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Stütze für das Reich und die heutige Gesellschafts-
ordnung erblickt; sie kann dem Juristen, der das
Recht auf die Einzelfälle des Lebens anwendet,
und der Rechtswissenschaft, welche diese Anwen-
dung sichert und erleichtert, den Vorteil der Kon-
zentration aller rechtswissenschaftlichen Kräfte auf
die Vertiefung und die Fortbildung dieses Rechts
gewähren. Und hat die Zivilgesetzgebung ihre
Aufgabe richtig erfaßt und gelöst, dann fördert
die Vereinheitlichung des Rechts von ihrer Grund-
lage aus die ganze Kulturentwicklung eines Volks.
Zwar hat nach der Auffassung der historischen
Rechtsschule der Gesetzgeber nicht Recht zu schaffen,
er hat das in der Überzeugung des Volks vor-
handene Recht, die gemeinsame Rechtsüberzeugung,
nur festzustellen und zu redigieren. Und nach der
sozialistischen Geschichtsauffassung, welche das
geltende Recht als Recht der herrschenden Klassen
bezeichnet, soll Recht überhaupt nur sein, was der
jeweiligen Wirtschaft entspricht, so daß die Ver-
wirklichung der Idee der Gerechtigkeit nach beiden
Auffassungen von dem Gesetz nicht gefordert wird.
Aber die Gesetzgebung hat die Aufgabe, diesem
Ideal entgegenzustreben und auf eine Anderung
der herrschenden Zustände insoweit fortbildend hin-
zuwirken, als dieselben der Gerechtigkeit nicht ent-
sprechen. Die Zivilgesetzgebung wirkt mithin kul-
turfördernd, indem sie nach methodischem Plan
eine Reglung der bürgerlichen Rechtsverhältnisse
mit dem Zweck der Erzwingung eines der Ge-
rechtigkeit entsprechenden Verhaltens der Berech-
tigten und Verpflichteten vornimmt.
Das B. G.B. hat sich in seinem Plan an das
Pandektensystem angeschlossen, für dessen Gliede-
rung die innere Verschiedenheit der zu regelnden
Lebensverhältnisse maßgebend war. Deren Haupt-
unterschied ist das Verhältnis des einzelnen als
Vermögensinhaber und als Familienglied sowie
in ersterer Beziehung sein Verhältnis zu seinem
Vermögen bei Lebzeiten und nach seinem Tod.
Daraus ergibt sich die Gliederung in das Recht
der Schuldverhältnisse, das Sachenrecht, das Fa-
milienrecht und das Erbrecht. Vorausgeschickt sind
diesen vier Büchern in einem allgemeinen Teil
diejenigen Rechtssätze und Rechtsinstitute, welche
allen Teilen des Systems gemeinsam sind. Als
Privatrechtsgesetzbuch enthält das B.G.B. keine
Vorschriften über sich selbst; diese sind der Reichs-
verfassung zu entnehmen (Verf.-Urk. Art. 2). Auch
für seine Auslegung hat das B.G.B. keine Vor-
schriften aufgestellt, sie sind der Rechtswissenschaft
und der Rechtsprechung zu entnehmen. Allen
physischen Personen ist die Rechtsfähigkeit gewähr-
leistet, so daß auch die Ordenspersonen rechtsfähig
sind; doch ist den Landesgesetzen überlassen, deren
Erwerb durch Schenkung und von Todes wegen
bei mehr als 5000 kJ1 zu beschränken. Die Ent-
mündigung ist auch wegen Geistesschwäche und
wegen Trunksucht zugelassen. Vereine werden
durch Eintragung in das Vereinsregister des zu-
ständigen Amtsgerichts, Stiftungen durch staat-
Zivilgesetzgebung.
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liche Genehmigung rechtsfähig. Die Eintragung
darf den Vereinen nur versagt werden, wenn sie
wirtschaftliche Geschäfte betreiben oder einen reli-
giösen, politischen oder sozialpolitischen Zweck
verfolgen, oder wenn sie nach dem öffentlichen
Vereinsrecht zu verbieten sind. Für Vereine mit
wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb gelten Sonder-
gesetze. Über andere juristische Tatsachen als die
Rechtsgeschäfte enthält das B.G. B. keine all-
gemeinen Vorschriften. Für die Rechtsgeschäfte
gilt Formfreiheit als Regel, ausnahmsweise er-
fordert das Gesetz Schriftlichkeit oder gerichtlichen
oder notariellen Abschluß oder öffentliche Beglau-
bigung der Unterschrift der Beteiligten oder die
Errichtung vor Gericht oder Notar bei gleichzei-
tiger Anwesenheit beider Teile. In letzterer Be-
ziehung kommt namentlich die Grundstücksauflas-
sung in Betracht. Scharf durchgeführt ist im
Verkehrsinteresse die Trennung des obligatorischen
von dem dinglichen Vertrag; dies hat zur Wir-
kung, daß Mängel des obligatorischen Vertrags
das dingliche Erfüllungsgeschäft nicht ergreifen, so
daß letzteres gültig bleibt, auch wenn ersterer an-
gefochten wird. Unser Rechtsverkehr vollzieht sich
in seiner großen Masse durch die Eingehung von
Verträgen; das B.G.B. beruht auf dem Prinzip
der Vertragsfreiheit. Zum Schutz gegen deren
Mißbrauch ist bestimmt, daß Rechtsgeschäfte, welche
gegen die guten Sitten verstoßen, nichtig sind, daß
jede Rechtsausübung unzulässig ist, welche nur den
Zweck hat, einem andern Schaden zuzusügen, so-
wie daß jeder Vertrag so auszulegen und seine
Erfüllung so zu bewirken ist, wie Treu und
Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es
erfordern. Noch kein Gesetzbuch hat gewagt, im
Interesse der Gerechtigkeit so weit zu gehen wie
das B.G.B. und alle Wuchergeschäfte für nichtig
zu erklären, gleichgültig ob Geld= oder Sach-
wucher, Kauf oder Miete oder eine andere Ver-
pflichtung vorliegt. Der Schutz gegen Rechtsmiß-
brauch ist in verschiedenen Wendungen bei den
einzelnen Schuldverhältnissen in seiner Durch-
führung gesichert. Der Grundsatz von Treu und
Glauben zwingt den Richter mit Bezug auf die
Auslegung des Inhalts des Vertrags und auf
seine Erfüllung zur Ermittlung dessen, was nach
dem Willen der Parteien das Richtige, das Ge-
rechte ist. Um der Gerechtigkeit gerecht zu werden,
verweist das B.G.B. in immer neuen Wendungen
über den Wortsinn der Verträge hinaus auf die
Beachtung der sittlichen Pflicht, auf gewichtige
Gründe, auf die verständige Würdigung, ja direkt
sogar auf die Billigkeit oder auf das billige Er-
messen. Allerdings hat damit das Gesetzbuch einen
Teil seiner Sorge auf den Richterstand abgewälzt,
es ist das aber nur geschehen, wo die Fesselung
der Rechtsverhältnisse an einen allgemeinen zwin-
genden Rechtssatz im Einzelfall zu einem unbil-
ligen Ergebnis hätte führen können und müssen,
während vertraut werden durfte, daß die Recht-
sprechung dem Einzelfall werde gerecht werden.