1868
nur eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit
statt; sie werden aber, was im Hinblick auf die
noch zu erörternden strafrechtlichen Verhältnisse be-
merkt sein mag, sofern sie bereits dem Alter der
Mündigkeit näher gekommen sind, der Zurechnung
von ihnen begangener unerlaubter Handlungen für
fähig erachtet. — Das alles gilt auch vom ge-
meinen Recht und im wesentlichen auch vom preußi-
schen Allgemeinen Landrecht. — Das Bürgerliche
Gesetzbuch für das Deutsche Reich hat den Begriff
der Handlungsfähigkeit, die außer der Fähigkeit,
Rechtsgeschäfte vorzunehmen, auch die zur Be-
gehung unerlaubter Handlungen und zur Ver-
letzung obligatorischer Verpflichtungen umfaßt,
nicht aufgenommen, behandelt vielmehr aus ge-
setzestechnischen Gründen die Fähigkeit, Rechts-
geschäfte vorzunehmen, unter dem Begriff Ge-
schäftsfähigkeit ohne Anderung des innern Gehalts
und die Deliktsfähigkeit gesondert. Auch nach
seiner Auffassung ist jeder Mensch geschäftsfähig, so-
weit nicht ein anderes bestimmt ist. In dieser Rich-
tung erklärt es in Ubereinstimmung mit den älteren
Rechten, Kinder unter sieben Jahren und weiter-
hin die wegen Geisteskrankheit Entmündigten für
vollständig, die über sieben Jahre alten Minder-
jährigen für beschränkt geschäftsfähig. Sodann
aber interessiert besonders, daß es in wörtlicher
Anlehnung an eine noch zu erörternde Bestimmung
des Strafgesetzbuchs ferner denjenigen für ge-
schäftsunfähig erklärt, der sich in einem die freie
Willensbestimmungausschließenden Zustand krank-
hafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern
nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüber-
gehender ist. Und weiterhin erklärt es, davon aus-
gehend, daß alle Menschen, soweit sie geschäfts-
fähig, auch deliktsfähig, also zurechnungsfähig in
Ansehung unerlaubter Handlungen seien, in noch
bestimmterem Anschluß an jene Bestimmung des
Strafgesetzbuchs denjenigen von der Verantwort-
lichkeit für einen von ihm angerichteten Schaden
frei, der im Zustand der Bewußtlosigkeit oder in
einem die freie Willensbestimmung ausschließenden
Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit
gehandelt hat. Die Deliktsfähigkeit der Kinder
unter sieben Jahren ist in Übereinstimmung mit
den Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit ver-
neint. Weiterhin aber grenzt es in Ansehung
der Deliktsfähigkeit eine Altersstufe vom 7. bis
zum vollendeten 18. Lebensjahr ab und läßt den
in einem solchen Alter Stehenden, ebenso auch
einen Taubstummen, für einen Schaden, den er
einem andern zufügt, nur verantwortlich sein,
wenn er bei Begehung der beschädigenden Hand-
lung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit er-
forderliche Einsicht hatte. Es setzt sich also auch in
diesem Punkt, ausgenommen die untere Alters-
grenze, in vollste Ubereinstimmung mit dem Straf-
gesetzbuch, mit ihm gleichzeitig für dieses Stadium
der menschlichen Entwicklung die oben unter I
neben der Willensfreiheit als Element der Zu-
rechnungsfähigkeit geforderte Erkenntnis und Ein-
Zurechnungsfähigkeit.
1364
sicht besonders hervorhebend und berücksichtigend.
Erwägt man noch, daß das Bürgerliche Gesetzbuch
in Ansehung der Willensmängel bei Rechtsge-
schäften eine dem oben erwähnten römisch-recht-
lichen Standpunkt sachlich entsprechende Stellung
einnimmt, so wird man mit der herrschenden, aller-
dings lebhaft bestrittenen Ansicht zu der Annahme
gelangen müssen, es habe das Gesetzbuch die zivil-
rechtliche Zurechnungsfähigkeit (Handlungsfähig-
keit, Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit) im Geist
des Indeterminismus aufgefaßt, wonach ihre un-
erläßliche Voraussetzung die Fähigkeit der freien
Willensbestimmung in metaphysischem Sinn bildet.
3. Was die Zurechnungsfähigkeit im
Strafrecht anlangt, so ist darüber schon einiges
in den Artikeln Strafe usw. und Strafrecht gesagt.
Daraus ergibt sich, daß das altgermanische
Strafrecht noch keine Reflexionen über die Zu-
rechnungsfähigkeit im oben erörterten Sinn an-
gestellt hat. Es unterzog überhaupt den Willens-
zustand eines einer strafbaren Handlung Beschul-
digten keiner näheren Prüfung, sondern sah auf
den äußern Erfolg der Tat. Im Gegensatz dazu
sah, wie das ebenfalls bereitsbemerkt wurde, das rö-
mische Strafrecht in hervorragender Weise gerade
auf den verbrecherischen Willen. In übereinstim-
mung mit dem Zivilrecht behandelte es alle Men-
schen als zurechnungsfähig in Ansehung der Be-
gehung strafbarer Handlungen, ausgenommen
Kinder unter sieben Jahren und Geisteskranke,
welch letztere in dem Ausdruck Wahnsinnige (fu-
riosi) zusammengefaßt werden. Bei Jugendlichen
über sieben Jahren findet Prüfung der Einsicht
im einzelnen Fall statt. Wahnsinnige sind nur in
sog. lichten Zwischenräumen zurechnungsfähig; im
übrigen wird ihr Tun und Lassen dem Zufall gleich-
geachtet. In allem eine vollständige Parallele zur
zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit. Fortgebildet
wurden die römischen Anschauungen im kanoni-
schen Recht und durch die italienischen Juristen.
Immerhin bleibt aber im deutschen Recht noch
weiterhin die geringere Durchbildung der Straf-
gesetzgebung im Verhältnis zum Zivilrecht beson-
ders bemerkbar. Die mittelalterlichen Rechtsquellen
beginnen jedoch, die Straflosigkeit „rechter Toren“
und „sinnloser Leute“ wie die mindere Strafbar=
keit von Jugendlichen zu bestimmen. In der
Praxis des gemeinen Rechts erhielten all-
mählich jene römisch-kanonischen Anschauungen die
Überhand. Das Ergebnis war die Aufnahme des
allgemeinen Grundsatzes in die Peinliche Gerichts-
ordnung von 1532, daß diejenigen, welche ihrer
Jugend oder anderer Gebrechlichkeit halber ihrer
Sinne nicht mächtig seien, den Kaiserlichen Räten
überwiesen werden sollten, nach deren Rat dann
gehandelt oder gestrast werden solle. Diese Be-
stimmung ist nur so aufzufassen, daß zwar einer-
seits die Altersgrenze für die absolute Unzurech-
nungsfähigkeit beseitigt ist, daß aber anderseits
eine Prüfung der Sinnesmacht (geistige Gesund-
heit? Fähigkeit der Selbstbestimmung 5) in jedem