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Zins ist nicht ein Ersatz für den individuell ver-
schiedenen Gewinn, sondern ein Preis, der auf
allgemeine Tatsachen des Markts sich stützt, „eben-
so unabhängig von individuellen Rücksichten, wie
jeder Ersatz an das Individuum sich anlehnt“
(Pesch, Zinsgrund 53).
Der tiefere Grund der heutigen Zinserlaubnis
liegt darum nicht so sehr im Titel des lucrum
cessans als vielmehr in einer Teilnahme des
Gelds an der Produktivität der Ka-
pitalgüter. Das Darlehen bildet nur mehr
die Vertragsform für das Kapitalgeschäft. Der
Titel mußte in seiner Existenz jedesmal erwiesen
werden und ließ das Wesen des Darlehens als
eines unentgeltlichen Vertrags unberührt; die
Produktivität ist eine dem Kapital wesentlich in-
härente Eigenschaft. Bleibt man auf dem Inter-
essentitel stehen, so sieht man sich zu einer Er-
weiterung der Rechtskraft des ursprünglichen
Titels und zur Unterscheidung von äußern oder
zufälligen Zinstiteln genötigt, welche bloß zu-
weilen und unter besondern Umständen vorliegen,
deshalb in jedem einzelnen Fall nachgewiesen
werden müssen, und innern oder allgemeinen,
die allgemein vorhanden sind, deshalb im einzelnen
Fall keines Beweises bedürfen, sondern präsumiert
werden (Cathrein II). Aber mit der Annahme
innerer Zinstitel wird der Boden, auf dem die
alte Interessentheorie erwachsen war, verlassen, die
von der absoluten Unproduktivität des Gelds aus-
ging. Ein innerer Zinstitel ist ein Widerspruch
in sich. Wo der Zins innerlich gerechtfertigt ist,
da bedarf es keines Zinstitels zur Rechtfertigung.
Auch der heutige, von der Kirche nicht beanstandete
Zins hat seinen Rechtsgrund nicht eigentlich im
Darlehen, sondern in den äußern wechselnden
Wirtschaftsverhältnissen, in einem dem Darlehen
als solchem nicht wesentlichen Nebenumstand
(Pesch S. 60). Wollte man den Titel des ent-
gehenden Gewinns entgegen der ursprünglichen
Auffassung, die ein bestimmtes in Aussicht ge-
nommenes Geschäft als seine Voraussetzung for-
derte, ganz allgemein als vollgültigen Titel gelten
lassen, so nimmt man stillschweigend die Produk-
tivität des Gelddarlehens an und gerät so in
Widerspruch mit der Grundlage der Zinstitel-
theorie, der Unfruchtbarkeit des Gelds. Beide
schließen sich gegenseitig aus (Funk, Wucher 128).
Dagegen ist es berechtigt, im Gegensatz zur mittel-
alterlichen Wirtschaft, die nur besondere Titel
kannte, von einem allgemeinen, dem Darlehen je-
doch äußerlichen Titel zu sprechen, der eben in
der durch die Kreditleistung gewährten realen
Möglichkeit produktiver Verwertung gelegen ist
(Pesch S. 72). Deswegen haben die alten
Zinstitel jedoch keineswegs alle Bedeutung ein-
gebüßt; auch heute werden Risiko, Schaden,
Gewinnentgang noch oft einen Anspruch auf ein
Aquivalent begründen; die allgemeine heutige
Zinserlaubnis vermögen sie indes nicht zu be-
gründen. (Sie sind gerade mit Bezug auf die
Wucher und Zins.
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heutigen Verhältnisse sehr eingehend besprochen
bei Pesch a. a. O. 404 ff.)
Andere glaubten die Stellung der Kirche und
die heutige Erlaubtheit des Zinses mit der Unter-
scheidung des Konsumtiv- und Prod uktiv-
darlehens begründen zu können. Es komme
auf den Zweck an, dem das Darlehen zu dienen
habe, wenn es sich um die Berechtigung des
Zinses handle (Linsenmann S. 559). So äußert
sich Funk (Wucher und Zins 29), beim Konsum-
tivdarlehen verstoße ein Gewinn gegen die Sitt-
lichkeit, und zwar in demselben Maß, in welchem
die Not des einen der Grund des Gewinns des
andern sei, während sich beim Produktivdarlehen
an dem Zins als einer entsprechenden Teilnahme
an dem Gewinn, der nur durch das Darlehen er-
möglicht sei, nichts Anstößiges finde. Indessen
spricht gegen diese Unterscheidung, daß die Kirche
den Zins vom Darlehen überhaupt, diene es der
Produktion oder Konsumtion, verboten und daß
Benedikt XIV. in der Enzyklika Vix pervenit
vom Jahr 1745 ausdrücklich auch den Zins vom
Produktivdarlehen für unerlaubt erklärt hat.
Die Möglichkeit, daß der Schuldner mit dem
Darlehen sich bereichere, gewährt dem Gläubiger
an sich noch kein Recht zu einer Mehrforderung,
solange die Möglichkeit einer produktiven Wert-
erzeugung lediglich den individuellen und kon-
kreten Verhältnissen des Schuldners zuzuschreiben
ist und keinen vom Gläubiger geleisteten Wert
darstellt. Der Schuldner ist Eigentümer der
Darlehenssumme, und die Früchte, die er damit
zu erzielen vermag, gehören ihm. Nur wenn der
Gläubiger in einer ähnlichen Lage gewesen wäre
und zugunsten des Schuldners auf eine gewinn-
bringende Verwendung seines Gelds verzichtet
hätte, wäre er zur Forderung des Ersatzes berech-
tigt. Ratzinger (S. 269 ff) bekämpft obige Unter-
scheidung aus dem Grund, weil in Wirklichkeit
sich zwischen Konsumtiv= und Produktivdarlehen
nicht unterscheiden lasse. Die Konsumtion sei
Zweck und Blüte der Produktion; das konsumierte
Gut verschwinde keineswegs, sondern setze sich in
Arbeitskraft um und erzeuge so Mehrwert. Dieser
Einwand verkennt jedoch den oben dargelegten
Unterschied, der zwischen der konsumtiven und pro-
duktiven Verwendung des Gelds für den Ver-
mögensstand besteht.
Solange die Möglichkeit der Gewinnziehung
durch produktive Verwendung des Gelds nur die
Bedeutung eines individuellen Gebrauchswerts
für den Schuldner besitzt, insofern die Einführung
des Gelds in Kapitalsunktion noch selten ist, hat
der Gläubiger kein Aquivalent für diese Möglich-
keit zu beanspruchen. Dies ist erst dann der Fall,
wenn durch den Ubergang zu einer andern Wirt-
schaftsstufe die Kapitalfunktion objektiv zur vor-
herrschenden Verwendung des Geldvorrats ge-
worden, der Übergang vom rein individuellen Ge-
brauchswert zum Tauschwert vollzogen ist (Pesch,
Zinsgrund 70). Da der Zins heutzutage den