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III. Das Amotionsverfahren und das
deutsche Staatskirchenrecht. Da nach den
kanonischen Rechtsanschauungen die Amtsent-
hebung eines Pfarrers eine rein kirchliche An-
gelegenheit ist, wurde das Dekret ohne vorherige
Fühlungnahme mit den Staatsregierungen publi-
ziert. Die praktische Durchführung seiner Be-
stimmungen berührt zwar einige bestehende staats-
kirchenrechtliche Gesetze in den deutschen Staaten,
ohne ihnen jedoch zuwiderzulaufen. Es handelt
sich um die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen
über die Anwendung der kirchlichen Disziplinar-
und Zwangmittel und über die Voraussetzungen
für die staatliche Exekution der kirchlicherseits ver-
hängten Strafen. Die staatlichen Forderungen
an das kirchliche Disziplinarverfahren kann man
mit Friedberg (Lehrbuch ([6(1909] 335 f) dahin
zusammenfassen: „1) Es ist ein geordnetes pro-
zessuales Verfahren zu beobachten. 2) Nur auf
schriftliche, mit Gründen versehene Erkenntnisse
hin leihen die Staaten zur Durchführung kirch-
licher Disziplinaransprüche ihre Mitwirkung.“
Diesen formellen Forderungen leistet das neue
Verfahren, zumal wenn der Begründung des
Amotionsdekrets die rechte Aufmerksamkeit ge-
schenkt wird, Genüge. Soweit die Staaten dar-
über hinaus ein „staatliches Interesse“ für die 1860
Exekution der Dissziplinarerkenntnisse verlangen,
ist zu beachten, daß negativ die Amotio wegen
Befolgung eines Staatsgesetzes nicht verhängt
werden kann (vgl. die „Gründe“) und positiv nur
der besseren Seelsorge dient. Ferner ist in den
Fällen, wo das Dekret nicht eigentlich als Diszi-
plinarmittel Anwendung findet, besonders also
bei Nr 1 u. 3 der Gründe, eine Konkurrenz mit
staatlichen Bestimmungen nicht gegeben.
In Preußen wird bei einer disziplinaren
Amtsenthebung, mit denen der Verlust oder die
Minderung des Einkommens verbunden ist, ver-
langt: geordnetes Prozeßverfahren und schriftliches
begründetes Erkenntnis; außerdem muß der Ober-
präsident nach Prüfung der Angelegenheit das
Urteil für vollstreckbar erklären (Gesetz vom 12. Mai
1873, §8 2 u. 9; Novelle vom 21. Mai 1886,
Art. 7). Da die Bedingungen des Verfahrens
erfüllt sind, handelt es sich um die Vollstreckbar-
keitserklärung des Oberpräsidenten, welcher diese
mit Rücksicht auf den Zweck des Dekrets kaum
versagen dürfte. Das Großherzogtum Hessen
hat sein Gesetz vom 23. April 1875 in den Art. 5
und 10 den preußischen Bestimmungen nachge-
bildet. Die Prozeßaklen prüft das Ministerium
des Innern. Das in Bayern für die Publi-
zierung und Anwendung des Dekrets verlangte
Plazet wurde staatlicherseits erteilt; damit mag
immerhin anerkannt sein, daß die Möglichkeit
eines Konflikts zwischen Staat und Kirche,
wie sie auch früher bereits bei der kirchlicherseits
ausgesprochenen Amtsentsetzung eines Pfarrers
bestand, durch das Dekret nicht vergrößert ist.
Die bestehenden Schwierigkeiten (Notwendigkeit
Pfarrer.
1460
der staatlichen Einwilligung zur Amtsentsetzung,
Möglichkeit des Rekurses an die Staatsgewalt,
Verbindung staatlicher Funktionen mit dem Pfarr-
amt; vgl. Ed. Eichmann, Das Strafrecht der
öffentlichen Religionsgesellschasten in Bayern
11910| pass., besonders 14 ff 27 61 ff) werden
am besten gehoben, wenn die kirchlichen Be-
hörden im Einzelfall mit den staatlichen Füh-
lung nehmen. In Württemberzg ist be-
züglich des Dekrets vereinbart (10. Aug. 1911):
Die administrative Amtsenthebung eines Pfar-
rers auf Grund des Dekrets kann, abgesehen
vom Fall der Pensionierung, nur unter gleich-
zeitiger Versetzung auf eine andere Pfarrei ohne
Verlust am pensionsberechtigten Gehalt sowie unter
Vergütung der Umzugskosten erfolgen. Dement-
sprechend hat auch die Aufforderung zum Verzicht
zu lauten. Von jeder administrativen Amtsent-
hebung auf Grund des Dekrets wird das Bischöfl.
Ordinariat der Staatsbehörde unter Anschluß der
Akten Mitteilung machen (Kirchliches Amtsblatt
für die Diözese Rottenburg VII (19111), Nr 15,
52). In Baden müßte die zuständige Staats-
behörde das Erkenninis für vollzugsreif erklären,
sofern durch die Amtsenthebung das Vermögen
des Pfarrers betroffen wird (Gesetz vom 9. Okt.
, § 16). Da in einem geordneten Ver-
fahren gegen den Pfarrer von einer inländischen
Behörde erkannt wird, bedürfte es in Sachsen
bei Anwendung des Dekrets nur noch der sofor-
tigen Anzeige bei der Staatsregierung unter Bei-
fügung der Abschrift des Erkenntnisses und der
Entscheidungsgründe. Die „Strafe“ dürfte mit
Rücksicht auf den Zweck des Dekrets vom staat-
lichen Gesichtspunkt nicht zu beanstanden sein
(Gesetz vom 23. Aug. 1876, § 11). In Öster-
reich kann einerseits der Staat die Entfernung
des Pfarrers von dem Amt oder der Pfründe
verlangen, wenn derselbe verbrecherischer oder
solcher strafbarer Handlung schuldig erkannt wurde,
die aus Gewinnsucht entstehen, gegen die Sittlich-
keit verstoßen oder zu öffentlichem Argernis ge-
reichen. Anderseits fordert er vor Exekution der
kirchlichen Disziplinarverfügungen, daß das kirch-
liche Vergehen als rechtmäßig und begründet dar-
getan ist, und das Erkenntnis staatskirchlichen
Vorschriften nicht widerspricht. Auch hier würde
der Handhabung des Dekrets nichts entgegen-
stehen. Eine Schwierigkeit könnte in der Bestim-
mung liegen, daß „nichtklerikale Personen nur
durch staatliche Behörden vernommen werden
dürfen“ (Gesetz vom 7. Mai 1874, 88 8.27 29).
Das Patronatsrecht räumt dem Patron
keine Mitbestimmung über die Amtsenthebung eines
Benefiziaten ein; sofern es dem Patron gewisse
Rechte an der Verwaltung des Kirchenvermögens
gewährt, kann die Ausübung der Rechte durch das
Dekret Förderung erfahren (Nr 7 der Gründe).
Das Präsentationsrecht wird erst nach dem Frei-
werden der Sielle für die Wiederbesetzung wirksam.
Wiewohl nun der Patron sich auch selbst um das