1433
für sich allein die Majorität, sondern nur mit
Hilfe der Arbeiterpartei und der irischen Natio-
nalisten, von denen ein Dutzend unter Führung
von W. O'-Brien sich von der Partei losgesagt
hatte und der Regierung grundsätzlich Opposition
machte. Da die Iren nur dann für eine Bewil-
ligung des Budgets zu haben waren, wenn der
Kampf gegen das konservative Oberhaus, den
schärfsten Gegner des Homerule für Irland, fort-
geführt wurde, so mußte Premierminister Asquith
die Frage des Oberhausvetos in den Vordergrund
stellen. Am 22. März brachte die Regierung im
Unterhaus drei Resolutionen ein, welche die Rechte
der Lords beschränken sollten und im April mit
357 gegen 251 Stimmen angenommen wurden.
Am 19. April wurde das im Vorjahr von den
Lords abgelehnte Budget, dem rückwirkende Kraft
beigelegt wurde, im Unterhaus eingebracht, von
diesem am 27., vom Oberhaus, das auf weiteren
Widerstand verzichtete, am 28. April angenommen.
Die Lösung der Verfassungskrisis wurde, da das
Oberhaus beschloß, die Vetoresolutionen zugleich
mit den von den Lords selbst vorgeschlagenen und
im März angenommenen Reformvorschlägen Nose-
berrys erst nach den Pfingstferien zu beraten, auf
den Juni verschoben. Während der Parlaments-
ferien starb der König, die Führer der Liberalen
und Konservativen kamen trotz des Widerstands
der Iren und der Arbeitervertreter dahin überein,
während der ersten Regierungsmonate des neuen
Königs eine Art Krönungsfrieden eintreten zu
lassen. Da die sog. zwischen den Führern der
Parteien abgehaltenen Vetoausgleichskonferenzen
ohne Ergebnis verliefen, beschloß die Regierung
die Auflösung des Parlaments, um die Meinung
des Landes über die Vetofrage einzuholen. Nach-
dem das Budget für 1910/11, das eine fast
wörtliche Wiederholung des vorherigen Budgets
war, am 23. Nov. vom Unterhaus angenommen
worden war, erfolgte am 28. die Auflösung; vier
Tage vorher hatte das Oberhaus die neuen Reso-
lutionen Roseberrys bezüglich seiner eignen Reform
und die von Lord Lansdowne eingebrachten Vor-
schläge angenommen, wonach künftig Konflikte
zwischen beiden Häusern (abgesehen von Finanz-
gesetzen, in denen das Oberhaus auf das Recht
zum Widerspruch und zum Amendieren verzichtet)
durch gemeinsame Sitzungen beider Häuser ge-
schlichtet werden sollten, daß aber Fragen „von
großer Wichtigkeit“, die noch nicht dem Urteil des
Volks unterbreitet worden sind, nicht durch ge-
meinsame Sitzungen entschieden, sondern durch
das Referendum der Entscheidung der Wähler
unterbreitet werden sollten. Obwohl so die Kon-
servativen eine anscheinend wirklich demokratische
Einrichtung in Vorschlag brachten, entschieden die
Wahlen im Dezember doch gegen sie; da 272 Kon-
servative, 272 Liberale, 42 Vertreter der Arbeiter-
partei, 76 irische Nationalisten und 8 unabhängige
Nationalisten gewählt wurden, war eine Mehrheit
gegen die Lords vorhanden. Am 31. Jan. 1911
Großbritannien.
1434
trat das neue Unterhaus zusammen; am 21. Febr.
brachte Asquith die Bill zur Beschränkung des
Vetos der Lords ein. Die Bill sieht vor, daß
Geldbills zwar auch in Zukunft an das Oberhaus
gehen sollen, nachdem sie das Haus der Gemeinen
passiert haben, daß aber das Oberhaus sie ohne
Anderung binnen eines Monats anzunehmen hat;
im andern Fall werden sie von selbst durch könig-
liche Sanktion Gesetz. Was eine Geldbill ist,
darüber soll der Sprecher des Unterhauses ent-
scheiden, dessen Machtbefugnis dadurch noch er-
weitert wird. Alle andern Gesetzentwürfe, die
nicht Finanzbills sind, werden von beiden Häusern
beraten. Das Oberhaus kann sie annehmen, ab-
lehnen oder amendieren. Aber wenn eine Bill in
drei aufeinander folgenden Sessionen (gleichviel
ob desselben Parlaments oder nicht) vom Haus
der Gemeinen angenommen und in jeder dieser
Sessionen vom Oberhaus abgelehnt worden ist,
so soll diese Bill nach ihrer dritten Ablehnung im
Oberhaus, falls das Unterhaus nicht etwas an-
deres beschließt, durch die königliche Sanktion
Gesetzeskraft erlangen, vorausgesetzt, daß zwischen
der ersten Einbringung der Bill unb ihrer dritten
Annahme im Unterhaus mindestens zwei Jahre
verstrichen sind. Endlich wird die Dauer eines
Parlaments von sieben auf fünf Jahre herab-
gesetzt, womit tatsächlich nur eine Annäherung an
den wirklich bestehenden Zustand erfolgt. Zu-
gleich wird in der Bill eine spätere Reform des
Oberhauses angekündigt, die es von der Grund-
lage der Erblichkeit auf eine volksmäßige Grund-
lage stellen soll. Diese Bill wurde am 15. Mai
mit 362 gegen 241 Stimmen angenommen. Der
Kampf im Oberhaus begann am 28. Juli; die
Amendements des Lord Lansdowne, welche die
Entscheidung darüber, was eine Geldbill sei, nicht
dem Sprecher des Unterhauses, sondern einem aus
beiden Häusern vom Sprecher und dem Lord-
kanzler delegierten „gemischten Ausschuß“ über-
tragen wollten, wurden vom Oberhaus angenom-
men, aber von der Regierung als unannehmbar
erklärt. Eine intransigente Gruppe der Lords (um
Halsbury) wollte nicht einmal die so amendierte
Bill annehmen, sondern sie überhaupt ablehnen,
um die Regierung wieder zu einer Berufung an
das Volk oder zu einem Pairsschub zu zwingen.
Da aber die Regierung bekannt gab, daß der
König eingewilligt habe, so viel Peers zu er-
nennen, daß ihre Zahl hinreiche, jeder möglichen
Kombination der Oppositionsparteien zu be-
gegnen, durch welche die Parlamentsbill zum
zweiten Mal einer Niederlage ausgesetzt werden
könne, gaben die gemäßigten konservativen Mit-
glieder des Oberhauses, um einen Riesenpairs-
schub von etwa 400 Liberalen zu vermeiden, ihren
Widerstand auf; am 10. Aug. wurde die Bill mit
131 gegen 114 Stimmen angenommen, am
18. Aug. vom König sanktioniert. Damit war
der lange Verfassungskampf zugunsten des Unter-
hauses beendigt und das absolute Veto der Lords