Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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nehmen können oder wollen, sucht die Rekruten- 
mission alle Rekruten zu erfassen und durch religiös- 
sittliche Vorträge, zuerst außerhalb der Kirche, auf 
den Soldatenderuf vorzubereiten. In möglichst 
enger Verbindung geht die Anwendung der ver- 
fügbaren nichtreligiösen Mittel. Wenige Stunden 
oder Tage genügen aber weder, um den jungen 
Mann zu einem glaubensfreudigen, noch zu einem 
vaterländisch gesinnten, opferwilligen Soldaten zu 
machen. Durch Anleitung zur Selbstbelehrung 
und Selbsterziehung sucht daher die Rekrutenfür- 
sorge in der kurzen Zeit den ganzen Menschen zu 
erfassen. In der Gesamtheit werden Freiübungen, 
militärisches Turnen, Schwimmen usw. gepflegt 
und durch militärische und ärztliche Vorträge das 
erste Verständnis für den neuen Beruf erleichtert; 
dazu tritt Pflege der Kenntnis unserer vaterlän- 
dischen Geschichte und des Gesangs unter Bevor- 
zugung der Vaterlands= und alter guter Soldaten- 
lieder. Den Abschluß und zugleich den Ubergang 
zur Soldatenfürsorge bildet das Rekrutenabschieds- 
fest, das zu einem Volksfest in allen deutschen 
Gauen gemacht werden soll. Es will durch kurze, 
aber großzügige Ansprachen über Kameradschaft, 
über Liebe zur Heimat, zum Vaterland und zum 
Herrscherhaus, über Pflege des Gesangs und 
über Veredlung des Soldatenbriefverkehrs er- 
zieherisch auf den Rekruten wirken. 
Die Soldatenfürsorge fällt in den Wir- 
kungskreis der Militärseelsorge und muß dieser je 
nach den Verhältnissen des betr. Bundesstaats 
angepaßt werden; sie darf den Soldaten keinen- 
falls einer der Militärbehörde gegenüber nicht 
verantwortlichen Leitung unterstellen und will ins- 
besondere nicht in eine Beschwerdesammelstelle aus- 
arten, zumal jede Vereinszugehörigkeit im Mili- 
tärverhältnis aufhört. Durch Verbindung der 
heimatlichen Seelsorger mit den Militärseelsorgern, 
durch regen Postverkehr von der Heimat aus, durch 
Offnen der Gesellen= und Jugendheime zum freien 
Verkehr und zur Unterhaltung für die Soldaten 
kann in den Garnisonen der Soldatenfürsorge 
dankenswerte Beihilfe geleistet werden. In dem 
gleichen Sinn wirkt die Hergabe von Gesellen- 
und Jugendheimen auf Wunsch für Abendstunden 
der Mannschaften und für Unteroffizierfamilien- 
abende gegenseitig verbindlich, macht auch in den 
Garnisonen die Gründung von besondern Sol- 
datenheimen, wie sie von evangelischer Seite mit 
bedeutendem Kostenaufwand ins Leben gerufen 
worden sind, meist entbehrlich. Während der Ur- 
laubszeit in der Heimat bietet sich für die Sol- 
datenfürsorge weitere Gelegenheit zur Tätigkeit in 
zwanglosem Zusammentreffen bei Vereinsfesten 
und im Werben von Freiwilligen. Das Streben, 
Gefreiter und Unteroffizier zu werden, bedarf 
einer wohlverstandenen Unterstützung der maß- 
gebenden Persönlichkeiten in der Heimat, weil 
hierdurch der christliche Geist im Heer wirksam 
gefördert wird. Während der Einquartierung von 
Truppenteilen im Manöver wird für Sonn= und 
Persien. 
  
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Feiertage der Ortsgeistliche durch Nachricht an 
den einzelnen Truppenteil und durch geeignete 
Festsetzung der Zeit des Gottesdienstes billige 
Rücksicht auf eine mögliche Beteiligung der Sol- 
daten nehmen. 
Aus der Rekruten= und der Soldatenfürsorge 
entwickelt sich die Reservisten fürsorge, die 
in einer sichern Rückleitung nach beendeter Dienst- 
zeit in die Heimat besteht und zurzeit noch eines 
Ausbaus bedarf. — So bildet die Militärfürsorge 
in all ihren Teilen nicht allein ein Feld edeln 
charitativen Wettbewerbs zwischen den konfessio- 
nellen Jugend= und Gesellenvereinen mit den 
Kriegervereinen, vielmehr auch ein geeignetes Ge- 
biet gemeinsamer Tätigkeit. In diesem Gedanken 
hat die 58. Generalversammlung der Katholiken 
Deutschlands zu Mainz 1911 (vgl. S. 572 und 
326 des Berichts) von der festen Gründung eines 
Zentralkomitees der Militärfürsorge der katholi- 
schen Vereine Deutschlands (Vorsitzender Mssgr 
Schweitzer, Generalpräses der katholischen Ge- 
sellenvereine), einer Zentralauskunftsstelle (Oberst- 
leutnant a. D. E. Hasse, Aachen) und einer Aus- 
kunftsstelle für Bayern (kgl. Militärpfarrer Balth. 
Meier in Ingolstadt) empfehlend Kenntnis ge- 
nommen. lE. Hasse.) 
Persien. Im Oktober 1910 verlangte Eng- 
land in einer Drohnote die Sicherung des Ver- 
kehrs im Süden Persiens im Interesse des eng- 
lischen Handels innerhalb von drei Monaten; 
erweise sich die persische Regierung als zu schwach 
dafür, so werde England selbst eine Lokalgewalt 
unter englisch-indischen Offizieren einsetzen. In- 
folge der unzweideutig ablehnenden Haltung der 
Mächte zog sich England jedoch vorläufig auf 
den harmlosen Handelsschutz zurück. Wenn nicht 
veranlassend, so doch mindestens mitbestimmend 
wirkte das englische Vorgehen wohl auf das Zu- 
standekommen des Potsdamer Abkommens zwi- 
schen Rußland und Deutschland vom Nov. 1910, 
das allerdings erst am 19. Aug. 1911 in Peters- 
burg unterzeichnet wurde. In diesem Abkommen 
anerkannte Deutschland die „besondern Inter- 
essen“ Rußlands in Persien innerhalb der durch 
den englisch-russischen Vertrag von 1907 (val. Art. 
Persien Bd IV, Sp. 66) festgelegten russischen 
Zone. Rußland dagegen erklärte sich bereit, die 
Fortsetzung der Bagdadbahn bis zum künftigen 
russisch-persischen Eisenbahnnetz zu garantieren und 
damit dem deutschen Handel und Einfluß vom 
Westen her den Weg in jene Gebiete zu öffnen, 
zu denen bisher England allein durch seine herr- 
schende Stellung am Golf den Schlüssel besitzt 
und den es sich durch Betonung seiner militärischen 
Stellung im Süden ähnlich wie Rußland im 
Norden noch handlicher zu machen gedachte. Da 
England durch verschiedene Maßnahmen (An- 
stellung englisch-persischer Beamten in der russi- 
schen Interessensphäre 2c.) eine Steigerung seines 
Einflusses anzustreben schien, hielt Rußland die 
Zeit für ein schnelles und rücksichtsloses Vorgehen 
 
	        
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