Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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rechtssetzenden Organen einer bestimmten Zeit als 
auch zwischen denen verschiedener Epochen diffe- 
rierten die Ansichten über die der Staatsverwal- 
tung zuzuweisenden Tätigkeitsgebiete auch in grund- 
sätzlicher Hinsicht. So hing man früher sehr all- 
gemein der Idee des Rechtsstaats an, eines Staats, 
der lediglich für die Beobachtung der von ihm für 
die Allgemeinheit gesetzten Normen sorgte, sich aber 
im übrigen um das Wohl und Wehe seiner Unter- 
tanen nicht kümmerte, sondern die Weiterentwick- 
lung der Verhältnisse und den Ausgleich der ein- 
ander widerstreitenden Interessen dem freien Spiel 
der wirtschaftlichen Kräfte überließ und nur bei 
unmittelbarer Gefährdung seiner eignen Existenz 
in dieses eingriff. Der moderne Staat hat diese 
Indifferenz gegenüber einem großen Teil der von 
seinen Gliedern erstrebten ideellen und materiellen 
Güter, die auf der einen schrankenlosen Indivi- 
dualismus verfechtenden manchesterlichen Theorie 
beruhte, in der Erkenntnis aufgegeben, daß die 
Förderung vieler wirtschaftlicher und geistiger Be- 
strebungen durch seine mit entsprechenden Kompe- 
tenzen auszustattenden Organe in höherem Maß 
gewährleistet ist, als wenn sie privater Tätig- 
keit überlassen bleibt. Er widmet sich daher Auf- 
gaben, welche mit dem Gehorsam oder Ungehorsam 
seiner Glieder gegenüber den allgemeinen Rechts- 
normen und der Befolgung oder Nichtbefolgung 
der besondern Amtspflichten anderer rechtsaus- 
führender Organe in keinem Zusammenhang 
stehen, durch die also die Beamten nicht mensch- 
liche Willensbetätigungen zu überwachen und zu 
erzwingen bzw. Lohn und Strafe dafür auszu- 
teilen haben. Auf diesem Gebiet kann sich die 
eigentlich positiv fördernde Tätigkeit der Rechts- 
gemeinschaft voll entfalten. Zwar dient auch der 
Erlaß der allgemeinen Rechtsnormen nicht nur 
der Möglichkeit einer Existenz zusammenlebender 
Menschen, sondern auch einer möglichst gedeihlichen 
Existenz der einzelnen Glieder. Aber Rechts- 
normen, welche nur dem Zweck der Befolgung 
jener Vorschriften dienen, und die sich daher im 
Fall ihrer freiwilligen Befolgung erübrigten, haben 
als solche — sofern man sie unabhängig von jenem 
allgemeinen Recht betrachtet — keinen positiv för- 
dernden Zweck und nur im Zusammenhang mit 
dem allgemeinen Recht den von diesem verfolgten 
Förderungszweck. 
Auf dem Gebiet der innern Verwaltung aber, 
dem der „npositiv fördernden Staatstätigkeit", 
bieten die neu im Staatsleben hervortretenden 
Bedürfnisse der Staatstätigkeit immer neue Ob- 
jekte. Allerdings muß, wenn nach objektivem — 
gesetztem oder Gewohnheits= — Recht die Kom- 
petenz der Verwaltungsorgane nicht derart all- 
gemein bestimmt ist, daß die Ordnung der neuen 
Verhältnisse in ihre Zuständigkeit fällt, der Bil- 
dung des neuen Verwaltungszweigs eine Ent- 
stehung objektiven Rechts, die sich allerdings oft 
gewohnheitsrechtlich vollzieht, vorhergehen. Ein 
Beispiel aus neuestem deutschem Recht ist die 
Staatsverwaltung usw. 
  
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Staatsverwaltung auf dem Gebiet des Fremden- 
verkehrs und des Naturschutzes. Das gegenseitige 
Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsschichten, 
das die modernen Kulturstaaten in weitgehendem 
Maß in den Kreis ihrer Tätigkeitsobjekte hinein- 
gezogen haben, hat zu einer eminenten Fort- 
entwicklung des Rechts auf dem Gebiet der Staats- 
verwaltung geführt. Das gleiche gilt von der 
Weiter eentwicklung der Verwaltung der mo- 
dernen Kulturstaaten in Bezug auf die Erhaltung 
und Beförderung der körperlichen Gesundheit, die 
geistige und sittliche Ausbildung, sowie die spezi- 
sisch wirtschaftlichen Handlungen der Staats- 
verwaltungsorgane, denen der Aufschwung der 
Naturwissenschaften und der Technik in besonderer 
Weise zugute gekommen ist. 
Ein Bestandteil der innern Verwaltung in dem 
erwähnten Sinn ist diejenige Staatstätigkeit, 
welche auf die Abhaltung von Gefährdungen der 
einzelnen Staatsglieder gerichtet ist („Sicher- 
heitspolizei“ im Gegensatz zu der positiven Seite 
der innern Staatsverwaltung, der „Wohlfahrts- 
polizei“; vgl. auch d. Art. Polizei). Allerdings 
läßt sich eine begrifflich scharfe Grenze zwischen 
beiden Tätigkeitsarten nicht ziehen. Denn auch 
die Abwendung von Gefahren fördert die Wohl- 
fahrt der bisher Gefährdeten, und die Förderung 
der berechtigten Interessen der Staatsglieder ver- 
hütet es, daß diesen Abbruch geschieht. Beide Be- 
griffe sind ebenso relativ wie die der Verhütung 
von Krankheiten und der Förderung der Gesund- 
heit eines Menschen. Die polizeiliche Tätigkeit ist 
daher Bestandteil einer jeden Staatsverwaltung, 
da eine jede positiv die Förderung und negativ 
die Verhütung von Gefährdungen der Staats- 
glieder bezweckt. — Auch die Frage, wieweit der 
Staat seine verwaltungspolizeiliche Staatsgewalt 
zur Realisierung seiner Verwaltungszwecke an- 
wenden soll, ist für einzelne gegebene Verhältnisse 
oft schwer zu beantworten. Der Wesenheit des 
Menschen als einer denkenden und wollenden 
Person entspricht es im Prinzip, wenn ihm Wohl- 
taten nicht ausgedrungen, sondern nur mit seiner 
Zustimmung oder so zugewendet werden, daß er 
selbst freiwillig die zu ihrer Erlangung notwen- 
digen Schritte tut. Denn erst, wenn er sie als 
solche erkannt hat, stellen sie auch tatsächlich für 
ihn Wohltaten dar. Wie freilich auf dem Gebiet 
der Erziehung die bessere Einsicht den widerstreben- 
den Willen des Kindes zu seinem eignen Besten 
zwingt, so setzt sich auch im Rechtsleben die Über- 
zeugung der Einsichtigsten gegenüber rückständigen 
Anschauungen in der Weise durch, daß den Rechts- 
genossen auch ohne, ja gegen ihren Willen ge- 
wisse Güter zugewendet werden. Oft gelingt es 
allerdings auch den im Staat herrschenden Klassen, 
ihr Privatinteresse zum Staatsinteresse zu stem- 
peln und die übrige Bevölkerung dadurch ihren 
Zwecken dienstbar zu machen. 
6. Arten der „obrigkeitlichen“ Staats- 
verwaltung. Unter denjenigen Verwaltungs-
	        
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