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Für andere Religionsgenossenschaften gilt das
Gesetz vom 9. April 1872 über die religiösen
Dissidentenvereine; die Bildung solcher ist von
keiner staatlichen Genehmigung abhängig.
VI. Ankerrichtswesen. Für das Volksschul-
wesen grundlegend ist das Gesetz vom 29. Sept.
1836. Unterm 17. Aug. 1909 wurden verschie-
dene Bestimmungen dieses Gesetzes abgeändert
und der Wortlaut des Gesetzes von 1836 in Ver-
bindung mit den früheren und neuesten Ande-
rungen als Volksschulgesetz vom 17. Aug. 1909
bekannt gegeben. Zweck der Volksschule ist reli-
giös-sittliche Bildung und Unterweisung der Ju-
gend in den für das bürgerliche Leben nötigen
allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten. Gegen-
stände des Unterrichts sind: Religions= und Sitten-
lehre, deutsche Sprache mit Lesen und Schreiben,
Rechnen und Raumlehre, Geschichte, Erd= und
Naturkunde, Singen und Zeichnen, für die Knaben
Turnen, für die Mädchen einfache Leibesübungen,
ferner weibliche Handarbeit; hierzu kommt in den
gehobenen Volksschulen (Mittelschulen) der Unter-
richt in einer fremden Sprache. Zum Besuch des
Religionsunterrichts kann ein Kind, das keiner
Religionsgemeinschaft oder einer solchen angehört,
für welche Religionsunterricht nicht erteilt wird,
gegen den Willen des Vaters oder sonstiger Er-
ziehungsberechtigter nicht angehalten werden. Wei-
tere Lehrfächer können eingeführt werden, für
Knaben Handfertigkeitsunterricht, für Mädchen
Turnen und Haushaltungskunde. Ebenso können
Württemberg.
für Kinder, deren Veranlagung besondere Fürsorge
nötig macht, Hilfsschulen mit vereinfachten Unter- 1
richtszielen errichtet werden. Hierüber beschließen)
die örtlichen Organe mit Genehmigung des Ober-
schulrats. Der Religionsunterricht ist in allen
Volksschulen, soweit nicht in besondern Fällen der
Oberschulrat etwas anderes anordnet, unter an-
gemessener Teilnahme der Lehrer von den Orts-
geistlichen zu erteilen. Eine Fortsetzung der Volks-
schulen bilden die allgemeinen Fortbildungsschulen
und die Sonntagsschulen mit Unterrichtsgegen-
ständen, die für das bürgerliche Leben von Nutzen
sind. Die Verbindlichkeit zum Besuch der Volks-
schule erstreckt sich auf die Kinder aller Staats-
angehörigen, soweit sie nicht eine höhere Schule
besuchen oder höheren, sich nicht auf die Unter-
richtsgegenstände der Volksschule beschränkenden
Privatunterricht erhalten. Die Schulpflicht be-
ginnt im 7. und endigt für die Regel im 14. Lebens- .
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jenige der eignen Konfession besucht werden. Wenn
für die Minderzahl einer Konfession eine eigne
Schule nicht besteht, so haben die Eltern die Wahl,
ob sie ihre Kinder in die Volksschule ihres Wohn-
orts oder in eine benachbarte Schule ihrer Kon-
fession schicken wollen; ein Wahlrecht findet nicht
statt, wenn die Schule über 4 km entfernt ist,
außer es wäre nachgewiesen, daß die Kinder die
entferntere Schule ohne Nachteil für die Gesund-
heit und den allgemeinen Schulzweck besuchen
können. Wenn in Orten mit verschiedenen Glau-
bensbekenntnissen Mittel= und Hilfsschulen von
den Angehörigen der Mehrzahl errichtet sind, steht
es den Angehörigen der Minderheitskonfession
frei, ihre Kinder in diese zu schicken, solange nicht
für sie solche Einrichtungen getroffen sind. Ferner
sind Mittelschulen und Hilfsschulen, welche nicht
auf die Angehörigen eines Bekenntnisses beschränkt
sind, zulässig. Die Strafe für ungerechtfertigte
Schulversäumnisse beträgt 50 Pfg, bei schwereren
Fällen und Wiederholung innerhalb Jahresfrist
bis zu 20 JM.N Die Errichtung neuer, die Auf-
hebung bestehender Volksschulen, die Abänderung
von Schulbezirken findet mit Genehmigung des
Oberschulrats statt. Jede Gemeinde und jeder
Teilort mit wenigstens 30 Familien muß eine
Volksschule für sich oder mit andern, nicht über
4 km entfernten Orten unterhalten. Orte mit
weniger als 30 Familien sind mit einem benach-
barten Ort zu einer gemeinschaftlichen Volks-
schule zu vereinigen; bei Entfernung von über
4 km kann vom Oberschulrat auch bei 15 Fa-
milien die Errichtung einer Volksschule angeordnet
werden. Wenn in Orten, wo Einwohner ver-
schiedener Glaubensbekenntnisse ansässig sind, die
Minderzahl wenigstens 60 Familien begreift,
welche einer direkten Staats- oder einer direkten
Gemeindesteuer unterliegen, so können sie, wenn
die Mehrheit der beteiligten Familienhäupter es
wünscht, die Errichtung und Erhaltung einer eignen
Volksschule ihrer Konfession aus örtlichen Mitteln
ansprechen (dagegen nicht mehr, wenn die Zahl
dauernd unter 60 sinkt). Für die nötigen Schul-
zimmer, Gerätschaften, Lehrmittel, eine Bücher-
sammlung und das Heizen hat die Gemeinde zu
sorgen. Die Kosten sind den Stiftungen und be-
sondern Einnahmen für Schulzwecke zu entnehmen;
wo diese nicht zureichen, aus Gemeindemitteln zu
bestreiten und nötigenfalls durch Umlage nach dem
Steuerfuß zu beschaffen. Schulgeld von 1 bis 3 Al,
jahr; die örtliche Ausdehnung der Schulpflicht in Mittelschulen bis 24 M darf von den Ge-
auf 8 Jahre ist zulässig. Auch im 6. Lebensjahr meinden erhoben werden. Kinder unbemittelter
können Kinder in die Schule geschickt werden, Eltern sind vom Schulgeld frei zu lassen und mit
wenn sie gehörig entwickelt sind und in5 Monaten Lehrmitteln zu versehen. Den aus öffentlichen
nach der Aufnahme das 6. Lebensjahr vollenden. Mitteln unterhaltenen Volksschulen fließen als
Jedes Kind kann die Schule nach Erfüllung der besondere Einnahmen zu: ein jährlicher Beitrag
Schulpflicht noch ein weiteres Jahr besuchen; für 1 aus den örtlichen Kassen (50 Pf. wenigstens für
solche Kinder, die ungenügende Kenntnisse zeigen, 1 jeden Schüler), die Strafgelder von Schulver-
kann die Dauer der Schulpflicht um 1—2 Jahre
verlängert werden. Es muß die Schule des Wohn-
orts bzw. Aufenthaltsorts der Eltern und die-
säumnissen, das aus örtlichen Mitteln fließende
Einkommen jeder erledigten ständigen Lehrstelle,
soweit es die Amtsverwesereikosten übersteigt. Diese