Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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der Reihe der ordentlichen Rechtsmittel die Wieder- 
einsetzung in den vorigen Stand, der Einspruch 
und die Wiederaufnahme des Verfahrens durch 
Nichtigkeits= und Restitutionsklage aus. Unter 
den ordentlichen Rechtsmitteln ist die Beschwerde 
von einer mehr untergeordneten, nebensächlichen 
Bedeutung. Den Gegenstand der Anfechtung 
durch sie bilden verhältnismäßig einfache, unbe- 
deutende Entscheidungen, welche entweder ohne 
mündliche Verhandlung ergangen sind oder einen 
Streit zwischen den Parteien und dritten Per- 
sonen bezielen oder eine sachliche Entscheidung 
nicht enthalten. Endurteile sind niemals Gegen- 
stand der Beschwerde. Umgekehrt haben die Be- 
rufung und Revision nur Endurteile zu ihrem 
Gegenstand. Die Berufung gewährt der Partei 
nicht nur die Möglichkeit einer Kritik des Ver- 
fahrens erster Instanz oder einer Nachprüfung und 
Berichtigung des unterrichterlichen Urteils vom 
Gesichtspunkt der Frage aus, ob gerecht geurteilt 
sei, sondern auch der Erneuerung und Wieder- 
holung des Rechtsstreits vor einem andern Ge- 
richt, das durch seine zahlreichere Besetzung und 
als Kritik übendes eine größere Garantie für die 
Ermittlung der materiellen Wahrheit bietet. Für 
das Verfahren in der Berufungsinstanz gilt An- 
waltszwang. Die Konstruktion desselben entspricht 
derjenigen des landgerichtlichen Verfahrens. An- 
griffs= und Verteidigungsmittel, welche in erster 
Instanz nicht geltend gemacht sind, insbesondere 
neue Tatsachen und Beweismittel, können in der 
Berufungsinstanz unbeschränkt geltend gemacht 
werden; neue Ansprüche aber nur, wenn mit den- 
selben kompensiert werden soll, und wenn zugleich 
glaubhaft gemacht wird, daß die Partei ohne ihr 
Verschulden außerstande gewesen sei, dieselben in 
erster Instanz geltend zu machen. Gegen die Ur- 
teile der Amtsgerichte ist die Berufung bei dem 
Landgericht, gegen die erstinstanzlichen Urteile der 
Landgerichte beim Oberlandesgericht einzulegen, 
und zwar binnen Monatzfrist seit der Zustellung. 
— Betreffen die Berufungsurteile der Ober- 
landesgerichte einen Streitgegenstand von mehr 
als 4000 M so ist gegen dieselben binnen Monats- 
frist seit der Zustellung als weiteres Rechtsmittel 
die Revision beim Reichsgericht zulässig; auch 
für sie gilt Anwaltszwang. Die Prüfung des 
Reichsgerichts ist lediglich darauf beschränkt, ob 
nicht die angefochtene Entscheidung auf der Ver- 
letzung eines Gesetzes beruht, sei es durch Nicht- 
anwendung oder durch nicht richtige Anwendung 
eines bestehenden Rechtssatzes. Die der Entschei- 
dung des Rechtsstreits zugrunde liegende tatsäch- 
liche Würdigung ist der Nachprüfung des Re- 
visionsrichters entzogen. 
Wird von den Parteien nicht innerhalb der 
gesetzmäßigen Frist ein Rechtsmittel gegen das 
Urteil eingelegt, so treten nunmehr die materiellen 
Wirkungen der Rechtskraft der Endentscheidung 
ein. Das rechtskräftig gewordene Urteil erweist 
sich dauernd als maßgebend für das Rechtsver- 
Zölibat. 
  
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hältnis unter den Parteien; das rechtskräftig Zu- 
erkannte kann nicht mehr bestritten, das rechts- 
kräftig Aberkannte nicht mehr geltend gemacht 
werden. Das Urteil wirkt für und gegen die Par- 
teien und diejenigen Personen, welche nach Ein- 
tritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der 
Parteien oder Inhaber des in Streit befangenen 
Gegenstandes für eine der Parteien geworden sind. 
Für den Umfang der Rechtskraft ist der Inhalt 
der Urteilsformel, nicht der der Entscheidungs- 
gründe maßgebend, doch kann ersterer aus letzteren 
ausgelegt werden. Ausnahmsweise kann eine rechts- 
kräftig entschiedene Streitfrage in einem neuen 
Rechtsstreit Gegenstand der Parteiverhandlung 
und Gerichtsentscheidung werden, wenn in diesem 
Verfahren nicht Identität der Parteien oder der 
Streitfrage vorliegt. 
Die Kosten des Rechtsstreits hat die unter- 
liegende Partei zu tragen, und zwar sowohl dem 
Staat wie der siegenden Partei gegenüber. Die 
Berechnung der Kosten erfolgt nach Pauschsätzen 
unter Hinzurechnung von Auslagen und Schreib- 
sätzen. — Die Verwirklichung des in dem Urteil 
rechtskräftig festgestellten Anspruchs ist die Auf- 
gabe der Zwangsvollstreckung. Das Ver- 
fahren ist eingehend geregelt. Sie erfolgt durch 
die Gerichtsvollzieher. Die Mitwirkung des Ge- 
richts tritt nur ein, wenn es sich um Einwendungen 
des Schuldners oder dritter Personen gegen die 
Vollstreckung oder um die Beseitigung von An- 
ständen der verschiedensten Art, welche das Ver- 
fahren finden kann, oder um die Einleitung oder 
Durchführung eines Verteilungsverfahrens, um 
Arreste oder einstweilige Verfügungen oder um 
die Ableistung des Offenbarungseides handelt. Die 
notwendige Voraussetzung einer jeden Zwangs- 
vollstreckung ist das Vorhandensein eines vollstreck- 
baren Schuldtitels und der Vollstreckungsklausel 
auf demselben. 
Literatur. Die Lehrbücher des Zees von 
Wetzell, Wach, Fitting, Planck, Schmidt, Hellwig, 
Weismann; die Kommentare zur deutschen Z.ord- 
nung von Skonitzki, Struckmann-Koch, Seuffert, 
Stein, Reincke, Remele-Anger, Neukamp; Busch, 
Zeitschrift für deutschen Z. (seit 1879). Eine Dar- 
stellung des Z.rechts der Kulturstaaten in 7 Bdn 
ist von Kohler-Wach zu erwarten. Spahn.) 
Zölibat. (I. Begriff. II. Geschichte: 1. Die 
älteste Zeit, 2. die Entwicklung im Orient, 3. die 
altere Gesetzgebung im Abendland und ihre prak- 
tische Geltung, 4. der Kampf gegen die Majoristen- 
ehe, 5, der Abschluß der Gesetzgebung. III. Gelten- 
des Recht: 1. Umfang, 2. Inhalt, 3. Rechtsgrund, 
4. Sanktion, 5. Dispens. IV. Evangelische Kirche 
und moderner Staat.) 
I. Begriff. Der Ausdruck „Zölibat“ (coeli- 
batus) hat zunächst nur etwas rein Negatives zum 
Inhalt, indem er das Vorhandensein einer Ehe 
leugnet. Insofern fällt Zölibat mit „Ehelosigkeit“ 
zusammen (vgl. lex lulia und lex Papia Pop- 
paea, die auf Zölibat im Sinn von Ehelosigkeit 
sowie auf Kinderarmut Vermögensstrafen setzten). 
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