Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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ähnlicher Weise, wie das gemeine Recht, ent- 
wickelte sich das Lehenrecht. In Ermanglung einer 
eigentlichen gesetzgeberischen Fortbildung bemäch- 
tigte sich die Tätigkeit einzelner des Gegenstands 
und veranstaltete Aufzeichnungen der geltenden 
Gewohnheiten, welche im Lauf der Zeit gesetz- 
liches Ansehen erhielten. Es sind dies die Libri 
feudorum, ein Werk von gründlicher Durch- 
arbeitung und ähnlicher Folgerichtigkeit wie das 
Corpus juris. Die Reichs= und Landesgesetz- 
gebung im eigentlichen Sinn der damaligen Zeit 
ist ganz bedeutungslos, einige ältere Stadtrechte 
ausgenommen. 
Und nun vollzog sich eine der merkwürdigsten 
rechtsgeschichtlichen Entwicklungen, welche die 
Weltgeschichte kennt: die Unterbrechung der Rechts- 
entwicklung eines Kulturvolks und die allmähliche 
Verdrängung des einheimischen Rechts dieses 
Volks durch ein fremdes Recht auf durchaus 
friedlichemn Weg. Die Möglichkeit eines solchen 
Vorgangs war allerdings gegeben durch die Un- 
tätigkeit der gesetzgebenden Gewalt, doch ist diese 
Untätigkeit nicht die einzige Ursache der Erschei- 
nung. Die Gründe sind verschiedener Art. Zu- 
nächst lag für den Stand der Juristen ein un- 
gemeiner Vorteil darin, daß in dem römischen 
Recht ein geschriebenes Recht vorlag, auf welches 
man zu jeder Zeit und unter allen Umständen 
zurückgreifen konnte, während die Aufsuchung der 
verschiedenen Rechtsgewohnheiten öfters eine zeit- 
raubende, mühevolle und zuletzt doch vergebliche 
Arbeit war. Die Vorliebe der Juristen für das 
römische Recht ist schon hieraus genügend erklärlich. 
Hierzu kommt noch der außerordentliche Einfluß 
der Rechtsschule von Bologna, welche von den 
Juristen aller Länder, auch Deutschlands, zum 
Zweck des Rechtsstudiums besucht wurde. Auf 
dieser infolge des Aufschwungs des Rechtsstudiums 
im 12. und 13. Jahrh. oft von 121000 Studenten 
besuchten Universität wurde römisches Recht gelesen 
und glossiert und von den Studierenden in ihre 
Heimat mitgebracht. Dabei genoß diese Hoch- 
schule ein solches Ansehen, daß nur diejenigen 
Stellen des Corpus iuris, welche die Lehrer in 
Bologna einer Erklärung, der sog. Glosse, für 
würdig hielten, als Teile des römischen Rechts 
betrachtet wurden. Die von Bologna nach Hause 
zurückgekehrten Juristen suchten nun das ihnen 
geläufige Recht in der Praxis der deutschen Ge- 
richte und anderweit zur Anwendung zu bringen, 
so daß, bei den oft von ihnen eingenommenen 
einflußreichen Stellungen in der Nähe der Fürsten 
als Kanzler, das einheimische Recht bald in den 
Hintergrund zurücktrat. Erleichternd wirkte die 
Annahme, daß das heilige römische Reich deut- 
scher Nation eine Fortsetzung des römischen Reichs 
sei; unrichtig ist dagegen, daß die Einführung 
des römischen Rechts von den Reichsfürsten, als 
deren Machtbefugnissen und Bestrebungen günstig, 
befördert worden sei. Im 13. und 14. Jahrh., 
in welchen die Aufnahme des römischen Rechts in 
Zivilgesetzgebung. 
  
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Deutschland als wenigstens subsidiäres „kaiser- 
liches Recht“ vollendet wurde, hatten die deutschen 
Reichsfürsten den Weg zu jener ausschreitenden 
Ausdehnung ihrer Regierungsrechte, den sie nach 
der Reformation einschlugen, noch nicht anzutreten 
versucht. Auch der Umstand war von durch- 
schlagender Bedeutung, daß im Mittelalter in 
Kirche und Staat das Interesse an dem klassischen 
Altertum und dessen Einrichtungen wiedererwachte, 
die sog. Renaissance. Die beiden klassischen Kultur- 
staaten waren Griechenland und Rom. Man be- 
trieb mit Vorliebe das Studium der griechischen 
und römischen Sprache, las die Klassiker dieser 
Völker und gewann dadurch eine nicht immer ge- 
rechtfertigte Sympathie für alles, was für diese 
Staaten von kultureller Bedeutung war. Es war 
nicht auffallend, daß man mit jener Übertreibung, 
die gewöhnlich mit der Einseitigkeit verbunden ist, 
durch das ja allerdings durchgebildete römische 
Recht das unbehilflichere Heimatsrecht verdrängen 
ließ, um neben andern klassischen Errungenschaften 
auch ein „klassisches Recht“ zu haben (vol. dazu 
d. Art. Recht, deutsches). 
Neben dem römischen Recht ist auch das kano- 
nische Recht insofern zu erwähnen, als seine das 
römische Recht abändernden Bestimmungen zu- 
gleich mit dem römischen Recht in Deutschland 
Aufnahme fanden. Doch sind seine zivilrechtlichen 
Vorschriften von geringer Bedeutung. Es erkannte 
die Ehen der Sklaven als solche an und beförderte 
dadurch die allmähliche Aufhebung der Sklaverei. 
Auch im Erbrecht nahm es einige Abänderungen 
vor, erklärte die einfachen Verträge für klagbar 
und den fortdauernden guten Glauben für ein 
Erfordernis einer jeden Verjährung (nulla nec 
civilis nec canonica praescriptio sine bona 
fide). Bekannt sind die kanonischen Vorschriften 
über das Zinsennehmen. 
Die deutsche Reichsgesetzgebung hat sich 
auch nach der Einführung des römischen Rechts 
sehr wenig mit dem Zivilrecht beschäftigt. Zu 
erwähnen sind nur: 1. die verschiedenen Reichs- 
kammergerichtsordnungen von 1496, 1521, 1535; 
2. die Notariatsordnung Maximilians I. von 1512 
über Testamente; 3. das Reichsgesetz Karls V. 
von 1529 über die Erbfolge der Geschwister- 
kinder; 4. die Reichspolizeiordnungen von 1503, 
1548 und 1577 über das Konkubinat; 5. der 
jüngste Reichsabschied von 1654. 
Dieser Darstellung der Zivilgesetzgebung des 
heiligen römischen Reichs deutscher Nation ist noch 
der Hinweis darauf hinzuzufügen, daß auch der 
Talmud neben religiösen und Zeremonialvor= 
schriften eine Anzahl von zivilrechtlichen Bestim- 
mungen enthielt, nach welchen die Juden des 
Mittelalters sich in zahlreichen Fällen, unter An- 
erkennung dieser ihrer autonomen Rechtsquellen 
durch die gesetzgebende Gewalt, richteten (val. 
darüber Fassel, Mosaisch-rabbinisches Zivilrecht, 
1852;: Rabbinowicz, Législation civile du 
Talmud, Paris 1877).
	        
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