möglichkeit der Gewinnziehung 
durch produktive Verwendung des Gelds nur die 
Bedeutung eines individuellen Gebrauchswerts 
für den Schuldner besitzt, insofern die Einführung 
des Gelds in Kapitalsunktion noch selten ist, hat 
der Gläubiger kein Aquivalent für diese Möglich- 
keit zu beanspruchen. Dies ist erst dann der Fall, 
wenn durch den Ubergang zu einer andern Wirt- 
schaftsstufe die Kapitalfunktion objektiv zur vor- 
herrschenden Verwendung des Geldvorrats ge- 
worden, der Übergang vom rein individuellen Ge- 
brauchswert zum Tauschwert vollzogen ist (Pesch, 
Zinsgrund 70). Da der Zins heutzutage den
	        
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