Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1281 
Manche wollen diese Art der Rechtserzeugung als 
einen Akt des Gewohnheitsrechts betrachten, aber 
mit Unrecht, da sie nur auf einer ausdrücklichen 
Verleihung der gesetzgebenden Gewalt beruhte. 
Zur Zeit der Severe verschwanden die responsa 
prudentum; die letzte vereinzelte Spur davon 
findet sich unter Konstantin. Von Diokletian an 
war nur noch eine Art des geschriebenen Rechts 
gebräuchlich, das Kaiserrecht, die kaiserlichen Kon- 
stitutionen, die auch in das Justinianische Recht 
übergingen. Auch diese kaiserliche Gesetzgebung 
kam in verschiedenen Formen vor. Edikte wurden 
von den Kaisern in Ausübung ihrer potestas 
proconsularis und tribunicia erlassen und hatten 
die Bestimmung, eine allgemeine Rechtsnorm für 
die Zukunft zu begründen, waren also Gesetze im 
eigentlichen Sinn des Wortes. Decreta sind 
Richtersprüche, zu deren Erlaß der Kaiser in seiner 
Eigenschaft als oberster Richter befugt war oder 
sich für befugt hielt. Waren dieselben auf eine 
förmliche Sachuntersuchung gegründet, so waren 
sie nicht nur für den entschiedenen Fall, sondern 
auch für die Zukunft maßgebend. Unter mandata 
verstand man allgemein erteilte Aufträge an die 
Beamten, namentlich an die Provinzialbeamten, 
welche mittelbar zur Rechtsquelle für die Staats- 
bürger wurden. Rescripta endlich sind Antworten 
der Kaiser auf Anfragen, die allerdings nur für 
den einzelnen Fall bestimmt waren, die aber leicht 
maßgebend für die Zukunft wurden. 
Nachdem die Römer durch das Zwölftafelgesetz 
(450 v. Chr.) die Grundlage zu ihrer Gesetzgebung 
gelegt hatten, waren im Lauf der Jahrhunderte 
eine stattliche Reihe von leges und senatuscon- 
sulta gefolgt. Schon vor Justinian erschienen 
einige Sammlungen römischer Rechtsquellen: die 
sog. Fragmenta Vaticana (im Vatikan auf- 
gefunden); die sog. Lex Dei, eine Zusammen- 
stellung mosaischer Gesetze und einiger Sätze 
römischer Juristen; die sog. Consultatio vete- 
ris iuris consulti, ein Auszug aus den Aus- 
zügen römischer Juristen, und das wichtige Bre- 
viarium Alaricianum mit mannigfachem Inhalt. 
Einer ganz besondern Erwähnung bedarf der (in 
dem Breviarium enthaltene) Codex Theodosia-- 
nus, eine Zusammenstellung der damals geltenden 
Rechtssätze in 16 Büchern, von denen das zweite 
bis achte Buch das Zivilrecht umfaßte, veröffent- 
licht durch Theodosius II. (438). Das wichtigste, 
in seiner Anlage umfassendste und in seinen Wir- 
kungen weitesttragende Werk der römischen Zivil- 
gesetzgebung war aber das sog. Corpus juris, 
durch den Kaiser Justinian veranlaßt und ver- 
öffentlicht, das infolge historischer Zufälligkeiten 
die Grundlage eines großen Teils der Gesetz- 
gebung der zivilisierten Welt bildet. Nachdem 
dieser Kaiser bereits 529 eine Konstitutionen- 
sammlung veröffentlicht hatte, erfolgte 533 die 
Herausgabe eines umfangreichen Auszugs aus 
den Schriften der berühmtesten römischen Juristen 
unter dem Namen Digesten oder Pandekten nebst 
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 
  
Zivilgesetzgebung. 1282 
einer mehr systematischen Einleitung dazu, den 
Institutionen. Im folgenden Jahr wurde der sog. 
Codex repetitae praelectionis, eine Samm- 
lung kaiserlicher Konstitutionen, veröffentlicht, 
woran sich noch die sog. Novellen, nach dem Er- 
cheinen des Kodex veröffentlichte Konstitutionen, 
schlossen. Das Corpus iuris ist kein Gesetzbuch, 
ondern nur eine Zusammenstellung des geltenden 
Rechts, und zwar in seinem wichtigsten Teil, den 
Pandekten, in Form von einzelnen durch die Ju- 
risten entschiedenen Rechtsfällen; es hat aber, wie 
schon oben bemerkt, infolge historischer Zufällig- 
keiten und auch wegen der streng logischen Durch- 
bildung der von ihm vorgetragenen Rechtslehren, 
einen unermeßlichen Einfluß auf das Rechtsleben 
der Mit= und Nachwelt bis auf unsere Tage geübt. 
Nach dem Zerfall des römischen Reichs bildeten 
sich nach der Völkerwanderung eine Anzahl ger- 
manischer Staatswesen. Für sie wurden die 
wichtigsten Rechtsnormen in Rechtsbüchern unter 
dem Namen Volksrechte oder Leges barbarorum 
zusammengestellt, jedoch ist ihr Inhalt nur zum 
kleinsten Teil privatrechtlicher Natur. Zu ihnen 
gehören die Lex Rom. Visigoth. oder Bre- 
viarium Alaricianum, schon vor Justinian und 
vor dem Corpus iuris erlassen, sodann die leges: 
Salica, Ripuaria, Burgundionum, Alaman- 
norum, Baiuvariorum, Longobardicae, Fri- 
sionum, Saxonum, Anglorum et Werinorum. 
Auch die später von den Merowingern und Karo- 
lingern in Franken erlassenen sog. Kapitularien, 
deren vollständigste Sammlung von dem Abt 
Ansegisus und Benedikt Levita veranstaltet wurde, 
gehören als formelle Rechtsquellen hierher, wenn 
sie auch das Zivilrecht in geringerem Grad be- 
treffen. Nach dem Zerfall der großen karolingi- 
schen Dynastie war die Weiterbildung des Rechts 
der Gewohnheit, dem Gerichtsgebrauch, höchstens 
noch der Autonomie überlassen. Zu den Rechts- 
quellen dieser sog. mittleren Zeit gehören die 
sog. Rechtsbücher des Mittelalters, eigentlich 
Quellen des ungeschriebenen Rechts, weil keine 
Gesetzbücher, sondern Privataufzeichnungen des 
geltenden Rechts, die jedoch wegen ihres Inhalts 
bald gesetzliches Ansehen erhielten. Es sind dies: 
der Sachsenspiegel oder sächsisches Land= und 
Lehenrecht, verfaßt von dem Anhaltischen Ritter 
Eike von Repgow ungefähr um 1226; ihm nach- 
gebildet der Schwabenspiegel, ungefähr 1260 ge- 
schrieben in Schwaben oder Bayern, an den sich 
das Rechtsbuch für die Stadt Freising, 1328 von 
Ruprecht von Freising verfaßt, anschließt. Er- 
wähnenswert sind noch das von einem unbekannten 
Verfasser hergestellte sog. kleine Kaiserrecht, ein 
selbständiges Reichsrecht, endlich die sog. Richt- 
steige, d. h. Darstellungen des gerichtlichen Ver- 
fahrens, nämlich der Richtsteig Landrechts und 
der Richtsteig Lehenrechts. Auch die Stadtrechts- 
bücher, das sächsische Weichbild und das Rechts- 
buch nach Distinktionen oder der sog. vermehrte 
Sachsenspiegel, verdienen eine Erwähnung. In 
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