1435
in ein suspensives Veto geändert worden.
Da nun der Widerstand des Oberhauses gebrochen
ist, steht die Bahn für die Gewährung von Home-
rule an Irland, an dem bisher drei liberale Re-
gierungen gescheitert sind, frei. Eine Ausdehnung
des Wahlrechts auf alle 25 Jahre alten Bürger
von Großbritannien und Irland ist vom Premier-
minister angekündigt.
Das wichtigste Ereignis bezüglich der briti-
schen Kolonien ist der Zusammenschluß der vier
südafrikanischen Kolonien Kapland, Natal, Oranje-
flußkolonie und Transvaal zur Südafrikani-
schen Union, der nach der Genehmigung durch
die einzelnen Kolonien vom britischen Parlament
genehmigt, vom König am 20. Sept. 1909
sanktioniert wurde und am 31. Mai 1910 in
Kraft trat. Sitz des Parlaments der Union ist
Kapstadt, der Verwaltungsbehörden Pretoria, des
Obersten Gerichtshofs Bloemfontein; die Amts-
sprache ist Englisch und Holländisch. Die aus-
führende Gewalt besitzt der von der Krone er-
nannte Generalgouverneur (erster: Herbert Glad-
stone), der zugleich der Höchstkommandierende der
Land= und Seestreitkräfte ist und dem ein Mi-
nisterrat (nicht über 10 Mitglieder) zur Seite
steht (erster Premierminister der General Botha).
Die gesetzgebende Gewalt liegt in den Händen des
Parlaments, das aus Senat und Abgeordneten-
haus besteht. Der erste Senat der Union, der
nicht vor 10 Jahren aufgelöst werden darf, setzt
sich aus acht vom Generalgouverneur ernannten
und je 8 von den gesetzgebenden Körperschaften
der vier Unions-,Urprovinzen“ gewählten Mit-
gliedern zusammen; diese müssen 30 Jahre alt,
britische Untertanen von europäischer Abstammung
und seit 5 Jahren in der Union ansässig sein; die
Zusammensetzung des künftigen Senats wird durch
Unionsgesetz bestimmt. Das Abgeordnetenhaus
besteht aus 121 Abgeordneten (51 für das Kap-
land, je 17 für Natal und die Oranjeflußkolonie,
36 für Transvaal), die vorerst nach dem bis-
herigen Wahlrecht der einzelnen Kolonien auf
5 Jahre gewählt wurden; das aktive Wahlrecht
haben nur die Weißen und nur in der Kapkolonie
auch unter bestimmten Voraussetzungen die Far-
bigen. Eine Vermehrung der Mandate je nach
dem Wachstum der weißen Bevölkerung ist vor-
gesehen. In den 4 Provinzen der Union traten
an Stelle der bisherigen Behördenorganisationen
vom Generalgouverneur ernannte Administra-
toren, Provinzialräte und Exekutivkomitees.
Die Volkszählung vom 3. April 1911
ergab eine Bevölkerung des „Vereinigten König-
reichs“ von 45 365599 Seelen (England und
Wales 36 075269, Schottland 4759 445, Ir-
land 4381951, Insel Man 52 034, Kanal-
inseln 96 900); die Seelenzahl des gesamten
brilischen Reichs wurde für 1911 auf 421 836 000
berechnet (Vereinigtes Königreich 45 365599,
Indien 316 084 000. Kolonien und Schutz-
staaten 60 386 000). — Die wichtigere Literatur
Hausindustrie.
1436
ist verzeichnet bei Heinr. Spies, Das moderne
England. Einführung in das Studium seiner
Kultur (1911). (Lins.)
Hausindustrie. Die Gesetzgebung des
Deutschen Reiches hat in den letzten Jahren ver-
schiedene Bestimmungen zur Beseitigung der in
der Hausindustrie herrschenden sozialen Mißstände
getroffen.
Die Reichsversicherungsordnung vom
19. Juli 1911 verpflichtet jetzt sämtliche Haus-
gewerbetreibende, nicht bloß, wie früher, die un-
selbständigen Heimarbeiter, zur Krankenversiche-
rung. Und zwar ist der Hausgewerbetreibende
versicherungspflichtig bei der Landkrankenkasse sei-
ner Betriebsstätte. Die Höhe der Beiträge des
Hausgewerbetreibenden entspricht dem sonst ge-
zahlten Anteil der Versicherten. Der Auftraggeber
zahlt keine Beiträge, sondern Zuschüsse, die sich
nach dem Entgelt richten, das er für die gelieferte
Arbeit zahlt. Bezüglich der Invaliden= und Un-
fallversicherung ist für die Hausindustriellen keine
Anderung getroffen. Beide können, wie früher
schon, durch Bundesratsbeschluß bzw. durch Statut
der Berufsgenossenschaft auf die Hausindustrie
ausgedehnt werden.
Das Hausarbeitsgesetz vom 20. Dez.
1911 enthält zunächst zwei für die ganze gesetz-
liche Reglung der Hausindustrie grundlegende
und darum längst allgemein geforderte Bestim-
mungen: Registrierpflicht und Gewerbeaussicht.
Die Gewerbetreibenden sind verpflichtet, ein Ver-
zeichnis derjenigen Personen zu führen, denen sie
Hausarbeit übertragen oder durch welche die Uber-
tragung erfolgt, unter Angabe der Betriebsstätte
der Hausarbeiter. Die Gewerbeaussicht wird auf
alle hausindustriellen Betriebe ausgedehnt; sogar
während der Nachtzeit darf eine Revision statt-
finden, wenn begründeter Verdacht von Nichtbe-
obachtung polizeilicher Bestimmungen vorliegt.
Der Polizeibehörde ist durch das Gesetz die Er-
mächtigung erteilt, für einzelne Gewerbebetriebe
Maßnahmen zu treffen zur Verhütung einer un-
nötigen Zeitversäumnis bei Empfangnahme oder
Ablieferung der Hausarbeit. Sie kann ferner in
den einzelnen Werkstätten Verfügungen erlassen,
die etwaigen Gefahren für Leben, Gesundheit und
Sittlichkeit der Hausarbeiter vorbeugen sollen.
Für jugendliche Arbeiter kann sie die tägliche Ar-
beitszeit beschränken und für Jugendliche und
Frauen die Sonntagsarbeit verbieten. Wo sich
Gefahren für die öffentliche Gesundheit ergeben,
namentlich bei Herstellung und Verarbeitung von
Nahrungs- und Genußmitteln, kann die Polizei-
behörde Verhütungsmaßregeln treffen. Entschieden
wichtiger als diese Bestimmungen, die zum Teil
eine wirtschaftliche Belastung der Heimarbeiter
bedeuten, sind jene Paragraphen des Gesetzes, die
das Lohnproblem in Angriff nehmen. Ein mora-
lischer Druck gegen allzu niedrige Löhne und
schmutzige Konkurrenz soll ausgeübt werden durch
die allgemein gültige gesetzliche Bestimmung, daß