Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Grenzen und im Grenzbezirk für den Schutz und 
die Erhebung der Zölle erforderlich sind. Die sog. 
Zollausschüsse zahlen statt der Zölle und Ver- 
brauchssteuern ein Aversum. 
IV. In Osterreich-Angarn wurde 1867 auf 
Grund der Gesetze von 1723 und 1867 das öster- 
reichisch-ungarische Zoll- und Handelsbündnis auf 
10 Jahre abgeschlossen, demgemäß beide Reichs- 
teile während der Dauer dieses Bündnisses ein 
Zoll= und Handelsgebiet mit einer gemeinsamen 
Zollgrenze bilden, keiner der beiden Teile Zwischen- 
zollinien errichten darf und die geltenden Zoll- 
tarise und Zollgesetze nur im gemeinsamen Ein- 
vernehmen der beiden Gesetzgebungskörper geändert 
oder aufgehoben werden sollen. Nach Verlauf der 
ersten 5 Jahre kann jeder Teil vom andern Teil 
unablehnbare Unterhandlungen behufs Ande- 
rungen beantragen. Wird binnen 6 Monaten 
eine Einigung nicht erzielt, so steht jedem Teil 
eine einjährige Kündigung frei. Am 1. Jan. 1879 
erschien ein neues Zolltarifgesetz mit erhöhten Zoll- 
sätzen, das bis 1. Juli 1882 in Kraft blieb. An 
dessen Stelle trat 1882 der allgemeine Zolltarif 
mit abermals erhöhten Zollsätzen und auf dem be- 
reits 1878 maßgebenden Streben beruhend, die 
Zölle als Finanzzölle auszubeuten. 1887 folgte 
ihm das gegenwärtig geltende, die meisten land- 
wirtschaftlichen Zölle erhöhende Zolltarifgesetz. 
1882 wurden Bosnien, die Hercegovina, Dal- 
matien und Istrien dem österreichisch-ungarischen 
  
  
  
Zollgebiet einverleibt. Das Fürstentum Liechten- 
stein gehört demselben seit 1852 durch besonderes 
Staatsgesetz an. Triest und Fiume sind in zoll- 
technischer Hinsicht noch Ausland, nur die Meist- 
begünstigung findet auf die aus ihren Häfen 
kommenden Waren Anwendung. Zollrecht und 
Zollverfahren richten sich nach der durch die Zoll- 
gesetze vom Mai 1882 und 1887 modifizierten 
Staatsmonopolordnung vom 11. Juli 1835. 
Die Behörden für das Zollstrafverfahren sind die 
Gefälls= bzw. Hauptzollämter, letzte Instanz ist 
das oberste Gefällsgericht. Die stetigen zollpoliti- 
schen Reibereien zwischen Osterreich und Ungarn 
(Industrie= und Agrarpolitik) haben das beider- 
seitige Streben dieser Staaten im Gefolge, die 
Zollgemeinschaft nach Ablauf des 1905 auf Grund 
des gemeinsamen Zollgebiets geschlossenen, inter- 
nationalen Handelsvertrags im Jahr 1917 wieder 
aufzuheben. " 
V. In der Schweiz schuf erst die Bundesverfas- 
sung vom 12. Sept. 1848, welche das Zollwesen 
dem Bund mit der Befugnis überwies, alle Innen- 
zölle abzulösen und Ein-, Durch= und Ausgangs- 
zölle zu erheben, ein einheitliches Zollsystem, indem 
sie dem vor 1848 bestandenen Zustand, wonach 
jeder Kanton seine eignen Zölle hatte, ein Ende 
bereitete. Ehedem gab es in der Schweiz über- 
haupt keine eidgenössischen Zölle, sondern nur ver- 
schiedene kantonale und städtische Umgelder, 
Marktzölle, Brücken-, Weggelder. Der Versuch 
  
Zuchthaus — Zurechnungsfähigkeit. 
  
(1799) einer einheitlichen Reglung der Ein= und 
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Ausfuhrgebühren und Einführung eines einheit- 
lichen Zolltarifs war bisher erfolglos geblieben. 
1849 erschien ein bis 1884 in Geltung gebliebener 
Zolltarif finanzieller Natur, wonach jede Ware 
(mit wenigen Ausnahmen) eine mäßige Taxe 
zahlte. Schutzzölle gab es nicht. Die Durchfuhr= 
zölle wurden 1859 erheblich ermäßigt, hörten aber 
erst 1868 ganz auf. Die neue Bundesverfassung 
von 1874 überwies alle Kantonszölle dem Bund. 
Das Jahr 1884 brachte wieder einen neuen, am 
1. Jan. 1885 in Kraft getretenen, ebenfalls han- 
delsfreiheitlichen Zolltarif, welchem schon 1887 
ein neuer schutzzöllnerischer Zolltarif folgte mit 
Geltung vom 1. März 1888 an. Der neueste, 
1905 in Wirksamkeit getretene, namentlich den 
Schutz der Landwirtschaft anstrebende Zolltarif 
vom Dez. 1904 gilt jedoch nur mangels von Zoll- 
verträgen mit andern Staaten oder bei deren Er- 
löschen. Die auf Grund dieses Zolltarifs errichteten 
neuen Handelsverträge brachten im allgemeinen 
eine Zollerhöhung mit sich. 
Literatur. Das Z. behandeln mehr oder weniger 
eingehend vom volkswirtschaftlichen bzw. finanz- 
wissenschaftlichen Standpunkt aus sämtliche Werke 
über Finanzwissenschaft u. Steuerwesen, vom staats- 
rechtlichen Gesichtspunkt aus die Lehr= u. Hand- 
bücher des deutschen Staatsrechts. Als Spezialwerke 
kommen in Betracht: v. Aufsees u. Wiesinger, Zölle 
u. Steuern des Deutschen Reichs (?1900); Haven- 
stein, Die Zollgesetzgebung des Deutschen Reichs 
(21906); Hoffmann, Das deutsche Zollrecht 1 
(1902); Trautvetter, Das neue deutsche Zolltarif- 
recht (1905); Egner u. Schuemacher, Unser Zoll= u. 
Steuerwesen (1907); Matlekowitz, Zollpolitik der 
österr.-ungar. Monarchie u. des Deutschen Reichs 
seit 1868 (1891); A. Huber, Entwicklung des eid- 
genössischen Zollsystems (1890). Über die Geschichte 
des Z.8 vgl. Falke, Gesch, des deutschen Z.s (1869) 
u. die Literatur bei Art. Zollverein. Über die deut- 
sche Zoll- bzw. Handelspolitik vgl. die Literatur 
bei Art. Handel u. Handelspolitik. 
Widder; Sacher.) 
Zuchthaus s. Gefängniswesen. 
Zunftwesen s. Innung. 
Zurechnungsfähigkeit. I. Allgemei- 
nes. PThilosophisches. Die Zurechnungsfähig- 
keit besteht in jenem Zustand eines Menschen, ver- 
möge dessen ihm eine Handlung und ihre Folgen 
als von ihm und seinem freien Willen ausgehend 
zugeschrieben werden können. Das Urteil, daß 
eine Handlung oder ihre Folgen dem freien Willen 
jemandes als ihrer bewirkenden Ursache zuzu- 
schreiben sind, nennt man die Zurechnung (Im- 
putation). Die Zurechenbarkeit (Imputabilität, 
Imputierbarkeit) ist das Aktribut einer Handlung 
oder deren Folgen und besteht in der Zurückführ- 
barkeit derselben auf einen freien Willensakt als 
auf ihre bewirkende Ursache. Zurechnungsfähig 
sind nur mit freiem Willen begabte Wesen. Wesen, 
die keinen freien Willen haben, können Tätigkeiten 
ausüben, ihrer Tätigkeit können verschiedene Wir- 
kungen zugeschrieben werden, aber sie können für 
dieselben nicht verantwortlich gemacht werden; sie 
 
	        
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