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Manche wollen diese Art der Rechtserzeugung als
einen Akt des Gewohnheitsrechts betrachten, aber
mit Unrecht, da sie nur auf einer ausdrücklichen
Verleihung der gesetzgebenden Gewalt beruhte.
Zur Zeit der Severe verschwanden die responsa
prudentum; die letzte vereinzelte Spur davon
findet sich unter Konstantin. Von Diokletian an
war nur noch eine Art des geschriebenen Rechts
gebräuchlich, das Kaiserrecht, die kaiserlichen Kon-
stitutionen, die auch in das Justinianische Recht
übergingen. Auch diese kaiserliche Gesetzgebung
kam in verschiedenen Formen vor. Edikte wurden
von den Kaisern in Ausübung ihrer potestas
proconsularis und tribunicia erlassen und hatten
die Bestimmung, eine allgemeine Rechtsnorm für
die Zukunft zu begründen, waren also Gesetze im
eigentlichen Sinn des Wortes. Decreta sind
Richtersprüche, zu deren Erlaß der Kaiser in seiner
Eigenschaft als oberster Richter befugt war oder
sich für befugt hielt. Waren dieselben auf eine
förmliche Sachuntersuchung gegründet, so waren
sie nicht nur für den entschiedenen Fall, sondern
auch für die Zukunft maßgebend. Unter mandata
verstand man allgemein erteilte Aufträge an die
Beamten, namentlich an die Provinzialbeamten,
welche mittelbar zur Rechtsquelle für die Staats-
bürger wurden. Rescripta endlich sind Antworten
der Kaiser auf Anfragen, die allerdings nur für
den einzelnen Fall bestimmt waren, die aber leicht
maßgebend für die Zukunft wurden.
Nachdem die Römer durch das Zwölftafelgesetz
(450 v. Chr.) die Grundlage zu ihrer Gesetzgebung
gelegt hatten, waren im Lauf der Jahrhunderte
eine stattliche Reihe von leges und senatuscon-
sulta gefolgt. Schon vor Justinian erschienen
einige Sammlungen römischer Rechtsquellen: die
sog. Fragmenta Vaticana (im Vatikan auf-
gefunden); die sog. Lex Dei, eine Zusammen-
stellung mosaischer Gesetze und einiger Sätze
römischer Juristen; die sog. Consultatio vete-
ris iuris consulti, ein Auszug aus den Aus-
zügen römischer Juristen, und das wichtige Bre-
viarium Alaricianum mit mannigfachem Inhalt.
Einer ganz besondern Erwähnung bedarf der (in
dem Breviarium enthaltene) Codex Theodosia--
nus, eine Zusammenstellung der damals geltenden
Rechtssätze in 16 Büchern, von denen das zweite
bis achte Buch das Zivilrecht umfaßte, veröffent-
licht durch Theodosius II. (438). Das wichtigste,
in seiner Anlage umfassendste und in seinen Wir-
kungen weitesttragende Werk der römischen Zivil-
gesetzgebung war aber das sog. Corpus juris,
durch den Kaiser Justinian veranlaßt und ver-
öffentlicht, das infolge historischer Zufälligkeiten
die Grundlage eines großen Teils der Gesetz-
gebung der zivilisierten Welt bildet. Nachdem
dieser Kaiser bereits 529 eine Konstitutionen-
sammlung veröffentlicht hatte, erfolgte 533 die
Herausgabe eines umfangreichen Auszugs aus
den Schriften der berühmtesten römischen Juristen
unter dem Namen Digesten oder Pandekten nebst
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl.
Zivilgesetzgebung. 1282
einer mehr systematischen Einleitung dazu, den
Institutionen. Im folgenden Jahr wurde der sog.
Codex repetitae praelectionis, eine Samm-
lung kaiserlicher Konstitutionen, veröffentlicht,
woran sich noch die sog. Novellen, nach dem Er-
cheinen des Kodex veröffentlichte Konstitutionen,
schlossen. Das Corpus iuris ist kein Gesetzbuch,
ondern nur eine Zusammenstellung des geltenden
Rechts, und zwar in seinem wichtigsten Teil, den
Pandekten, in Form von einzelnen durch die Ju-
risten entschiedenen Rechtsfällen; es hat aber, wie
schon oben bemerkt, infolge historischer Zufällig-
keiten und auch wegen der streng logischen Durch-
bildung der von ihm vorgetragenen Rechtslehren,
einen unermeßlichen Einfluß auf das Rechtsleben
der Mit= und Nachwelt bis auf unsere Tage geübt.
Nach dem Zerfall des römischen Reichs bildeten
sich nach der Völkerwanderung eine Anzahl ger-
manischer Staatswesen. Für sie wurden die
wichtigsten Rechtsnormen in Rechtsbüchern unter
dem Namen Volksrechte oder Leges barbarorum
zusammengestellt, jedoch ist ihr Inhalt nur zum
kleinsten Teil privatrechtlicher Natur. Zu ihnen
gehören die Lex Rom. Visigoth. oder Bre-
viarium Alaricianum, schon vor Justinian und
vor dem Corpus iuris erlassen, sodann die leges:
Salica, Ripuaria, Burgundionum, Alaman-
norum, Baiuvariorum, Longobardicae, Fri-
sionum, Saxonum, Anglorum et Werinorum.
Auch die später von den Merowingern und Karo-
lingern in Franken erlassenen sog. Kapitularien,
deren vollständigste Sammlung von dem Abt
Ansegisus und Benedikt Levita veranstaltet wurde,
gehören als formelle Rechtsquellen hierher, wenn
sie auch das Zivilrecht in geringerem Grad be-
treffen. Nach dem Zerfall der großen karolingi-
schen Dynastie war die Weiterbildung des Rechts
der Gewohnheit, dem Gerichtsgebrauch, höchstens
noch der Autonomie überlassen. Zu den Rechts-
quellen dieser sog. mittleren Zeit gehören die
sog. Rechtsbücher des Mittelalters, eigentlich
Quellen des ungeschriebenen Rechts, weil keine
Gesetzbücher, sondern Privataufzeichnungen des
geltenden Rechts, die jedoch wegen ihres Inhalts
bald gesetzliches Ansehen erhielten. Es sind dies:
der Sachsenspiegel oder sächsisches Land= und
Lehenrecht, verfaßt von dem Anhaltischen Ritter
Eike von Repgow ungefähr um 1226; ihm nach-
gebildet der Schwabenspiegel, ungefähr 1260 ge-
schrieben in Schwaben oder Bayern, an den sich
das Rechtsbuch für die Stadt Freising, 1328 von
Ruprecht von Freising verfaßt, anschließt. Er-
wähnenswert sind noch das von einem unbekannten
Verfasser hergestellte sog. kleine Kaiserrecht, ein
selbständiges Reichsrecht, endlich die sog. Richt-
steige, d. h. Darstellungen des gerichtlichen Ver-
fahrens, nämlich der Richtsteig Landrechts und
der Richtsteig Lehenrechts. Auch die Stadtrechts-
bücher, das sächsische Weichbild und das Rechts-
buch nach Distinktionen oder der sog. vermehrte
Sachsenspiegel, verdienen eine Erwähnung. In
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