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Reichsland geblieben, kein selbständiger Bundes-
staat geworden. Trotzdem führt es drei Stimmen
im Bundesrat, welche jedoch nicht gezählt werden,
1) wenn Preußen dadurch die Mehrheit bzw. den
Stichentscheid (ogl. Nachtrag Deutsches Reich,
Sp. 1411 f) erlangen würde, 2) bei Anderungen
der Reichsverfassung. Die Staatsgewalt in Elsaß-
Lothringen übt der Kaiser aus. Die Stellung des
Statthalters hat sich nicht wesentlich geändert.
Klar ausgesprochen wurde nur, daß seine Ernen-
nung und Abberufung sowie die Übertragung
landesherrlicher Befugnisse vom Reichskanzler
gegenzuzeichnen ist, daß er die in Elsaß-Lothringen
stehenden Truppen zu polizeilichen Zwecken in
Anspruch zu nehmen berechtigt ist, daß er die
Bevollmächtigten zum Bundesrat ernennt und
instruiert. Soweit es sich nicht um landesherr-
liche Befugnisse handelt, wird der Statthalter
durch den Staatssekretär vertreten. Landesgesetze
werden vom Kaiser mit Zustimmung der beiden
Kammern des Landtags erlassen, die Mitwirkung
des Bundesrats und die unter bestimmten Ver-
hältnissen bisher erforderliche Zuziehung des
Reichstags ist beseitigt. An Stelle des Staats-
rats und des Landesausschusses ist der Landtag
getreten. Die Erste Kammer besteht 1) aus
(5) Inhabern gewisser Amter: Bischöfe von Straß-
burg und Metz (bzw. Bistumsverweser), der
Präsident des Oberkonsistoriums der Kirche Augs-
burger Konfession, der Präsident des Synodal-
vorstands der reformierten Kirche, der Präsident
des Oberlandesgerichts; 2) aus (18) von Körper-
schaften gewählten Mitgliedern: je ein Vertreter
der Universität Straßburg, der israelitischen Kon-
sistorien, der Städte Straßburg. Metz, Colmar
und Mülhausen, der vier Handelskammern, sechs
vom Landwirtschaftsrat gewählte Vertreter der
Landwirtschaft und zwei Vertreter der Handwerks-
kammer Straßburg (Einzelheiten sind geregelt in
der kaiserl. Verordnung [Wablordnung] vom
3. Sept. 1911); 3) aus vom Kaiser auf Vor-
schlag des Bundesrats aus in Elsaß-Lothringen
wohnenden Reichsangehörigen ernannten Mit-
gliedern, deren Zahl jedoch die übrigen Mit-
glieder nicht übersteigen darf. Zu den unter 2)
genannten Mitgliedern werden noch drei Ver-
treter des Arbeiterstands treten, sobald eine Ar-
beitervertretung (Kammer) durch Reichs= oder
Landesgesetz geschaffen sein wird. Die Zweite
ammer geht aus allgemeinen, direkten und
geheimen Wahlen hervor nach Maßgabe eines
besondern Wahlgesetzes (gleichfalls vom 31. Mai
11). Das aktive Wahlrecht setzt voraus die
Reichsangehörigkeit, ein Alter von 25 Jahren
und dreijährigen (für Beamte, Religionsdiener
und Lehrer an öffentlichen Schulen einjährigen)
Wohnsitz, das passive Wahlrecht setzt voraus
mindestens dreijährigen Besitz der Reichsange-
hörigkeit und dreijährigen Wohnsitz in Elsaß-
Lothringen, ein Alter von 30 Jahren, die Ent-
richtung einer direkten Staatssteuer. Die Zweite
Elsaß-Lothringen.
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Kammer zählt 60 Mitglieder. Das Wahlgesetz
bestimmt die Verteilung der Mandate auf die
Verwaltungskreise, die Begrenzung der einzelnen
Wahlkreise erfolgte durch kaiserliche Verordnung
(Wahlordnung) vom 31. Juli 1911. Der Wahl-
tag muß ein Sonntag sein. Hat bei der Haupt-
wahl niemand mehr als die Hälfte der abgegebenen
Stimmen erhalten, so findet eine Nachwahl statt,
bei welcher der gewählt ist, der die meisten Stim-
men erhält. Die Legislaturperiode währt 5 Jahre
(vom Tag der Hauptwahlen). Auch für die ge-
wählten und ernannten Mitglieder der Ersten
Kammer dauert die Mitgliedschaft 5 Jahre (vom
Tag der amtlichen Mitteilung der Wahl bzw.
Ernennung). Über Einsprüche gegen die Gültig-
keit der Wahlen entscheidet der oberste Verwal-
tungsgerichtshof (bis zu dessen Errichtung ein
Senat des Oberlandesgerichts). Beide Kammern
werden vom Keiser gleichzeitig berufen, eröffnet,
vertagt (lohne Zustimmung des Landtags nicht
über 30 Tage und nicht wiederholt in einer Ses-
sion) und geschlossen; beide Kammern können vom
Kaiser auch aufgelöst werden, die Auflösung nur
einer Kammer hat für die andere den Schluß der
Session zur Folge. Jede Kammer wählt ihre
Präsidenten. Die Landtagsmitglieder schwören
beim Eintritt Gehorsam der Verfassung und Treue
dem Kaiser, die Ausübung der Mitgliedschaft
wird durch die Leistung des Eides bedingt. Zur
Beschlußfassung ist in der Ersten Kammer die
Anwesenheit von 23 Mitgliedern, in der Zweiten
Kammer die Anwesenheit der Mehrheit der ge-
setzlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich. Die
Landtagsmitglieder enthalten eine Entschädigung,
deren Höhe ein Landesgesetz bestimmen wird. Jede
Kammer besitzt das Gesetzvorschlagsrecht und das
Interpellationsrecht. Der Landeshaushaltsetat
wird jährlich festgesetzt, der Entwurf dazu wird
zuerst der Zweiten Kammer vorgelegt, die Erste
Kammer kann ihn nur im ganzen annehmen oder
ablehnen. Ohne Zustimmung der Regierung daif
die Zweite Kammer neue oder erhöhte Ausgaben
in den Etat einsetzen. Von Wichtigkeit für den
Fall einer Budgetverweigerung oder Verzögerung
ist die Bestimmung, daß nach dem Ablauf eines
Etatsjahrs die Regierung bis zum Inkrafttreten
des neuen Etatsgesetzes ermächtigt bleibt, Schatz-
anweisungen auszugeben, soweit die Einnahmen
aus Steuern und Abgaben nicht ausreichen, um
die rechtlich begründeten Verpflichtungen der Lan-
deskasse zu erfüllen, begonnene Bauten fortzusetzen
und die gesetzlich bestehenden Einrichtungen zu
erhalten und fortzuführen.
Da bisher für die Rechte der Konfessionen noch
Dekrete aus der Zeit Napoleons I., die eine voll-
ständige Gleichberechtigung der Konfessionen nicht
anerkannten, maßgebend waren, wurde das Ge-
setz betreffend die Gleichberechtigung der Konfes-
sionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Be-
ziehung vom 3. Juli 1869 in Elsaß-Lothringen
eingeführt. Aus den bestehenden gesetzlichen Vor-