1369
rechnungsfähig, so ist die Handlung strafbar, es
kann aber während seines nunmehrigen Zustands
der Unzurechnungsfähigkeit nicht strafgerichtlich
gegen ihn verhandelt werden. Streitig ist, ob
Straf-bzw. Schuldausschließung statthaben kann,
wenn jemand im Stand der Zurechnungsfähigkeit
eine Handlung begeht, die bei ihm selbst einen
Zustand vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit
herbeiführt (z. B. Trunkenheit, Schlas), in dem
Bewußtsein oder auch der bestimmten Absicht, in
dem letzteren Zustand eine strafbare Handlung zu
begehen (actio libera in causa). Nach dem Mi-
litärstrafgesetzbuch schließt z. B. selbstverschuldete
Trunkenheit die Bestrafung nicht aus. Wissenschaft
wie Rechtsprechung haben in diesem Punkt ge-
schwankt. Man wird sich dahin entscheiden können,
daß in solchen Fällen der Täter in zurechnungs-
fähigem Zustand die Ursache setzt, die er in unzu-
rechnungsfähigem Zustand nur fortsetzt, den „An-
stoß zum Abrollen der Kausalkette“ gibt, und daß
deswegen oft eine vorsätzliche, sonst eine fahrlässige
strafbare Handlung vorliegt. Auf diesem Stand-
punkt steht auch die Begründung zum Vorentwurf
zum neuen deutschen Strafgesetzbuch. Dafür daß
der Täter im konkreten Fall zur Zeit der Begehung
der Handlung zurechnungsfähig gewesen, ist keine
gesetzliche Vermutung aufgestellt. Es bedarf jedoch
nicht der dahin gehenden ausdrücklichen Feststellung
im Urteil. Ergeben sich Zweifel an der Zurech-
nungsfähigkeit, so ist Beweis eventuell unter Bei-
ziehung von Sachverständigen von Amts wegen
zu erheben; den Beschuldigten trifft selbstverständ-
lich keine Beweislast. Der Beweis ist aber nicht
auf das positive Vorhandensein der Willensfreiheit
bzw. der freien Willensbestimmung des Täters zu
richten, sondern immer nur darauf, ob im kon-
kreten Fall die jedem normalen Menschen eigne
Willensfreiheit infolge des einen oder andern im
Gesetz bezeichneten Umstandes ausgeschlossen war.
Schon begründete Zweifel an der Zurechnungs-
fähigkeit müssen zur Freisprechung führen. Der
Mangel freier Willensbestimmung bzw. diese
Zweifel bedürfen dann aber der tatsächlichen Fest-
stellung im Urteil. Eine Freisprechung kann also
nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden,
daß der Richter nicht die Uberzeugung von der
Freiheit der Willensbestimmung des Angeklagten
erlangt habe. Es darf daher auch nicht die Frage
an die Geschworenen in die Form gekleidet wer-
den, ob der Angeklagte mit Zurechnungsfähigkeit
oder mit freier Willensbestimmung gehandelt
habe. — Derselben Ausdrucksweise wie im § 51
— „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden“
usw. — bedient sich das Gesetzbuch auch in den
folgenden Paragraphen, die von den Fällen der
Nötigung zu der begangenen Tat durch unwider-
stehliche Gewalt oder durch schwere Drohung, der
Notwehr und des Notstands handeln. Das hat
denn auch Veranlassung zu der Meinung gegeben,
es handle sich hier ebenfalls um Fälle der Schuld-
ausschließung bzw. Unzurechnungsfähigkeit. Na-
Zurechnungsfähigkeit.
1370
mentlich war diese Ansicht lange Zeit herrschend,
soweit es sich um Fälle von Notstand handelte.
Allmählich aber hat sich die Ansicht Bahn ge-
brochen, daß die Notstandshandlung, da sie zur
Rettung aus unverschuldeter Gefahr für Leib und
Leben begangen werde, ebensowenig wie die Not-
wehrhandlung eine rechtswidrige Handlung sei
und daß sie aus diesem Grund, ebenso wie die
letztere, auch nicht als strafbare aufgefaßt werden
könne. Mit einem gewissen Schein von Berechti-
gung ließe sich jene Ansicht verfechten, soweit es
sich um Nötigung durch Drohung handelt. Hier
wird ebenso wie bei Notwehr und Notstand der
Täter prinzipiell als zurechnungsfähig vorausge-
setzt, er hat die Tat, wenngleich gezwungen, doch
gewollt (coactus voluit), es war aber, so könnte
man sagen, infolge des Zwangs durch Drohung
die „freie“ Willensbestimmung ausgeschlossen. Es
hat sich jedoch sehr bald die Ansicht Anerkennung
verschafft, daß der durch Drohung herbeigeführte
Zustand nichts anderes ist als eine Unterart des
eigentlichen Notstands (Nötigungsnotstand), und
daß er darum nicht anders als dieser selbst zu be-
urteilen ist. Das hat dann zu der nicht unberech-
tigten Auffassung geführt, daß die ganze Bestim-
mung überflüssig sei, und zwar auch soweit sie
die Nötigung durch unwiderstehliche Gewalt im
Auge hat. Was nämlich diese betrifft, so ließe sich
die durch unwiderstehliche Gewalt herbeigeführte
Lage prinzipiell so auffassen, als sei durch die
Gewalt die freie Willensbestimmung des an sich
Willens= und Zurechnungsfähigen ausgeschlossen
worden, allein in Wirklichkeit ist der Fall doch so
zu betrachten, als liege auf seiten des durch un-
widerstehliche Gewalt Genötigten überhaupt keine
Handlung im Rechtssinn vor, als sei der Genötigte
vielmehr das Werkzeug in der Hand des Nötigen-
den. Wenn also für die Fälle dieser vier Gat-
tungen im Strafgesetzbuch erklärt wird, es liege
keine strafbare Handlung vor, so geschieht das
nicht aus dem Gesichtspunkt, der Täter sei als
unzurechnungsfähig zu betrachten. — Endlich
widmet der Abschnitt einige Paragraphen den
jugendlichen Verbrechern. Es wird unterschieden
zwischen solchen, die das 12. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben, und solchen, die im Alter zwischen
12 und 18 Jahren stehen. Von den ersteren heißt
es, daß wegen einer in diesem Lebensalter be-
gangenen Handlung der Täter strafrechtlich nicht
verfolgt werden könne. Hier ist also überhaupt
nicht davon die Rede, daß eine strafbare Hand-
lung nicht vorhanden sei, insbesondere liegt auch
kein Hinweis darauf vor, daß eine strafbare Hand-
lung wegen Unzurechnungsfähigkeit, namentlich
auch wegen mangelnder Fähigkeit der freien
Willensbestimmung des Täters nicht anzunehmen
sei, es ist vielmehr mit klaren Worten zum Aus-
druck gekommen, daß nur ein strafgerichtliches
Verfahren gegen den jugendlichen Täter nicht
statthaben dürfe. Es wird indessen regelmäßig
diese Altersstufe (Alter der Strafmündigkeit) als