Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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teiligt zu sein (Parteifähigkeit), als auch weiter 
sähig sein, für sich oder andere, sei es selbst oder 
durch Vertreter, vor Gericht wirksam handeln zu 
können (Prozeßfähigkeit). Die Parteifähigkeit ist 
eine Voraussetzung der Prozeßfähigkeit; diese reicht 
so weit, wie sich eine Partei verpflichten kann; 
doch können auch nichtrechtsfähige Vereine, als 
wären sie rechtsfähig, verklagt werden. Die Pro- 
zeßhandlungen einer partei= oder prozeßunfähigen 
Partei sind ungültig; daher hat das Gericht die 
Partei= und Prozeßfähigkeit der vor ihm Han- 
delnden von Amts wegen zu prüfen. Die man- 
gelnde Prozeßfähigkeit einer Partei wird durch 
deren gesetzliche Vertretung ergänzt, welche von 
der Bevollmächtigung durch die Partei zu unter- 
scheiden ist. Gesetzliche Vertreter einer Partei 
sind diejenigen Personen, welche durch das bürger- 
liche Recht und nicht durch den Willen der Par- 
teien zur prozessualen Vertretung parteifähiger, 
aber prozeßunfähiger Personen berufen sind. Sie 
sind nicht Partei, werden aber wie eine Partei 
behandelt, weil sie den Prozeß unabhängig von 
dem Wissen und Wollen der von ihnen vertretenen 
Partei nach ihrem Ermessen zu führen haben. Ge- 
setzliche Vertreter sind der Vormund und Pfleger, 
die Organe der juristischen Personen sowie der 
parteifähigen Personenmehrheiten, der Vater der 
minderjährigen Kinder bezüglich ihres Sonder- 
guts. Beschränkt prozeßfähig sind Minderjährige, 
welche mit Genehmigung des Vaters oder Vor- 
munds ein Erwerbsgeschäft begonnen oder ein 
Dienst= oder Arbeitsverhältnis eingegangen haben, 
bezüglich der aus dem Betrieb des Erwerbs- 
geschäfts, aus dem Abschluß oder der Auflösung 
des Dienst= oder Arbeitsverhältnisses entsprun- 
genen Rechtsverhältnisse. Wer prozeßfähig ist, ist 
es für alle in den Prozeß fallenden Handlungen. 
Die Klage kann nur vor einem zuständigen 
Gericht angestellt werden. Die Zuständig- 
keit eines Gerichts zur Verhandlung und Ent- 
scheidung eines einzelnen Rechtsstreits bildet die 
oberste Voraussetzung für die Vornahme irgend 
welcher Prozeßhandlungen vor und von demselben. 
Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte (Amts- 
oder Landgericht, je nach dem Wert oder der 
Beschaffenheit des Streitgegenstands) ist durch das 
Gerichtsverfassungsgesetz geregelt. Die örtliche Zu- 
ständigkeit der Gerichte wird in der Regel durch 
den Gerichtsstand des Beklagten bestimmt (actor 
sequitur forum rei). Seinen allgemeinen Ge- 
richisstand hat der Beklagte bei dem Erstinstanz- 
gericht (Amts= oder Landgericht) für denjenigen 
Ort, an welchem er seinen Wohnsitz hat, gleich- 
gültig, ob derselbe In= oder Ausländer ist (forum 
domiciliül). Entscheidend ist der Wohnsitz des 
Beklagten zur Zeit der Erhebung der Klage. Die 
einmal begründete Zuständigkeit des Gerichts 
dauert fort, wenn auch der anfangs vorhandene 
Kompetenzgrund späterhin wegfällt. Das forum 
domicilü ist nicht das einzige Forum, aber es ist 
das einzige forum generale, neben welchem alle 
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 
Zivilprozeß. 
  
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andern Gerichtsstände als besondere erscheinen, 
wenngleich dieselben nicht auf Sonderrecht, son- 
dern auf gemeinem Recht beruhen. Die deutsche 
Zivilprozeßordnung hat nämlich im Anschluß an 
das gemeine Prozeßrecht zur Erleichterung der 
Rechtsverfolgung eine große Zahl von besondern 
Gerichtsständen zugelassen, welche teils durch die 
Art der Streitsache, das materielle Rechtsverhält- 
nis (vermögensrechtliche Ansprüche, Erbschaft, Ehe, 
dingliche Ansprüche), teils durch prozessuale Mo- 
mente, teils durch Beauftragung seitens des höheren 
Gerichts oder Parteivereinbarung bestimmt sind. 
Für das Verhältnis der Gerichtsstände unter sich 
gilt als Regel, daß die Parteivereinbarung allen 
gesetzlichen Gerichtsständen vorgeht, und daß 
zwischen dem korum domicilil und den nicht aus- 
schließlichen besondern Gerichtsständen der Kläger 
die Wahl hat. Ausgeübt wird die Wahl durch 
die in der Zustellung der Klage erfolgende Ladung 
des Beklagten vor ein bestimmtes Gericht. 
Das Verfahren vor den Landgerichten, nicht 
auch das vor den Amtsgerichten, unterliegt dem 
Anwaltszwang. Der Rechtsanwalt handelt 
auf Grund der ihm erteilten Vollmacht, welche von 
ihm auf Verlangen des Gegners schriftlich zu den 
Gerichtsakten zu übergeben ist. Er vertritt die 
Partei sowohl in ihrer Willensentschließung als 
auch in der Erklärung ihres Willens. Soweit 
seine Vollmacht reicht, gelten seine Handlungen 
und Unterlassungen als Handlungen der Partei. 
Für den Anwaltsprozeß ist der Umfang der Pro- 
zeßvollmacht gesetzlich bestimmt, eine Beschränkung 
des gesetzlichen Umfangs der Vollmacht ist dem 
Gegner gegenüber nur insoweit wirksam, als diese 
Beschränkung die Beseitigung des Rechtsstreits 
durch Vergleich, Verzichtleistung auf den Streit- 
gegenstand oder Anerkennung des von dem Gegner 
geltend gemachten Anspruchs ausschließt. 
Die durch die Zustellung der Klage bewirkte 
Einleitung des Prozesses (Litiskontestation) beein- 
flußt die Gestaltung des streitigen Rechtsverhält- 
nisses. Die durch sie bewirkte Rechtshängigkeit er- 
lischt mit der Beendigung des begonnenen Rechts- 
streits, insbesondere durch ein rechtskräftiges End- 
urteil und durch Fallenlassen des Prozesses seitens 
der Partei; doch bleibt im Fall der Zurücknahme 
der Klage das Gericht für die rechtshängige Wider- 
klage zuständig. 
Während der Streitgegenstand durch die Er- 
hebung der Klage festgelegt ist, verharrt der Streit 
selbst bis zum Moment des Urteils im Zustand 
der Flüssigkeit. Alles, was bis zum Urteil ge- 
schieht, geschieht rechtzeitig, weil die Parteitätig- 
keit vor dem Urteil nur Material für das Urteil 
anzusammeln und aufzuhäufen hat. Selbst die 
vor dem Urteil erlassenen Entscheidungen des Ge- 
richts haben keine bindende Kraft. Daher kann 
ein neues, bisher unterlassenes Vorbringen der 
Partei, die Erkenntnis des Richters, daß der Pro- 
zeß in einer verkehrten Richtung geführt worden 
ist, ihn, nachdem er schon beim Ende angelangt 
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