Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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rechnungsfähig, so ist die Handlung strafbar, es 
kann aber während seines nunmehrigen Zustands 
der Unzurechnungsfähigkeit nicht strafgerichtlich 
gegen ihn verhandelt werden. Streitig ist, ob 
Straf-bzw. Schuldausschließung statthaben kann, 
wenn jemand im Stand der Zurechnungsfähigkeit 
eine Handlung begeht, die bei ihm selbst einen 
Zustand vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit 
herbeiführt (z. B. Trunkenheit, Schlas), in dem 
Bewußtsein oder auch der bestimmten Absicht, in 
dem letzteren Zustand eine strafbare Handlung zu 
begehen (actio libera in causa). Nach dem Mi- 
litärstrafgesetzbuch schließt z. B. selbstverschuldete 
Trunkenheit die Bestrafung nicht aus. Wissenschaft 
wie Rechtsprechung haben in diesem Punkt ge- 
schwankt. Man wird sich dahin entscheiden können, 
daß in solchen Fällen der Täter in zurechnungs- 
fähigem Zustand die Ursache setzt, die er in unzu- 
rechnungsfähigem Zustand nur fortsetzt, den „An- 
stoß zum Abrollen der Kausalkette“ gibt, und daß 
deswegen oft eine vorsätzliche, sonst eine fahrlässige 
strafbare Handlung vorliegt. Auf diesem Stand- 
punkt steht auch die Begründung zum Vorentwurf 
zum neuen deutschen Strafgesetzbuch. Dafür daß 
der Täter im konkreten Fall zur Zeit der Begehung 
der Handlung zurechnungsfähig gewesen, ist keine 
gesetzliche Vermutung aufgestellt. Es bedarf jedoch 
nicht der dahin gehenden ausdrücklichen Feststellung 
im Urteil. Ergeben sich Zweifel an der Zurech- 
nungsfähigkeit, so ist Beweis eventuell unter Bei- 
ziehung von Sachverständigen von Amts wegen 
zu erheben; den Beschuldigten trifft selbstverständ- 
lich keine Beweislast. Der Beweis ist aber nicht 
auf das positive Vorhandensein der Willensfreiheit 
bzw. der freien Willensbestimmung des Täters zu 
richten, sondern immer nur darauf, ob im kon- 
kreten Fall die jedem normalen Menschen eigne 
Willensfreiheit infolge des einen oder andern im 
Gesetz bezeichneten Umstandes ausgeschlossen war. 
Schon begründete Zweifel an der Zurechnungs- 
fähigkeit müssen zur Freisprechung führen. Der 
Mangel freier Willensbestimmung bzw. diese 
Zweifel bedürfen dann aber der tatsächlichen Fest- 
stellung im Urteil. Eine Freisprechung kann also 
nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, 
daß der Richter nicht die Uberzeugung von der 
Freiheit der Willensbestimmung des Angeklagten 
erlangt habe. Es darf daher auch nicht die Frage 
an die Geschworenen in die Form gekleidet wer- 
den, ob der Angeklagte mit Zurechnungsfähigkeit 
oder mit freier Willensbestimmung gehandelt 
habe. — Derselben Ausdrucksweise wie im § 51 
— „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden“ 
usw. — bedient sich das Gesetzbuch auch in den 
folgenden Paragraphen, die von den Fällen der 
Nötigung zu der begangenen Tat durch unwider- 
stehliche Gewalt oder durch schwere Drohung, der 
Notwehr und des Notstands handeln. Das hat 
denn auch Veranlassung zu der Meinung gegeben, 
es handle sich hier ebenfalls um Fälle der Schuld- 
ausschließung bzw. Unzurechnungsfähigkeit. Na- 
Zurechnungsfähigkeit. 
  
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mentlich war diese Ansicht lange Zeit herrschend, 
soweit es sich um Fälle von Notstand handelte. 
Allmählich aber hat sich die Ansicht Bahn ge- 
brochen, daß die Notstandshandlung, da sie zur 
Rettung aus unverschuldeter Gefahr für Leib und 
Leben begangen werde, ebensowenig wie die Not- 
wehrhandlung eine rechtswidrige Handlung sei 
und daß sie aus diesem Grund, ebenso wie die 
letztere, auch nicht als strafbare aufgefaßt werden 
könne. Mit einem gewissen Schein von Berechti- 
gung ließe sich jene Ansicht verfechten, soweit es 
sich um Nötigung durch Drohung handelt. Hier 
wird ebenso wie bei Notwehr und Notstand der 
Täter prinzipiell als zurechnungsfähig vorausge- 
setzt, er hat die Tat, wenngleich gezwungen, doch 
gewollt (coactus voluit), es war aber, so könnte 
man sagen, infolge des Zwangs durch Drohung 
die „freie“ Willensbestimmung ausgeschlossen. Es 
hat sich jedoch sehr bald die Ansicht Anerkennung 
verschafft, daß der durch Drohung herbeigeführte 
Zustand nichts anderes ist als eine Unterart des 
eigentlichen Notstands (Nötigungsnotstand), und 
daß er darum nicht anders als dieser selbst zu be- 
urteilen ist. Das hat dann zu der nicht unberech- 
tigten Auffassung geführt, daß die ganze Bestim- 
mung überflüssig sei, und zwar auch soweit sie 
die Nötigung durch unwiderstehliche Gewalt im 
Auge hat. Was nämlich diese betrifft, so ließe sich 
die durch unwiderstehliche Gewalt herbeigeführte 
Lage prinzipiell so auffassen, als sei durch die 
Gewalt die freie Willensbestimmung des an sich 
Willens= und Zurechnungsfähigen ausgeschlossen 
worden, allein in Wirklichkeit ist der Fall doch so 
zu betrachten, als liege auf seiten des durch un- 
widerstehliche Gewalt Genötigten überhaupt keine 
Handlung im Rechtssinn vor, als sei der Genötigte 
vielmehr das Werkzeug in der Hand des Nötigen- 
den. Wenn also für die Fälle dieser vier Gat- 
tungen im Strafgesetzbuch erklärt wird, es liege 
keine strafbare Handlung vor, so geschieht das 
nicht aus dem Gesichtspunkt, der Täter sei als 
unzurechnungsfähig zu betrachten. — Endlich 
widmet der Abschnitt einige Paragraphen den 
jugendlichen Verbrechern. Es wird unterschieden 
zwischen solchen, die das 12. Lebensjahr noch nicht 
vollendet haben, und solchen, die im Alter zwischen 
12 und 18 Jahren stehen. Von den ersteren heißt 
es, daß wegen einer in diesem Lebensalter be- 
gangenen Handlung der Täter strafrechtlich nicht 
verfolgt werden könne. Hier ist also überhaupt 
nicht davon die Rede, daß eine strafbare Hand- 
lung nicht vorhanden sei, insbesondere liegt auch 
kein Hinweis darauf vor, daß eine strafbare Hand- 
lung wegen Unzurechnungsfähigkeit, namentlich 
auch wegen mangelnder Fähigkeit der freien 
Willensbestimmung des Täters nicht anzunehmen 
sei, es ist vielmehr mit klaren Worten zum Aus- 
druck gekommen, daß nur ein strafgerichtliches 
Verfahren gegen den jugendlichen Täter nicht 
statthaben dürfe. Es wird indessen regelmäßig 
diese Altersstufe (Alter der Strafmündigkeit) als 
 
	        
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