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nehmen können oder wollen, sucht die Rekruten-
mission alle Rekruten zu erfassen und durch religiös-
sittliche Vorträge, zuerst außerhalb der Kirche, auf
den Soldatenderuf vorzubereiten. In möglichst
enger Verbindung geht die Anwendung der ver-
fügbaren nichtreligiösen Mittel. Wenige Stunden
oder Tage genügen aber weder, um den jungen
Mann zu einem glaubensfreudigen, noch zu einem
vaterländisch gesinnten, opferwilligen Soldaten zu
machen. Durch Anleitung zur Selbstbelehrung
und Selbsterziehung sucht daher die Rekrutenfür-
sorge in der kurzen Zeit den ganzen Menschen zu
erfassen. In der Gesamtheit werden Freiübungen,
militärisches Turnen, Schwimmen usw. gepflegt
und durch militärische und ärztliche Vorträge das
erste Verständnis für den neuen Beruf erleichtert;
dazu tritt Pflege der Kenntnis unserer vaterlän-
dischen Geschichte und des Gesangs unter Bevor-
zugung der Vaterlands= und alter guter Soldaten-
lieder. Den Abschluß und zugleich den Ubergang
zur Soldatenfürsorge bildet das Rekrutenabschieds-
fest, das zu einem Volksfest in allen deutschen
Gauen gemacht werden soll. Es will durch kurze,
aber großzügige Ansprachen über Kameradschaft,
über Liebe zur Heimat, zum Vaterland und zum
Herrscherhaus, über Pflege des Gesangs und
über Veredlung des Soldatenbriefverkehrs er-
zieherisch auf den Rekruten wirken.
Die Soldatenfürsorge fällt in den Wir-
kungskreis der Militärseelsorge und muß dieser je
nach den Verhältnissen des betr. Bundesstaats
angepaßt werden; sie darf den Soldaten keinen-
falls einer der Militärbehörde gegenüber nicht
verantwortlichen Leitung unterstellen und will ins-
besondere nicht in eine Beschwerdesammelstelle aus-
arten, zumal jede Vereinszugehörigkeit im Mili-
tärverhältnis aufhört. Durch Verbindung der
heimatlichen Seelsorger mit den Militärseelsorgern,
durch regen Postverkehr von der Heimat aus, durch
Offnen der Gesellen= und Jugendheime zum freien
Verkehr und zur Unterhaltung für die Soldaten
kann in den Garnisonen der Soldatenfürsorge
dankenswerte Beihilfe geleistet werden. In dem
gleichen Sinn wirkt die Hergabe von Gesellen-
und Jugendheimen auf Wunsch für Abendstunden
der Mannschaften und für Unteroffizierfamilien-
abende gegenseitig verbindlich, macht auch in den
Garnisonen die Gründung von besondern Sol-
datenheimen, wie sie von evangelischer Seite mit
bedeutendem Kostenaufwand ins Leben gerufen
worden sind, meist entbehrlich. Während der Ur-
laubszeit in der Heimat bietet sich für die Sol-
datenfürsorge weitere Gelegenheit zur Tätigkeit in
zwanglosem Zusammentreffen bei Vereinsfesten
und im Werben von Freiwilligen. Das Streben,
Gefreiter und Unteroffizier zu werden, bedarf
einer wohlverstandenen Unterstützung der maß-
gebenden Persönlichkeiten in der Heimat, weil
hierdurch der christliche Geist im Heer wirksam
gefördert wird. Während der Einquartierung von
Truppenteilen im Manöver wird für Sonn= und
Persien.
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Feiertage der Ortsgeistliche durch Nachricht an
den einzelnen Truppenteil und durch geeignete
Festsetzung der Zeit des Gottesdienstes billige
Rücksicht auf eine mögliche Beteiligung der Sol-
daten nehmen.
Aus der Rekruten= und der Soldatenfürsorge
entwickelt sich die Reservisten fürsorge, die
in einer sichern Rückleitung nach beendeter Dienst-
zeit in die Heimat besteht und zurzeit noch eines
Ausbaus bedarf. — So bildet die Militärfürsorge
in all ihren Teilen nicht allein ein Feld edeln
charitativen Wettbewerbs zwischen den konfessio-
nellen Jugend= und Gesellenvereinen mit den
Kriegervereinen, vielmehr auch ein geeignetes Ge-
biet gemeinsamer Tätigkeit. In diesem Gedanken
hat die 58. Generalversammlung der Katholiken
Deutschlands zu Mainz 1911 (vgl. S. 572 und
326 des Berichts) von der festen Gründung eines
Zentralkomitees der Militärfürsorge der katholi-
schen Vereine Deutschlands (Vorsitzender Mssgr
Schweitzer, Generalpräses der katholischen Ge-
sellenvereine), einer Zentralauskunftsstelle (Oberst-
leutnant a. D. E. Hasse, Aachen) und einer Aus-
kunftsstelle für Bayern (kgl. Militärpfarrer Balth.
Meier in Ingolstadt) empfehlend Kenntnis ge-
nommen. lE. Hasse.)
Persien. Im Oktober 1910 verlangte Eng-
land in einer Drohnote die Sicherung des Ver-
kehrs im Süden Persiens im Interesse des eng-
lischen Handels innerhalb von drei Monaten;
erweise sich die persische Regierung als zu schwach
dafür, so werde England selbst eine Lokalgewalt
unter englisch-indischen Offizieren einsetzen. In-
folge der unzweideutig ablehnenden Haltung der
Mächte zog sich England jedoch vorläufig auf
den harmlosen Handelsschutz zurück. Wenn nicht
veranlassend, so doch mindestens mitbestimmend
wirkte das englische Vorgehen wohl auf das Zu-
standekommen des Potsdamer Abkommens zwi-
schen Rußland und Deutschland vom Nov. 1910,
das allerdings erst am 19. Aug. 1911 in Peters-
burg unterzeichnet wurde. In diesem Abkommen
anerkannte Deutschland die „besondern Inter-
essen“ Rußlands in Persien innerhalb der durch
den englisch-russischen Vertrag von 1907 (val. Art.
Persien Bd IV, Sp. 66) festgelegten russischen
Zone. Rußland dagegen erklärte sich bereit, die
Fortsetzung der Bagdadbahn bis zum künftigen
russisch-persischen Eisenbahnnetz zu garantieren und
damit dem deutschen Handel und Einfluß vom
Westen her den Weg in jene Gebiete zu öffnen,
zu denen bisher England allein durch seine herr-
schende Stellung am Golf den Schlüssel besitzt
und den es sich durch Betonung seiner militärischen
Stellung im Süden ähnlich wie Rußland im
Norden noch handlicher zu machen gedachte. Da
England durch verschiedene Maßnahmen (An-
stellung englisch-persischer Beamten in der russi-
schen Interessensphäre 2c.) eine Steigerung seines
Einflusses anzustreben schien, hielt Rußland die
Zeit für ein schnelles und rücksichtsloses Vorgehen