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sitiv fördernde Tätigkeit im gebräuchlichen staats-
rechtlichen Sinn ausüben würde, müßte er trotz-
dem eine Zuständigkeit zu Amtshandlungen
schaffen, die nicht richterliche Tätigkeit sind, näm-
lich zum mindesten die Kompetenz zur Besetzung
der Richterstellen. Wenn man den umgekehrten
Zustand, bei dem also der Staat abgesehen von
Normen für die Allgemeinheit nur solche Rechts-
sätze schaffen würde, die eine Zuständigkeit der zu
berufenden Organe lediglich zu positiv fördernder
Tätigkeit schaffen würden, bei dem also richter-
liche Kompetenzen vollständig fehlen würden, theo-
retisch konstruiert — praktisch kommt allerdings
in den Anfängen der Rechtsentwicklung stets der
dem ersterwähnteun ähnliche Zustand vor, eine po-
sitiv fördernde Staatstätigkeit entfaltet sich neben
der richterlichen nur sehr langsam —, so wäre in
diesem das Fehlen jeder Richterfunktion zwar lo-
gisch denkbar, aber es ist praktisch ausgeschlossen.
Es müßte übergeordnete Organe geben, welche
bezüglich der Amtspflichterfüllung der untergeord-
neten richten müßten, es wären richterliche Ent-
scheidungen gegenüber Privaten in Bezug auf die
diesen im Hinblick auf die positiv fördernde Staats-
tätigkeit obliegenden Pflichten (Unterlassung von
Widerstand, positive Mitwirkung) erforderlich. Da
alles menschliche Handeln in seinem innern Wesen
nur teleologisch zu erklären ist, so ergibt sich für
die richterliche Staatsfunktion im Zusammenhang
mit den übrigen Rechtsausführungsakten, daß sie, da
sie gleich diesen die Ausführung gesetzten Beamten-
rechts bezweckt, ihrem Wesen nach ebenso zu be-
urteilen ist wie diese, zumal die nicht richterlichen
Handlungen, die der Richter zum Zweck der Fällung
des Richterspruchs vornimmt, noch dem beson-
dern mit diesem verfolgten Zweck dienen, wie
anderseits richterliche Funktionen der Verwal-
tungsbeamten den besondern Zweck der spezifisch
verwaltenden Tätigkeit verfolgen.
am deutlichsten spricht diese Eingliederung der
im herkömmlichen Sinn richtenden in die verwal-
tende Staatstätigkeit Bornhak aus: Die richter-
liche Gewalt „bietet ihrem Inhalt nach keine be-
sondere Richtung der Staatstätigkeit dar..Wo-
durch die richterliche Tätigkeit sich aus der anderer
Staatsorgane heraushebt, ist nur die formelle
Seite, die verfassungsrechtliche Unabhängigkeit
gegenüber dem Monarchen, die verwaltungsrecht-
liche gegenüber den Organen der Justizaufsicht
und die besondere prozeßrechtliche Form unter An-
hörung und Mitwirkung der Parteien, worin sich
das Verfahren abspielt"“.
Daß das vom Richter oft anzuwendende Pro-
zeßrecht seine Tätigkeit nicht in systematischen
Gegensatz zu den übrigen Staatsverwaltungs-
akten setzt, ergibt eine kurze Betrachtung des
Wesens des Prozesses. Setzt man den Fall, daß
die rechtsausführenden Organe in der Wahl der
Mittel zur Tatbestandsfeststellung völlig freie
Hand haben, so ergeben sich zwei mit der Be-
schränktheit des menschlichen Verstands und der
Staatsverwaltung ufw.
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Freiheit des menschlichen Willens zusammen-
hängende mißliche Möglichkeiten: viele rechtsaus-
führende Organe werden unzweckmäßige Mittel
zur Ermittlung des Sachverhalts anwenden,
andere werden ihre von den Gliedern der Rechts-
gemeinschaft zu respektierende Macht bei dieser
Ermittlung nicht in sozialem Interesse gebrauchen,
sondern in egoistischem mißbrauchen. Dem Zweck
der möglichsten Minderung dieser beiden Möglich-
keiten, die es freilich wegen der Unvollkommenheit
des Rechts als eines Produkts des Menschengeistes
nie zu beseitigen vermag, dient das Prozeßrecht;
es soll eine Zweckmäßigkeitsregel für die Beamten
und ein Schutz der Glieder der Rechtsgemein-
schaft gegen die Willkür derselben sein. Wegen
der Schwierigkeit der abstrakten Reglung der
mannigfachsten Lebensvorgänge muß freilich auch
im Prozeßrecht an vielen Stellen dem rechtsaus-
führenden Organ nur allgemein ein Handeln
nach pflichtgemäßem Ermessen, ein zweckmäßiges
Handeln, zur Pflicht gemacht werden, ohne daß
die einzelnen vorzunehmenden Akte näher bestimmt
werden können, wodurch sich dann wieder die
Möglichkeit unzweckmäßigen und unmoralischen
Vorgehens ergibt. Als Korrelat dienen einerseits
alle jene Normen, die die intellektuellen und mora-
lischen Voraussetzungen der Berufung zur Rechts-
ausführung enthalten, anderseits die Bestim-
mungen über die Verbrechen und Vergehen im
Amt, die den rechtsausführenden Organen im all-
gemeinen und insbesondere den Richtern schwere
Nachteile für Pflichtvernachlässigungen androhen,
sei es daß es sich — wie bei den uneigentlichen
Beamtendelikten — um Normen handelt, die für
jedes Glied der Rechtsgemeinschaft ohne Rücksicht
auf seine Beamtenqualität gelten, und deren Über-
tretung gelegentlich der Rechtsausführung nur
chwerer geahndet wird, sei es daß — wie bei den
eigentlichen Beamtendelikten — eine Willensbe-
tätigung unter Strafe gestellt ist, die sich als
Kompetenzüberschreitung oder als Unterlassen einer
durch die Kompetenz gebotenen Handlung dar-
stellt, die also nur dann strafbar ist, wenn sie von
einem rechtsausführenden Organ begangen wird,
wobei wieder gewisse Beschränkungen allen Be-
amten obliegen (vgl. z. B. 8 341 des Reichsstraf-
gesetzbuchs; Fall des „allgemeinen Amtsdelikts"),
andere nur den Beamten einer bestimmten Gattung
(ogl. z. B. § 346 a. a. O. besonderes Amtsdelikt).
Aus dem Zweck der Prozeßrechtsnormen ergibt
sich daher: das Prozeßrecht ist nicht nur der spe-
zifisch richtenden, sondern überhaupt der rechts-
ausführenden Staatstätigkeit eigentümlich; daher
haben viele Staatsorgane nach positivem Recht
bei nicht richterlicher Tätigkeit Prozeßrechtsnormen
zu beobachten.
Anderseits sind die Richter vielfach bei der Er-
mittlung von Tatbeständen nicht an die Beobach=
tung von Verfahrensgrundsätzen gebunden, wenn-
gleich im allgemeinen wegen der Wichtigkeit und
Schwierigkeit der von dem Zivil= und Straf-
—