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lichen Volk in seiner großen Mehrheit Argernis
gegeben wird, dann, meine ich, ist es eine Intole-
ranz von denjenigen, für die die Leichenverbren-
nung ja doch nur eine Geschmackssache ist, oder die
die Leichenverbrennung als Mittel benutzen, um
gegen das Christentum anzugehen, ein solches
Argernis zu geben, dann wäre es ihre Sache, Rück-
sicht zu nehmen auf die Gefühle der großen Mehr-
heit des preußischen Volkes, der großen Mehrheit
des christlichen Volkes in einem heute noch wenig-
stens dem Namen nach christlichen Staat“ (Steno=
graphischer Bericht Sp. 6522/6523).
Für die Parteien, die die Vorlage ablehnten,
siel außer den religiösen Bedenken auch die Er-
wägung in die Wagschale, daß die Vorlage keine
genügende Gewähr dafür biete, daß die Ermitt-
lung solcher strafbaren Handlungen, die nur durch
ein Zuruckgehen auf die menschlichen Überreste
ersfolgen kann, auch bei Verbrennung der Leichen
noch möglich sei. Auch die Freunde der Vorlage
konnten ebenso wie die Regierung keine vollstän-
dige Beseiligung der bisher in dieser Beziehung
gehegten Bedenken behaupten und dartun, sondern
nur eine wesentliche Abschwächung und Milderung
derselben „nach dem heutigen Stand der medizini-
schen und chemischen Wissenschaft“. Der freikon-
servative Redner sagte z. B.: „Ein gewisses Ab-
tragen, eine gewisse Beeinträchtigung der Mög-
lichkeit der Wahrheitsermittlung, soweit sie an
menschlichen Resten hängt, müssen wir unbedingt
zugestehen“ (Stenographischer Bericht Sp. 4753).
Die religiösen Rücksichten und die kriminalisti-
schen Bedenken sprechen gegen die Zulassung der
Leichenverbrennung. Was das gegen die ersteren
ins Feld geführte Toleranzargument anlangt, so
wurzelt dasselbe in der Auffossung, daß es sich bei
der Frage nach der Bestattungsart nur um ver-
schiedene Ansichten handle, denen dieselbe gleich-
mäßige Duldung gebühre, wie etwa zwei ent-
gegengesetzten philosophischen oder religiösen Mei-
nungen. Aber es handelt sich nicht um die
Duldung bloßer Theorien oder der verschiedenen
Beantwortung indifferenter Zweckmäßigkeitsfragen,
sondern darum, daß der Staat eine in das Volks-
leben tief eingreifende, der christlichen Sitte feind-
liche Umwälzung sanktioniert. Der in dieser
Richlung aggressive Charakter der Leichenverbren-
nung ist nicht abhängig von den einzelnen Per-
sonen, die Anhänger der Leichenverbrennung sind.
Sie brauchen durchaus nicht alle antichristlich ge-
sinnt zu sein; manche können die Frage als eine
Zweckmaßigkeitsfrage ansehen. Ausschlaggebend
ist die historische Beziehung der Leichenverbren-
nung zum Heidentum, die für die Feuerbestat-
tungsbewegung charakteristische antichristliche Ten-
denz und die ihr von manchen Führern beigelegte,
dem Christentum feindliche symbolische Bedeutung.
Genügen diese Erwägungen schon, um die ge-
setzliche Zulassung auch der fakultativen Leichen-
verbrennung ohne Verstoß gegen die Toleranz
vom christlichen Standpunkt aus abzulehnen, so
noch mehr, wenn man die fakultative Zulassung
Bulgarien.
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unter dem Gesichtswinkel des ersten Schrittes auf
einer zur obligatorischen Leichenverbrennung führen-
den Bahn betrachtet. Die Regierung wollte einer
dahin zielenden Entwicklung zweifellos keinen
Vorschub leisten. Auch die Abgeordneten, die die
Vorlage verteidigten, lehnten eine weiter gehende
Deutung ihres zustimmenden Votums ab. Indes
ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen,
daß gewisse in der Sache selbst liegende, vorwärts
treibende Kräfte — es sei an die volkswirtschaft-
liche Seite der Leichenbestattung erinnert — in
Zukunft einen Einfluß ausüben, der zu weiteren
Schritten auf der einmal betretenen Bahn führen
kann.
Infolge der Einführung der Leichenverbrennung
in Preußen war auch für die katholische Kirche
dieses Landes die Notwendigkeit gegeben, ihre
Stellung zu dem neuen Rechtszustand näher zu
präzisieren. Die Fragen, die derselbe aufwarf,
waren schon durch frühere Dekrete der Kongrega-
tion der Inquisition vom 19. Mai 1886, 15. Dez.
1886 und 27. Juli 1892 entschieden worden.
Diese Dekrete dienten den einschlägigen Beschlüssen
der preußischen Bischofskonferenz vom 22. Aug.
1911, die in den kirchlichen Amtsblättern publi-
ziert wurden, als Grundlage. Danach ist den
Katholiken alles verboten, was eine Billigung der
Leichenverbrennung enthält. Also dürfen sie nicht
Feuerbestattungsvereinen angehören, ferner nicht
anordnen oder billigen oder sonst formell dazu
mitwirken, daß die eigne Leiche oder die eines
andern verbrennt wird (cooperatio formalis).
Eine entferntere cooperatio formalis kann dem-
nach z. B. auch vorliegen, wenn katholische Stadt-
verordnete dem Antrag, ein Krematorium zu er-
bauen, zustimmen. Eine entferntere oder nähere
Mitwirkung zur Verbrennung durch Befehl oder
Nat oder Bedienung der Leichenverbrennung ist
Katholiken zur Vermeidung eines schweren Nach-
leils für sich nur unter der Voraussetzung ge-
stattet, daß a) die Verbrennung keine demon-
strative Kundgebung der Freimaurer ist; b) nichts
einschließt, was an sich unmittelbar und lediglich
einen Widerspruch gegen die katholische Lehre oder
eine Anerkennung der Freimaurerei an den Tag
legt; c) nicht seststeht, daß katholische Angestellte
oder Arbeiter zwecks Verachtung der katholischen
Religion zu dem Werk verpflichtet oder heran-
gezogen werden (cooperatio materialis). Be-
amte, die bei Ausführung des Kommunaldbeschlus-
ses mitwirken müssen, ohne die Tendenz zu
billigen, Notare, die die Unterschrift eines Dispo-
nenten nur beglaubigen, ohne die Handlung an-
zuraten oder zu billigen, leisten demnach coopera-
tio materialis. LJul. Bachem.)
Bulgarien. In der innern Politik hatte
Fürst Ferdinand im Jan. 1908 nach langem
Zögern sich entschlossen, ein demokratisches Ka-
binett mit dem Minister Malinow als Vorsitzen-
dem zu bilden, das mit den Traditionen der vor-
ausgegangenen stambulowistischen Kabinette unter