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rechtssetzenden Organen einer bestimmten Zeit als
auch zwischen denen verschiedener Epochen diffe-
rierten die Ansichten über die der Staatsverwal-
tung zuzuweisenden Tätigkeitsgebiete auch in grund-
sätzlicher Hinsicht. So hing man früher sehr all-
gemein der Idee des Rechtsstaats an, eines Staats,
der lediglich für die Beobachtung der von ihm für
die Allgemeinheit gesetzten Normen sorgte, sich aber
im übrigen um das Wohl und Wehe seiner Unter-
tanen nicht kümmerte, sondern die Weiterentwick-
lung der Verhältnisse und den Ausgleich der ein-
ander widerstreitenden Interessen dem freien Spiel
der wirtschaftlichen Kräfte überließ und nur bei
unmittelbarer Gefährdung seiner eignen Existenz
in dieses eingriff. Der moderne Staat hat diese
Indifferenz gegenüber einem großen Teil der von
seinen Gliedern erstrebten ideellen und materiellen
Güter, die auf der einen schrankenlosen Indivi-
dualismus verfechtenden manchesterlichen Theorie
beruhte, in der Erkenntnis aufgegeben, daß die
Förderung vieler wirtschaftlicher und geistiger Be-
strebungen durch seine mit entsprechenden Kompe-
tenzen auszustattenden Organe in höherem Maß
gewährleistet ist, als wenn sie privater Tätig-
keit überlassen bleibt. Er widmet sich daher Auf-
gaben, welche mit dem Gehorsam oder Ungehorsam
seiner Glieder gegenüber den allgemeinen Rechts-
normen und der Befolgung oder Nichtbefolgung
der besondern Amtspflichten anderer rechtsaus-
führender Organe in keinem Zusammenhang
stehen, durch die also die Beamten nicht mensch-
liche Willensbetätigungen zu überwachen und zu
erzwingen bzw. Lohn und Strafe dafür auszu-
teilen haben. Auf diesem Gebiet kann sich die
eigentlich positiv fördernde Tätigkeit der Rechts-
gemeinschaft voll entfalten. Zwar dient auch der
Erlaß der allgemeinen Rechtsnormen nicht nur
der Möglichkeit einer Existenz zusammenlebender
Menschen, sondern auch einer möglichst gedeihlichen
Existenz der einzelnen Glieder. Aber Rechts-
normen, welche nur dem Zweck der Befolgung
jener Vorschriften dienen, und die sich daher im
Fall ihrer freiwilligen Befolgung erübrigten, haben
als solche — sofern man sie unabhängig von jenem
allgemeinen Recht betrachtet — keinen positiv för-
dernden Zweck und nur im Zusammenhang mit
dem allgemeinen Recht den von diesem verfolgten
Förderungszweck.
Auf dem Gebiet der innern Verwaltung aber,
dem der „npositiv fördernden Staatstätigkeit",
bieten die neu im Staatsleben hervortretenden
Bedürfnisse der Staatstätigkeit immer neue Ob-
jekte. Allerdings muß, wenn nach objektivem —
gesetztem oder Gewohnheits= — Recht die Kom-
petenz der Verwaltungsorgane nicht derart all-
gemein bestimmt ist, daß die Ordnung der neuen
Verhältnisse in ihre Zuständigkeit fällt, der Bil-
dung des neuen Verwaltungszweigs eine Ent-
stehung objektiven Rechts, die sich allerdings oft
gewohnheitsrechtlich vollzieht, vorhergehen. Ein
Beispiel aus neuestem deutschem Recht ist die
Staatsverwaltung usw.
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Staatsverwaltung auf dem Gebiet des Fremden-
verkehrs und des Naturschutzes. Das gegenseitige
Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsschichten,
das die modernen Kulturstaaten in weitgehendem
Maß in den Kreis ihrer Tätigkeitsobjekte hinein-
gezogen haben, hat zu einer eminenten Fort-
entwicklung des Rechts auf dem Gebiet der Staats-
verwaltung geführt. Das gleiche gilt von der
Weiter eentwicklung der Verwaltung der mo-
dernen Kulturstaaten in Bezug auf die Erhaltung
und Beförderung der körperlichen Gesundheit, die
geistige und sittliche Ausbildung, sowie die spezi-
sisch wirtschaftlichen Handlungen der Staats-
verwaltungsorgane, denen der Aufschwung der
Naturwissenschaften und der Technik in besonderer
Weise zugute gekommen ist.
Ein Bestandteil der innern Verwaltung in dem
erwähnten Sinn ist diejenige Staatstätigkeit,
welche auf die Abhaltung von Gefährdungen der
einzelnen Staatsglieder gerichtet ist („Sicher-
heitspolizei“ im Gegensatz zu der positiven Seite
der innern Staatsverwaltung, der „Wohlfahrts-
polizei“; vgl. auch d. Art. Polizei). Allerdings
läßt sich eine begrifflich scharfe Grenze zwischen
beiden Tätigkeitsarten nicht ziehen. Denn auch
die Abwendung von Gefahren fördert die Wohl-
fahrt der bisher Gefährdeten, und die Förderung
der berechtigten Interessen der Staatsglieder ver-
hütet es, daß diesen Abbruch geschieht. Beide Be-
griffe sind ebenso relativ wie die der Verhütung
von Krankheiten und der Förderung der Gesund-
heit eines Menschen. Die polizeiliche Tätigkeit ist
daher Bestandteil einer jeden Staatsverwaltung,
da eine jede positiv die Förderung und negativ
die Verhütung von Gefährdungen der Staats-
glieder bezweckt. — Auch die Frage, wieweit der
Staat seine verwaltungspolizeiliche Staatsgewalt
zur Realisierung seiner Verwaltungszwecke an-
wenden soll, ist für einzelne gegebene Verhältnisse
oft schwer zu beantworten. Der Wesenheit des
Menschen als einer denkenden und wollenden
Person entspricht es im Prinzip, wenn ihm Wohl-
taten nicht ausgedrungen, sondern nur mit seiner
Zustimmung oder so zugewendet werden, daß er
selbst freiwillig die zu ihrer Erlangung notwen-
digen Schritte tut. Denn erst, wenn er sie als
solche erkannt hat, stellen sie auch tatsächlich für
ihn Wohltaten dar. Wie freilich auf dem Gebiet
der Erziehung die bessere Einsicht den widerstreben-
den Willen des Kindes zu seinem eignen Besten
zwingt, so setzt sich auch im Rechtsleben die Über-
zeugung der Einsichtigsten gegenüber rückständigen
Anschauungen in der Weise durch, daß den Rechts-
genossen auch ohne, ja gegen ihren Willen ge-
wisse Güter zugewendet werden. Oft gelingt es
allerdings auch den im Staat herrschenden Klassen,
ihr Privatinteresse zum Staatsinteresse zu stem-
peln und die übrige Bevölkerung dadurch ihren
Zwecken dienstbar zu machen.
6. Arten der „obrigkeitlichen“ Staats-
verwaltung. Unter denjenigen Verwaltungs-