Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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In dieser Beziehung ist die neue Bestimmung 
charakteristisch, daß ein Unzurechnungsfähiger, 
besonders ein Kind oder ein Geisteskranker einen 
von ihnen gestifteten Schaden insoweit zu ersetzen 
haben, als die Billigkeit eine Schadloshaltung 
erfordert und der Täter seinen Unterhalt behält. 
Der Zinsfuß ist auf 4% herabgesetzt, Vertrags- 
strafen können ermäßigt werden, unpfändbare 
Forderungen sind nicht abtretbar, und die Auf- 
rechnung gegen sie ist ausgeschlossen. Kauf bricht 
nicht Miete, ungesunde Wohnungen sind jederzeit 
kündbar; in dem Dienst= und Gesindeverhältnis 
ist für die Gesundheit, Sittlichkeit und Religion 
der Arbeitnehmer schützend vorgesorgt. Frei ist 
der Eigentümer in der Verfügung über sein Eigen- 
tum; aber in dem Widerstreit zwischen dem Ge- 
brauch dieses stärksten Rechts und seinem Miß- 
brauch haben sich die Gesetzgebungen aller Zeiten 
um die Zurückdämmung der Auswüchse bemüht. 
Das B.G. B. ist, außer durch das Schikaneverbot, 
mit der Reglung des Nachbarrechts und mit den 
dem Fremden gewährten Befugnissen in der Be- 
schränkung der Willkür des Eigentümers über die 
seitherige Gesetzgebung hinausgegangen. Es ge- 
tattet jedem, dessen Sache auf ein fremdes Grund- 
stück gelangt ist, die Betretung dieses Grundstücks, 
selbst des Hauses, zur Aufsuchung und Wegnahme 
der Sache; dafür hat er den entstandenen Schaden 
zu ersetzen, für den bevorstehenden Sicherheit zu 
leisten. Umgekehrt hat der Nachbar den ohne 
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit erfolgten Über- 
bau gegen Entschädigung in Rente zu dulden, 
wenn er nicht sofort gegen die Grenzüberschrei- 
tung Widerspruch erhoben hatte. Dem Eigen- 
tümer ist verwehrt, die Einwirkung eines andern 
auf seine Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung 
zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr not- 
wendig ist und die Gefahr dem Dritten einen 
großen Schaden droht, zu dem der dem Eigen- 
tümer durch die Einwirkung entstehende Nachteil 
in keinem Verhältnis steht. Das Sachenrecht ist 
auf die in dem B.G.B. und den landesrechtlichen 
Vorbehalten zugelassenen Rechtsinstitute beschränkt, 
der Inhalt dieser Institute unterliegt jedoch weit- 
hin dem Parteibelieben. Geregelt ist im B.G.B. 
neben dem Sachbesitz das Eigentum, das Erb- 
baurecht, die Dienstbarkeiten, das Vorkaufsrecht, 
die Reallasten und das Pfandrecht. Dabei unter- 
stehen die Rechte an Grundstücken dem Grundbuch- 
system, die an beweglichen Sachen dem deutsch- 
rechtlichen Grundsatz, daß die Hand die Hand zu 
wahren hat, der Besitz dem Prinzip der tatsäch- 
lichen Gewalt über die Sache. Zur Begründung 
aller Rechte an Grundstücken, also nicht des Be- 
sitzes, ist ihre Eintragung in das Grundbuch er- 
forderlich; von dem Grundbucheintrag hängt auch 
ihr Erlöschen und vielfach ihre Veränderung ab. 
Die Grundbuchordnung regelt das Verfahren. 
Das Pfandrecht ist verschieden geregelt für Grund- 
stücke, für bewegliche Sachen und für Schiffe, an 
Grundstücken als Hypothek, Grundschuld und 
  
  
Zivilgesetzgebung. 
  
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Rentenschuld, von denen die Hypothek zu ihrer 
Entstehung eine persönliche Forderung voraussezt. 
Das Familienrecht umfaßt die Ehe, das eheliche 
Güterrecht, die Verwandtschaft und die Vormund- 
chaft. Als Eheschließung gilt nur der vor einem 
bereiten Standesbeamten erklärte Wille zur Ein- 
gehung der Ehe. In der Ehe ist der Mann das 
Haupt der Familie, dem die Frau als Gehilfin 
zur Seite steht. Das Vermögen der Frau unter- 
steht der Verwaltung und Nutznießung des Man- 
nes, wenn die Ehegatten nicht ein anderes Güter- 
rechtssystem vertraglich bestimmen, was sie jeder- 
zeit können. Durchweg ist vorgesorgt, daß die 
Frau sich ihr eingebrachtes Gut gegen die Ge- 
fährdung durch den Mann sichern und für später 
erhalten kann. Außerdem kann die Frau Vor- 
behaltsgut haben, über das sie ausschließlich zu 
verfügen berechtigt ist; Vorbehaltsgut wird na- 
mentlich, was die Frau durch ihre Arbeit selb- 
ständig erwirbt, vorausgesetzt daß nicht Arbeiten 
im Haushalt die Erwerbsquelle sind. Zur Über- 
nahme eines Erwerbs bedarf die Frau nicht der 
Zustimmung des Mannes. In ihrer Geschäfts- 
fähigkeit wird die Frau durch ihre Verheiratung 
nicht beschränkt. Im Rechtsverkehr mit Dritten 
gilt allerdings das Vorbehaltsgut als solches nur 
dann, wenn diese Eigenschaft in das eheliche 
Güterrechtsregister eingetragen ist oder dem Dritten 
bekannt war. Als vertragsmäßige Güterrechts- 
spsteme sind die allgemeine Gütergemeinschaft, die 
Errungenschafts= und die Fahrnisgemeinschaft 
eingehend geregelt den Ehegatten zur Verfügung 
gestellt. Wird einer dieser Güterstände gewählt, 
so ist dies in das Güterrechtsregister einzutragen. 
Ein überlebender Ehegatte kann beim Güterstand 
der allgemeinen Gütergemeinschaftund der Fahrnis= 
gemeinschaft diese mit den Kindern fortsetzen, letz- 
tere allerdings nur bei besonderer Vereinbarung. 
Die Gründe der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und 
Scheidung der Ehe sind neu geregelt; zugelassen 
ist statt des Antrags auf Ehescheidung der Antrag 
auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft unter 
Fortbestehen des Ehebands, dem jedoch vom an- 
dern Ehegatten der Scheidungsantrag entgegen- 
gesetzt werden kann. Das kirchliche Ehegesetz- 
gebungsrecht ist außer Wirksamkeit gesetzt, wodurch 
das Dogma von der ausschließlichen Berechtigung 
der Kirche zur Reglung der Eingehung und Tren- 
nung der Ehe sowie von der Unauflöslichkeit der 
Ehe verletzt ist. Dem Katholiken bleibt verboten, 
sich dem persönlichen Eherecht des B.G.B. zu 
unterwerfen. Die Eheschließung bleibt für ihn 
von der Beobachtung der tridentinischen Ehe- 
schließungsform abhängig, und er darf die Er- 
klärung vor dem Standesbeamten nur mit der 
Absicht der Herbeiführung der staatlichen Wir- 
kungen für seine Eheerklärung vor dem zuständigen 
Geistlichen abgeben. Eine Ehetrennung darf er 
vor dem staatlichen Gericht erst nach der erfolgten 
Trennung durch das kirchliche Ehegericht bean- 
tragen, ein Antrag auf Ehescheidung kann von 
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