Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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unterschieden wurde. Die Durchführung dieses 
Kampfes erinnert deutlich an die erlaubte Selbst- 
hilfe und die rechtmäßige Fehde der ältesten Zeit. 
Kam es zum Beweisverfahren, so war der Be- 
weis von der Partei (Sacher, ahd. sachari) dem 
Gegner (Widersacher, ahd. widarsacho) zu lie- 
fern, nicht dem Gericht, dem eine Beweiswürdi- 
gung nicht zustand. Die Beweisführung hatte 
einen durchaus formalen Charakter; der Beweis 
wurde durch gewisse Parteihandlungen unwider- 
leglich erbracht, nämlich durch den Parteieid (Ein- 
eid oder Eid mit Helfern) oder durch das Gottes- 
urteil einschließlich des gerichtlichen Zweikampfs. 
In jenen einfachen Zeiten waren Unwahrhaftigkeit 
und Hinterlist so selten, daß diese auf sakraler 
Grundlage beruhenden Beweisformen nach allge- 
meiner Volksüberzeugung als untrüglich galten. 
Die Beweisführung wurde als Recht des freien 
Mannes, angesehen nicht als Last, und der Richter 
hatte nur darüber zu entscheiden, welche Partei 
„näher zum Beweis“ war. Der Zeugenbeweis 
war grundsätzlich ausgeschlossen. 
2. Erst in der fränkischen Zeit finden wir den 
Zeugenbeweis, aber nur in sehr beschränktem Um- 
fang zugelassen, wie auch erst die mitteldeutsche 
Sprache die dem heutigen „Zeugen“ entsprechen- 
den Worte giziug, getüch, ghetuich, tiuga auf- 
weist. Zeuge bedeutet wörtlich der Gezogene (von 
ziohan, ziehen) und erkkärt sich aus der altarischen 
Rechtssitte, die Urkundspersonen am Ohr zu 
ziehen; bei einzelnen Stämmen, so bei Bayern 
und Burgunden, war dieses Ziehen sogar Rechts- 
vorschrift; in bayrischen Urkunden werden die 
testes per aures tracti bis ins 13. Jahrh. 
erwähnt. Wenn die lateinischen Quellen der frän- 
kischen Zeit testimonium und testis zuweilen 
auch für den Eidhelfer gebrauchen, so ist damit 
wohl der geschichtliche Anknüpfungspunkt des 
Zeugenbeweises angedeutet. Nicht jedermann konnte 
als Zeuge gezogen werden. Regelmäßig waren 
nur Geschäftszeugen zulässig, d. h. Personen, 
welche zu dem von ihnen zu beurkundenden Rechts- 
akt besonders zugezogen oder bei zufälliger An- 
wesenheit ausdrücklich als Urkundspersonen be- 
rufen worden waren. Daneben wurden als Ge- 
meindezeugen über orts= oder gemeindekundige 
Tatsachen Nachbarn oder Gemeindegenossen zu- 
gelassen, z. B. bei Grenzstreitigkeiten, Besitzfragen. 
Zufällige Augen= und Ohrenzeugen waren aus- 
geschlossen. Zeugnisfähig waren nur freie und gut 
beleumundete Personen; bei den Gemeindezeugen 
wurde außerdem der Nachweis eines bestimmten 
Vermögens — Grundeigentum bei den Franken, 
ein der Zeugenbuße wegen falschen Zeugnisses 
entsprechendes Vermögen bei Bayern und Lango- 
barden — gefordert. Zur Führung des Zeugen- 
beweises waren je nach dem Stammesrecht min- 
destens drei oder zwei, bei Gemeindezeugen 
mindestens sieben Zeugen notwendig. Eine öffent- 
lich-rechtliche Zeugnispflicht bestand nicht und die 
privatrechtliche Verpflichtung zur Zeugnisleistung 
Zeugenbeweis ufsw. 
  
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konnte nur durch einen entgeltlichen Vertrag (Ur- 
kundsgeld, Weinkauf) begründet werden. Auch 
der Zeugenbeweis trug im ordentlichen Gerichts- 
verfahren denselben sormalen Charakter wie die 
älteren Beweismittel: der Zeuge wurde nicht etwa 
vom Richter über sein Wissen vernommen, son- 
dern beschwor das im Urteil festgestellte Beweis- 
thema durch einen assertorischen Eid (lex Alam. 
2, 1: hoc per sacramentum dicant: quod 
nos veri testes sumus); dieser Eid konnte nicht 
angefochten werden. Bei Gemeindezeugen wurde 
seit Ludwig dem Frommen der Gegenpartei die 
Aufstellung von Gegenzeugen gestattet; den Wider- 
spruch der Zeugenreihen entschied der Zweikampf 
zwischen einem Zeugen und einem Gegenzeugen. 
Für die Fortbildung des Beweisrechts war von 
großer Bedeutung die außerordentliche Gerichts- 
barkeit der Königsgerichte, bei welchen der 
Richter in Zivilsachen befugt war, von Amts 
wegen Inquisitionszeugen zu laden und 
nach Leistung eines promissorischen Eides über be- 
stimmte Fragen zu vernehmen. Hier waren die 
Zeugen kraft ihrer Treuepflicht als Untertanen 
verpflichtet, dem König Gerichtsfolge zu leisten 
und zur Ermittlung der Wahrheit durch ihre 
Aussage behilflich zu sein. 
3. Die Rechtsentwicklung im Mittelalter ist 
charakterisiert durch ein allmähliches Verschwinden 
der von der Kirche bekämpften Gottesurteile und 
ein immer weiter gehendes Vordringen des In- 
quisitionszeugenbeweises. Das Verfahren gestaltete 
sich nunmehr verschieden, je nachdem es sich um 
Zivilsachen oder Strafsachen handelte, und auf 
dem Gebiet des Strafverfahrens traten Formen 
des Offizialverfahrens in den Vordergrund, welche 
der gegen Ende der Periode eintretenden Rezep- 
tion des römisch-kanonischen Rechts die Wege 
ebneten. Den Abschluß fand diese Entwicklung in 
der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 
1532, Ct(onstitutio) C(riminalis) Ctarolina). 
Der Kern des neuen Rechts lag in dem auf den 
fremden Rechten beruhenden und von der italieni- 
schen Rechtswissenschaft ausgebildeten schriftlichen 
inquisitorischen Verfahren durch beamtete Berufs- 
richter. Der Strafprozeß ist nicht mehr ein vor 
Gericht geführter Rechtsstreit der Parteien, son- 
dern die amtliche Untersuchung eines Streitfalls 
durch den Staatsbeamten. Der Beweis wird nicht 
mehr der Gegenpartei, sondern dem Richter er- 
bracht (iudici fit probatio). Der Angeklagte ist 
nicht mehr ein dem Ankläger gleichberechtigtes 
Prozeßsubjekt, sondern ein Prozeßobjekt, aus dem 
die Allmacht und gelehrte Kunst des Inquirenten 
ein Geständnis, möglicherweise unter Anwendung 
der Folter, herauszubringen sucht. Gegen richter- 
liche Willkür bieten die gesetzlichen Beweisvor- 
schriften des Inquisitionsprozesses einen unge- 
nügenden Schutz. Die gesetzliche Beweistheorie 
unterscheidet zwischen unfähigen, verdächtigen und 
klassischen Zeugen. Voller Beweis wird durch die 
übereinstimmende Aussage zweier tauglichen und
	        
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