Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Tätigkeit sprechen. Wo z. B. eine Verfügung für 
die Entstehung der Pflicht zu dem ihr entsprechen- 
den Handeln von Bedeutung ist, wo sie also eine 
reine tatbestandliche Voraussetzung für dieses Han- 
deln ist, da „richtet“ der Verfügende nicht. Dies 
trifft also z. B. für die Ausübung der Kommando- 
gewalt des militärischen Befehlshabers, für Ver- 
fügungen, welche dem internen, nach Anweisungen 
von Oberbeamten zu handhabenden Geschäfts- 
gang betreffen, usw. zu und ist ein nicht nur auf 
dem Gebiet des Amtsrechts, sondern auch auf dem 
des allgemeinen Rechts maßgebender Grundsatz. 
Wenn also z. B. die Polizei es anordnet, daß 
Prostituierte und deren Zuhälter auf ihren Ge- 
sundheitszustand untersucht und, wenn sie krank 
befunden werden, interniert werden, daß Personen, 
die cholera= oder pockenverdächtig sind, in der 
Freiheit des Verkehrs beschränkt werden, so übt sie 
nicht eine richtende Funktion aus, sondern setzt 
lediglich eine Voraussetzung für das Handeln oder 
Dulden anderer. Dagegen enthält ihre Ver- 
fügung einen Richterspruch, wenn sie in einem 
speziellen Fall die Beseitigung von Ofenklappen 
anordnet, die auch ohne diese Anordnung hätte 
erfolgen müssen usv. Das Charakteristische der 
richtenden Tätigkeit besteht eben nicht in der 
verbindlichen Entscheidung über Rechte und 
Pflichten in einem bestimmten Fall, sondern in 
der verbindlichen Entscheidung über künftig zu er- 
füllende oder in der Vergangenheit erfüllte oder 
nicht erfüllte Verpflichtungen Dritter, die auch 
ohne die Entscheidung bestanden haben, so daß 
also die verbindliche Feststellung von Pflichten, 
die erst durch die richterliche Entscheidung ent- 
stehen, außerhalb des Rahmens der richter- 
lichen Tätigkeit fällt. Nicht wer Pflichten 
begründet, richtet, sondern wer über die Er- 
füllung oder Nichterfüllung bestehen der Ver- 
pflichtungen urteilt. 
Ihrem Wesen gehören auch auf dem Gebiet der 
Verwaltung im herkömmlichen Sprachgebrauch 
alle diejenigen Akte, durch welche eine Entschei- 
dung über zukünftig zu erfüllende Pflichten oder in 
der Vergangenheit erfüllte oder nichterfüllte ge- 
troffen wird, d. h. auch eine große Anzahl nicht 
urteilsmäßiger Entscheidungen, insbesondere Be- 
schlüsse und Verfügungen, zur Justiz. Auch auf 
diesem Gebiet sind die Verfahrensvorschriften, die 
nicht nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, son- 
dern auch bei vielen andern Verwaltungsakten, 
die sich als richterliche Funktionen darstellen, vor- 
kommen, für die Beurteilung, ob ein richterlicher 
Akt vorliegt oder nicht, unerheblich. 
Für das Wesen der richtenden Staatstätigkeit als 
solcher ist es ferner gleichgültig, ob sie sich auf pri- 
vate oder ffentlich-rechtliche Pflichten erstreckt. Dies 
schließt nicht aus, daß für die Entscheidung der bür- 
gerlichen Prozeßsachen und der Verwaltungsstreitig- 
keiten, von denen jedenfalls die letzteren sich nur auf 
öffentlich-rechtliche Pflichten beziehen, besonders or- 
ganisierte Behörden bestehen. Wenngleich die Er- 
Staatsverwaltung ufw. 
  
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füllung einer öffentlichen Pflicht dem Gesamtinter- 
esseunmittelbarer dient als die einer privaten, und da- 
her auch jede subjektive, solchen Pflichten korrespon- 
dierende Berechtigung nur insoweit mit Rechtsschutz 
ausgestattet ist, als das öffentliche Interesse es er- 
fordert, so ist trotzdem die Feststellung der einen oder 
der andern Pflicht oder ihrer Erfüllung in An- 
sehung der Relativilät dieses Begriffs der Mittel- 
barkeit und Unmittelbarkeit ihrem Wesen nach 
gleichartig. Hat z. B. bei einer zivilrechtlichen 
Verpflichtung die Einschränkung des Rechtsschutzes 
mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse den In- 
halt, daß dieser nur auf das Anrufen des Berech- 
tigten gewährt werden soll, so ist dieser inhaltlich, 
wenn dieses Erfordernis erfüllt ist, der gleiche wie 
bei der Gewährung desselben ohne diese private 
Initiative. Das gilt für den Rechtsschutz allgemein 
und daher auch für eine Art desselben, die Justiz. 
Die Scheidung zwischen bürgerlicher und Verwal- 
tungsjustiz läßt sich daher nicht nach rein logi- 
schen, abstrakten Begriffsmerkmalen durchführen. 
Es gibt hier streitige Grenzgebiete, für die eine 
besondere Einrichtung zur Schlichtung der Kom- 
petenzstreitigkeiten geschaffen werden muß (s. d. 
Art. Kompetenzkonflikt). Die unabhängige Stel- 
lung der „ordentlichen Gerichte“ im Gegen- 
satz zu den Verwaltungsgerichten, bei denen die 
unteren Instanzen, wenn auch in der Sachentschei- 
dung von den oberen unabhängig, gleichzeitig als 
Behörden der aktiven Verwaltung fungieren und 
als solche den Anweisungen der vorgesetzten Dienst- 
behörde zu folgen haben, hat ferner dazu geführt, 
daß ihnen vielfach die Kompetenz zur Entschei- 
dung über Ansprüche übertragen worden ist, die 
das Gesamtinteresse in besonderer Weise berühren 
und daher ohne Zweifel zu den öffentlich-recht- 
lichen zu zählen sind. Der Hauptfall ist die Klag- 
barkeit der Ansprüche der Beamten aus dem Be- 
amtenverhältnis gegen den Staat vor den bürger- 
lichen Gerichten, ein Fall, bei dem formell der 
Staat selbst als Partei vor seinen eignen Gerichten 
Recht nimmt. Zwar unterliegt auch die Sach- 
entscheidung der ordentlichen Gerichte insofern 
einer Kontrolle des übergeordneten Gerichts, als 
dieses bei Einlegung des zulässigen Rechtsmittels 
die angefochtene Entscheidung aufheben oder ändern 
kann. Die Kontrolle, der die Verwaltungsbehör- 
den, abgesehen von ihrer Funktion als Verwal- 
tungsgerichte, unterliegen, ist jedoch durch die reich 
ausgebildete Pflicht zur Berichterstattung, durch die 
die formelle und materielle Seite der Geschäfts- 
führung umfassenden Revisionen, durch die der 
übergeordneten Behörde zustehende Befugnis, Ent- 
scheidungen und Anordnungen der untergeordneten 
ohne ein besonderes Verfahren aus Gründen des 
öffentlichen Interesses außer Kraft zu setzen, und 
durch die politische Verantwortlichkeit gegenüber 
der Volksvertretung eine viel schärfere und daher 
eine größere Abhängigkeit begründende als die- 
jenige, denen die ordentlichen Gerichte als ent- 
scheidende Behörden unterliegen.
	        
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