Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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lassen usw. Dagegen erlennt Frankreich wiederum 
die wirtschaftliche Gleichberechtigung, das Prinzip 
der offenen Tür, der verschiedenen Nationen, nicht 
etwa eine Sonderstellung Deutschlands, in Ma- 
rokko an, es verpflichtet sich, keine Ungleichheiten 
in Bezug auf Zölle, Bergwerksabgaben, Tarife 
für Verkehrsmittel usw. zuzulassen und keine Ver- 
ordnungen über Maß und Gewicht, Eichwesen, 
Stempel usw. zu erlassen, welche die Konkurrenz- 
fähigkeit einer Macht beeinträchtigen können. Aus- 
fuhrzölle auf Eisenerze und besondere Belastungen 
der Minenindustrie sollen ausgeschlossen sein. — 
Als Entschädigung Deutschlands für dessen An- 
erkennung des französischen Protektorats in Ma- 
rokko trat Frankreich in dem deutsch-französischen 
Kongoabkommen vom gleichen Tag einen 
an Kamerun grenzenden Teil von Französisch- 
Aquatorialafrika an Deutschland ab (vgl. darüber 
Nachtrag Deutsches Reich Bd V, Sp. 1412). Über 
den Wert von Neukamerun sind die Ansichten sehr 
geteilt. Die wirtschaftlichen Zugeständnisse in 
Marokko können, wenn sie nicht nur auf dem 
Papier stehen sollen, auch für die Zukunft eine 
Quelle fortgesetzter Reibereien zwischen Deutsch- 
land und Frankreich bilden. 
Das Ergebnis des Marokkostreits ist kein solches, 
daß das deutsche Volk stolz darauf sein kann. 
Der Grund liegt allerdings in der verfehlten deut- 
schen Marokkopolitik früherer Jahre. Der gegen- 
wärtigen Regierung, gegen die sich lange Zeit 
ernste Bedenken erhoben, wird man unter Be- 
rücksichtigung der schwierigen Verhältnisse, unter 
denen sie arbeiten mußte, alle Anerkennung zollen 
müssen, nachdem sie den über den diplomatischen 
Vorgängen des Sommers 1911 liegenden Schleier 
endlich gelüstet und in der Budgetkommission des 
Reichstags Erklärungen gegeben hat, die nachher 
veröffentlicht wurden. 
Spanien schloß 1910 mit dem Sultan Muley- 
Hafid ein Abkommen, durch welches Spanien 
unter anderem 65 Millionen Franken für den 
Riffkrieg von 1909 zugesichert erhielt. Im Som- 
mer 1911 besetzte Spanien das an der marok- 
kanischen Westküste gelegene Larrasch und das 
landeinwärts gelegene El Kasr, den Knotenpunkt 
mehrerer Straßen. In Frankreich war man dar- 
über sehr aufgebracht, Spanien berief sich jedoch 
auf einen spanisch-französischen Geheimvertrag von 
1904, der schließlich im Nov. 1911 veröffentlicht 
wurde. Die Verhandlungen zwischen Frankreich 
und Spanien sind Jan. 1912 noch nicht ab- 
geschlossen. England stärkt den Rücken Spaniens, 
es will nicht, daß das wenn auch befreundete und 
weniger als Deutschland gefährliche Frankreich 
eine Position in der Nähe Gibraltars erwirbt, 
von wo aus Frankreich zwei Meeresstraßen be- 
herrschen könnte. So wird aller Voraussicht nach 
die ganze nordmarokkanische Küste einschließlich 
eines Teils von Westmarokko, der wichtigste und 
wertvollste Teil von ganz Marokko, schließlich den 
Spaniern zufallen. (Red.] 
Militärfürsorge. 
  
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Militärfürsorge. Die Militärfürsorge, 
der man erst in allerneuester Zeit besondere Be- 
achtung schenkt, bezweckt Stärkung der Charakter- 
festigkeit und Berufsfreudigkeit der Soldaten und 
damit Befestigung des christlichen Geistes im 
Heer. Drei Schädlinge sind es besonders, welche 
unsere wehrfähige Jugend gefährden: Unglaube, 
Unsittlichkeit und Unmäßigkeit. Man unterschei- 
det: Rekrutenfürsorge, Soldatenfürsorge und Re- 
servistenfürsorge. 
Die Rekrutenfürsorg bildet den Schluß- 
stein der Jugendpflege, indem sie einsetzt mit dem 
Beginn des ersten Militärpflichtiahrs und den 
jugendlichen Mann sicher geleitet bis zum Ein- 
gang in die Kaserne. Im Interesse von Staat 
und Kirche und des einzelnen Rekruten sucht sie 
möglichst alle Rekruten ohne neue Vereinsbildung 
im Anschluß an die etwa staatlich unterstützte Ju- 
gendpflege und in treuer Mitarbeit mit allen 
auf vaterländischem und christlichem Standpunkt 
stehenden Vereinen zu erfassen. Laut Beschluß der 
Generalversammlung der Katholiken Deutschlands 
zu Mainz (1911) wird die Vertiefung der eignen 
Organisation und das Geltendmachen der religiös- 
sittlichen Seite als ein Kernpunkt aller Tätigkeit 
im eigenen Bereich und als Voraussetzung einer 
willkommenen Annäherung an die Kriegervereine 
anerkannt. Bei der Rekrutenfürsorge, soweit sie 
von katholischer Seite ausgeht, wird auf die 
Mitwirkung der Geistlichen und Vereinspräsides, 
ferner auf die von Offizieren, Arzten, Lehrern 
und Kriegervereinsmitgliedern gerechnet. Mit 
Rücksicht auf das Zusammenfallen der Haupt- 
arbeitszeit mit den Ferien ist eine planmäßige 
Einteilung, beginnend im Oktober, ebenso erfor- 
derlich wie eine Beratung im Winterhalbjahr auf 
Dekanatspräsides= und Jugendpflegerkonferenzen. 
Es folgen dann im Frühjahr schon die Werbe- 
versammlungen der tauglich befundenen Militär= 
pflichtigen und die Einzelbesuche derselben durch 
die Ortsgeistlichen auf Grund der meist vom 
Bürgermeisteramt oder vom Bezirkskommando 
erhaltenen Adressenlisten. Zu den religiösen Mit- 
teln werden die geschlossenen Rekrutenexerzitien 
und die Rekrutenmission gerechnet, zu deren Durch- 
führung alle Diözesen, Ordensgesellschaften und 
katholischen Vereinsverbände angeregt worden sind. 
Diegeschlossenen Rekrutenexerzitien setzten mit 
50 Rekruten ihre segensreiche Tätigkeit im Jahr 
1905 in Viersen (Rheinland) ein und haben sich 
im Jahre 1911 auf 5600 Teilnehmer und 30 
Exerzitienorte erstreckt. Durch gründliches An- 
eifern der beteiligten Kreise ist es in einzelnen 
Diözesen, vorzugsweise in Westdeutschland, ge- 
lungen, den Gedanken mehr volkstümlich zu ma- 
chen und die Vorurteile zu widerlegen. Die Re- 
krutenmission ist als eine Art Volksmission ge- 
dacht, unter Abschluß mit der heiligen Kommunion 
in der heimatlichen Pfarrkirche vor dem Dienstein- 
tritt. Während in manchen Gegenden Exerzitien 
nicht möglich und anderwärts Rekruten nicht teil- 
 
	        
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