Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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in ein suspensives Veto geändert worden. 
Da nun der Widerstand des Oberhauses gebrochen 
ist, steht die Bahn für die Gewährung von Home- 
rule an Irland, an dem bisher drei liberale Re- 
gierungen gescheitert sind, frei. Eine Ausdehnung 
des Wahlrechts auf alle 25 Jahre alten Bürger 
von Großbritannien und Irland ist vom Premier- 
minister angekündigt. 
Das wichtigste Ereignis bezüglich der briti- 
schen Kolonien ist der Zusammenschluß der vier 
südafrikanischen Kolonien Kapland, Natal, Oranje- 
flußkolonie und Transvaal zur Südafrikani- 
schen Union, der nach der Genehmigung durch 
die einzelnen Kolonien vom britischen Parlament 
genehmigt, vom König am 20. Sept. 1909 
sanktioniert wurde und am 31. Mai 1910 in 
Kraft trat. Sitz des Parlaments der Union ist 
Kapstadt, der Verwaltungsbehörden Pretoria, des 
Obersten Gerichtshofs Bloemfontein; die Amts- 
sprache ist Englisch und Holländisch. Die aus- 
führende Gewalt besitzt der von der Krone er- 
nannte Generalgouverneur (erster: Herbert Glad- 
stone), der zugleich der Höchstkommandierende der 
Land= und Seestreitkräfte ist und dem ein Mi- 
nisterrat (nicht über 10 Mitglieder) zur Seite 
steht (erster Premierminister der General Botha). 
Die gesetzgebende Gewalt liegt in den Händen des 
Parlaments, das aus Senat und Abgeordneten- 
haus besteht. Der erste Senat der Union, der 
nicht vor 10 Jahren aufgelöst werden darf, setzt 
sich aus acht vom Generalgouverneur ernannten 
und je 8 von den gesetzgebenden Körperschaften 
der vier Unions-,Urprovinzen“ gewählten Mit- 
gliedern zusammen; diese müssen 30 Jahre alt, 
britische Untertanen von europäischer Abstammung 
und seit 5 Jahren in der Union ansässig sein; die 
Zusammensetzung des künftigen Senats wird durch 
Unionsgesetz bestimmt. Das Abgeordnetenhaus 
besteht aus 121 Abgeordneten (51 für das Kap- 
land, je 17 für Natal und die Oranjeflußkolonie, 
36 für Transvaal), die vorerst nach dem bis- 
herigen Wahlrecht der einzelnen Kolonien auf 
5 Jahre gewählt wurden; das aktive Wahlrecht 
haben nur die Weißen und nur in der Kapkolonie 
auch unter bestimmten Voraussetzungen die Far- 
bigen. Eine Vermehrung der Mandate je nach 
dem Wachstum der weißen Bevölkerung ist vor- 
gesehen. In den 4 Provinzen der Union traten 
an Stelle der bisherigen Behördenorganisationen 
vom Generalgouverneur ernannte Administra- 
toren, Provinzialräte und Exekutivkomitees. 
Die Volkszählung vom 3. April 1911 
ergab eine Bevölkerung des „Vereinigten König- 
reichs“ von 45 365599 Seelen (England und 
Wales 36 075269, Schottland 4759 445, Ir- 
land 4381951, Insel Man 52 034, Kanal- 
inseln 96 900); die Seelenzahl des gesamten 
brilischen Reichs wurde für 1911 auf 421 836 000 
berechnet (Vereinigtes Königreich 45 365599, 
Indien 316 084 000. Kolonien und Schutz- 
staaten 60 386 000). — Die wichtigere Literatur 
Hausindustrie. 
  
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ist verzeichnet bei Heinr. Spies, Das moderne 
England. Einführung in das Studium seiner 
Kultur (1911). (Lins.) 
Hausindustrie. Die Gesetzgebung des 
Deutschen Reiches hat in den letzten Jahren ver- 
schiedene Bestimmungen zur Beseitigung der in 
der Hausindustrie herrschenden sozialen Mißstände 
getroffen. 
Die Reichsversicherungsordnung vom 
19. Juli 1911 verpflichtet jetzt sämtliche Haus- 
gewerbetreibende, nicht bloß, wie früher, die un- 
selbständigen Heimarbeiter, zur Krankenversiche- 
rung. Und zwar ist der Hausgewerbetreibende 
versicherungspflichtig bei der Landkrankenkasse sei- 
ner Betriebsstätte. Die Höhe der Beiträge des 
Hausgewerbetreibenden entspricht dem sonst ge- 
zahlten Anteil der Versicherten. Der Auftraggeber 
zahlt keine Beiträge, sondern Zuschüsse, die sich 
nach dem Entgelt richten, das er für die gelieferte 
Arbeit zahlt. Bezüglich der Invaliden= und Un- 
fallversicherung ist für die Hausindustriellen keine 
Anderung getroffen. Beide können, wie früher 
schon, durch Bundesratsbeschluß bzw. durch Statut 
der Berufsgenossenschaft auf die Hausindustrie 
ausgedehnt werden. 
Das Hausarbeitsgesetz vom 20. Dez. 
1911 enthält zunächst zwei für die ganze gesetz- 
liche Reglung der Hausindustrie grundlegende 
und darum längst allgemein geforderte Bestim- 
mungen: Registrierpflicht und Gewerbeaussicht. 
Die Gewerbetreibenden sind verpflichtet, ein Ver- 
zeichnis derjenigen Personen zu führen, denen sie 
Hausarbeit übertragen oder durch welche die Uber- 
tragung erfolgt, unter Angabe der Betriebsstätte 
der Hausarbeiter. Die Gewerbeaussicht wird auf 
alle hausindustriellen Betriebe ausgedehnt; sogar 
während der Nachtzeit darf eine Revision statt- 
finden, wenn begründeter Verdacht von Nichtbe- 
obachtung polizeilicher Bestimmungen vorliegt. 
Der Polizeibehörde ist durch das Gesetz die Er- 
mächtigung erteilt, für einzelne Gewerbebetriebe 
Maßnahmen zu treffen zur Verhütung einer un- 
nötigen Zeitversäumnis bei Empfangnahme oder 
Ablieferung der Hausarbeit. Sie kann ferner in 
den einzelnen Werkstätten Verfügungen erlassen, 
die etwaigen Gefahren für Leben, Gesundheit und 
Sittlichkeit der Hausarbeiter vorbeugen sollen. 
Für jugendliche Arbeiter kann sie die tägliche Ar- 
beitszeit beschränken und für Jugendliche und 
Frauen die Sonntagsarbeit verbieten. Wo sich 
Gefahren für die öffentliche Gesundheit ergeben, 
namentlich bei Herstellung und Verarbeitung von 
Nahrungs- und Genußmitteln, kann die Polizei- 
behörde Verhütungsmaßregeln treffen. Entschieden 
wichtiger als diese Bestimmungen, die zum Teil 
eine wirtschaftliche Belastung der Heimarbeiter 
bedeuten, sind jene Paragraphen des Gesetzes, die 
das Lohnproblem in Angriff nehmen. Ein mora- 
lischer Druck gegen allzu niedrige Löhne und 
schmutzige Konkurrenz soll ausgeübt werden durch 
die allgemein gültige gesetzliche Bestimmung, daß
	        
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