Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Die Zölibatsgesetze sind in den Jahrhunderten 
vor und nach dem Tridentinum vielfach, sei es 
von einzelnen, sei es in weiten Kreisen des Klerus 
gemäß den jeweiligen allgemeinen sittlichen Verhält- 
nissen mißachtet worden. An ihrer rechtlich ver- 
pflichtenden Kraft aber wurde niemals gezweifelt. 
Und auch die mannigfachen Versuche, sei es der 
Fürsten, z. B. der Kaiser Ferdinand I., Maxi- 
milian II., oder aus den Reihen des Klerus selbst, 
so vor allem Ende des 18. und in den ersten De- 
zennien des 19. Jahrh. in Schlesien, Württem- 
berg und Baden, die Päpste zur Aufhebung des 
Zölibatsgebots zu veranlassen, blieben ohne Er- 
folg. Mit Entschiedenheit traten die Päpste, vor 
allem auch in neuerer Zeit Gregor XVI. (1832) 
und Pius IX. (1846, 1849, 1851), allen der- 
artigen Bestrebungen entgegen. Auch mehrfache 
Anträge an die Ständeversammlungen in den 
1820er und 1830er Jahren, die Regierungen 
möchten einseitig die Zölibatsgesetze beseiligen, sind 
ohne Erfolg geblieben. Und Gleiches gilt von den 
neuesten Bemühungen in Osterreich. 
III. Geltendes Recht. 1. Umfang. Der 
Zölibat hat, wie wir sahen, in der morgen= und 
abendländischen Kirche nicht den gleichen Umfang. 
In den morgenländischen unierten, wie 
nichtunierten Kirchen sind zum Zölibat allein die 
Bischöfe verpflichtet, die höheren Kleriker nur 
dann, wenn sie vor Empfang der Subdiakonats- 
weihe nicht geheiratet haben, oder ihre Ehe durch 
Tod ihrer Frau usw. gelöst ist. In der abend- 
ländischen Kirche erstreckt sich die Zölibats- 
pflicht einmal absolut auf alle Kleriker der höheren 
Weihen, sodann in relativer Weise auch auf Mi- 
noristen, falls und solang sie ein kirchliches Offi= 
zium oder Benefizium innehaben. 
2. Inhalt. Die Zölibatsgesetze haben für 
die davon betroffenen Personen ein Eheverbot zum 
Inhalt, nicht aber befassen sie sich mit den für alle 
Kleriker geltenden Vorschriften, die einen keuschen 
Lebenswandel des Klerus sichern sollen und deren 
Übertretung mit besondern Strafen bedroht ist. 
Während nun das für die Benefiziaten mit 
niederen Weihen bestehende Eheverbot sich 
nur als ein relatives darstellt, insofern als die von 
ihnen geschlossene Ehe gültig ist und nur den 
Verlust des Offiziums oder Benefiziums nach sich 
zieht, ohne daß letzteres den Charakter einer Strafe 
trüge, ist das aus der Zölibatsverpflichtung der 
Majoristen fließende Eheverbot ein absolutes, 
sowohl im Orient als Okzident. Die von Ma- 
joristen eingegangene Ehe ist nicht nur unerlaubt, 
sondern auch null und nichtig, sie sind rechtlich 
unfähig, überhaupt eine Ehe zu schließen (vgl. 
die zitierten Gesetze Justinians, des Trullanums, 
des 2. Lateranense und des Tridentinums sowie 
c. 1. 4 X. 3, 3; c. 1. 2 X. 4, 6; c. un. in 
VI“ 3, 15; c. un. in Clem. 4, 1 u. a.). So- 
mit bildet der Empfang der höheren Weihen ein 
trennendes, öffentlich= rechtliches Ehehin- 
dernis (impedimentum ordinis). Voraus- 
Zölibat. 
  
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setzung für das Bestehen des Ehehindernisses 
wie für die Verpflichtung zum Zölibat ist aber, 
daß die höhere Weihe nicht nur gültig, sondern 
auch nicht unwissentlich, unter Zwang oder Furcht 
oder als Kind bzw. Unmündiger empfangen wurde. 
In diesen Fällen ist die Weihe zwar gültig, wenn 
auch unerlaubt, aber die Verpflichtung zum Zölibat 
ist nicht eingetreten (c. 3 N. 3, 42; Benedikt XIV., 
Const. „Eo quamvis“ vom 4. Mai 1745 8§§ 20 
bis 23). Unwissenheit oder Rechtsirrtum über die 
mit der Ordination verbundene Zölibatspflicht ist 
dagegen unerheblich und befreit von der Ver- 
pflichtung zur Ehelosigkeit nicht. Ebenso ist es 
ausgeschlossen, daß jemand die höheren Weihen 
empfängt, ohne zugleich die Verpflichtung zum 
Zölibat übernehmen zu wollen. — Die einmal 
durch Empfang der höheren Weihen gültig über- 
nommene Verpflichtung zur Ehelosigkeit und die 
damit inkurrierte Unfähigkeit, eine kirchlich gültige 
Ehe zu schließen, ist eine dauernde. Sie hört 
auch nicht auf, wenn der Kleriker ob eines De- 
likts dauernd irregulär oder von Weihe und Amt 
suspendiert oder deponiert wird. Ja selbst Degra- 
dation und Zurücksetzung in den Laienstand, Über- 
tritt zur Häresie, zum Schisma, Abfall vom 
Glauben ändert hieran nichts (c. 1 X. 3, 3; 
. 2 in VI/ 5, 9;c. 2 X. 4, 11;c. 7 X. 4, 19; 
c. 1. 3 X. 5, 3; Trid. sess. VII de sacr. 
in genere c. 9, de baptis. c. 7 u. 8; Bene- 
dit XIV., Const., Singulari nobis“ vom 9. Febr. 
1749 8§ 14 u. 15). 
Während im Morgenland die Subdiakonen, 
Diakonen und Presbyter, nicht aber Bischöfe, die 
vor Empfang der höheren Weihen geschlossene Ehe 
sortsetzen dürfen, ist dies den Majoristen der 
abendländischen Kirche versagt. Ja, noch mehr: 
wer verheiratet ist, kann wenigstens zu den 
höheren Weihen nicht zugelassen werden (indessen 
soll kein Verheirateter auch nur die Tonsur er- 
halten, der nicht später in einen Orden eintreten 
oder die höheren Weihen empfangen will; c. 4 in 
VI“ 1, 9) ist ex defectu libertatisirregulär. 
Diese Irregularität bleibt bestehen, solange die 
Ehefrau noch die ehelichen Rechte besitzt. Infolge- 
dessen ist die Zulassung zur Weihe, abgesehen da- 
von, daß der Kandidat nicht etwa noch ex dekectu 
sacramenti auf Grund der verschiedenen Fälle 
der bigamia vera oder bigamia interpretiva 
irregulär ist, erst möglich, wenn entweder die un- 
vollzogene Ehe durch Eintritt in einen Orden 
(professio religiosa) gelöst (c. 2. 7. 14 X. 3, 
32; Trid. sess. XXIV c. 6), bie vollzogene Ehe 
abgesehen von ihrer Auflösung durch Tod wegen 
Ehebruchs der Frau lebenslänglich vom kirchlichen 
Richter geschieden wurde (c. 4 X. 4, 19), oder 
aber wenn die Frau, auch falls die Ehe noch nicht 
vollzogen ist, ungezwungen ihre ausdrückliche oder 
stillschweigende Einwilligung zur Ordination ge- 
geben und so auf ihre ehelichen Rechte verzichtet 
hat (C. 5. 6 X. 3, 32; c. un. XKvag. loh. 6). Doch 
muß sie in ein Kloster eintreten und das feierliche
	        
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