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richter im Sinn moderner Staatsfunktionen-
sonderung zu treffenden Feststellungen das Zivil-
und Strafprozeßrecht besonders ausgedehnt und
ausgebaut ist.
a) Verfahrensnormen sind nicht nur dann von
den Verwaltungsbeamten zu beobachten, wenn
sie, wie z. B. im Verwaltungsstreitverfahren, im
Disziplinarstrafverfahren, bei der Handhabung der
Ehrengerichtsbarkeit, im Verfahren wegen Zoll-
und Steuerdefraudationen, bei der Verhängung
von Strafen für Porto-, Steuer= und Stempel-
hinterziehung, bei der Bestrafung leichterer, end-
gültig auf Verlangen des Bestraften im ordent-
lichen Rechtsweg zu erledigender Delikte, richter-
liche Funktionen ausüben, sondern vielfach auch
bei nichtrichterlicher Tätigkeit. Wenn der Antrag
auf Genehmigung eines der im § 16 der Gewerbe-
ordnung für das Deutsche Reich verzeichneten Ge-
werbe, welche durch ihre örtliche Lage oder die
Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer
oder Anwohner oder das Publikum überhaupt
erhebliche Nachteile herbeiführen können, so hat die
zuständige Behörde nach einem Ediktalverfahren
in öffentlicher kontradiktorischer Verhandlung Be-
schluß zu fassen, der Standesbeamte hat vor einer
Ehescheidung in besonderem Verfahren das Nicht-
vorhandensein von Ehehindernissen festzustellen,
ein besonderes Verfahren haben die Aufsichtsbe-
hörden über Privatversicherungsunternehmungen
(8§ 70 ff des Reichsgesetzes über die privaten Ver-
sicherungsunternehmungen) bei ihrer Tätigkeit, das
Reichsbankkuratorium bei Ausübung der staat-
lichen Hoheitsrechte über die Reichsbank, die Post-,
Telegraphen- und Eisenbahnbehörden, und zwar
nicht nur in Bezug auf den innern Geschäftsgang,
sondern auch gegenüber dem Publikum, zu be-
obachten. Auch die im Aufgebotsverfahren vom
Zivilrichter zu beobachtenden Formvorschriften sind
solche für eine nicht richterliche, rechtsausführende
Tätigkeit, da man dieses Verfahren, weil es nicht
den Schutz, sondern die Begründung von Rechts-
verhältnissen bezweckt, mit Recht zur freiwilligen
Gerichtsbarkeit rechnet.
b) Was umgekehrt die richterliche Tätigkeit an-
langt, so ist nach geltendem Reichsrecht für die
Zivil= und Strafjurisdiktion allerdings unter allen
Umständen die Beobachtung bestimmter Form-
vorschriften in Bezug auf die Mündlichkeit und
Offentlichkeit erforderlich; aber der Inhalt der be-
züglichen Rechtsvorschriften ist nicht begriffsnot-
wendiger Bestandteil der zivil- und strafrichter-
lichen Tätigkeit. Wie nach der Wichtigkeit der zur
Entscheidung stehenden Straf- und Zivilsachen die
zu beobachtenden Formen erschwert bzw. erleichtert
sind, so wäre es mit der richterlichen Tätigkeit als
solcher vereinbar, wenn z. B. in Fällen von ganz
geringer Bedeutung nicht nur von der sörmlichen
Erhebung der Klage, sondern auch von dem Grund-
satz der Offentlichkeit und Mündlichkeit abgesehen
werden dürfte. Jedenfalls fehlen mitunter Form-
vorschriften für die richterliche Tätigkeit von Ver-
Staatsverwaltung ufw.
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waltungsbeamten, z. B. für eine polizeiliche Straf-
verfügung.
8. Verwaltung und Justiz im dog-
matischen und historisch gegebenen Sinn.
Einen besondern Charakter gegenüber den allge-
meinen Pflichten haben ihrem Inhalt nach die
Amtspflichten. Durch die besondere Stellung,
welche die Organe des Staats durch ihre Tätig-
keit als solche im Verhältnis zur Allgemeinheit
einnehmen, ist eine Scheidung der speziell für sie
geltenden Rechtsnormen von den für jedermann
im allgemeinen erlassenen, also eine Scheidung
nach dem Rechtspflichtsubjekt, gerechtfertigt und
selbst dann durchzuführen, wenn in einem Einzel-
fall einem Staatsorgan und einer Privatperson
dieselbe Handlung zur Pflicht gemacht wird (z. B.
die Hilfeleistung bei Feuersgefahr). Dement-
sprechend ist auch die Einteilung der staatlichen
Rechtspflege in die privat= und strafrechtliche,
welche auf der Überordnung des Staats über
seine Glieder beruht, und in die staatsrecht-
liche, welche durch das besondere Subordinations-
verhältnis, in welchem die Organe des Staats
zu diesem stehen, bedingt ist und welche eine
Rechtskontrolle über ihre Tätigkeit zum Zweck
hat, gerechtfertigt. Im Gebiet dieses Beamten-
rechts spielt die richterliche Funktion, soweit das
Verhältnis des einen Beamten zum andern in
Frage kommt, hauptsächlich insofern eine Rolle,
als sie sich auf die Feststellung vergangener Pflicht-
erfüllung oder = vernachlässigung bezieht (Diszi-
plinarrecht). Doch kommen auch auf diesem Ge-
biet richterliche Feststellungen in Bezug auf künftig
zu erfüllende Amtspflichten vor. So ist einem
preußischen Richter gegenüber, dem ein geringes
Dienstvergehen zur Last fällt, nachdem von ihm
eine Erklärung erfordert worden, die ordnungs-
widrige Ausführung des Amtsgeschäfts zu rügen,
er ist aber auch zu dessen rechtzeitiger und sach-
gemäßer Erledigung zu ermahnen. Das Gebiet
des Disziplinarrechts ist jedoch keineswegs das
einzige, auf welchem ein Beamter gegenüber einem
andern richtend tätig wird. Dies ist vielmehr
auch bei zahlreichen andern Beschlüssen und Ver-
fügungen, soweit sie die oben dargelegten Eigen-
schaften haben, der Fall.
Natürlich hat nicht ein jedes Einzelgebot die
Natur einer richterlichen Sentenz, wie anderseits
nicht jede richterliche Entscheidung (z. B. das Urteil
ineiner Feststellungsklage, die Klageabweisung sw.)
nicht unmittelbar eine Anordnung zum Gegen-
stand hat. Nur in den Fällen, in denen jemand
auch ohne eine solche seiner Verpflichtung genügen
muß, d. h. in denen der Richterspruch über die in
Rede stehende Verpflichtung diese nicht erst er-
zeugt, sondern nur feststellt, sowie ferner in allen
denjenigen Fällen, in denen über vergangenes
Verhalten gegenüber Rechtspflichten entschieden
wird, läßt sich unter Berücksichtigung des allge-
meinen, insbesondere des Sprachgebrauchs auf
dem Gebiet der Ethik, von eigentlich richtender