Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1463 
Kreisen Anhänger warb und fand und in die 
leitenden politischen und militärischen Stellungen 
Vertrauensleute hineinbrachte. Nachdem insbe- 
sondere der größte Teil des Heeres und fast die 
ganze Marine für die Republik gewonnen waren, 
wurde der entscheidende Streich gegen die Monar- 
chie auf den 20. Nov. 1910 festgesetzt; als aber 
am 3. Okt. der republikanische Abgeordnete Bom- 
barda von einem angeblich irrsinnigen Offizier 
ermordet wurde und zwei Kreuzer Marschorder 
für das Ausland erhielten, stellte die Marine den 
voraussichtlichen Kommandeur der Revolutions-= 
armee. Dos Reis, vor die Alternative, das Signal 
zum allgemeinen Aufstand zu geben oder Gefahr 
zu laufen, die Empörung gegen seinen Willen 
ausbrechen zu sehen, worauf Reis einwilligte. Die 
erste Bewegung ging von dem 16. Infanterie- 
regiment aus, dem sich das 1. Artillerieregiment 
und die in der Kaserne befindliche Marine an- 
schlossen. Die Angriffe der königstreuen Truppen 
auf die Marinekaserne und auf die ausständische 
Artillerie wurden abgeschlagen; als die Kriegs- 
schiffe in den Kampf eingriffen, war das Schicksal 
der Monarchie entschieden. Am 3. Okt. floh der 
König nach Mafra und von hier über Gibraltar 
nach England; am gleichen Tag noch wurde die 
Republik proklamiert und eine provisorische Re- 
gierung gebildet, der Theophilo Braga als Prä- 
sident, Alfonso Costa als Justizminister, Ber- 
nardino Machado als Minister des Außern an- 
gehörten. 
Obwohl die neue Regierung versprochen hatte, 
die Freiheit jeder Uberzeugung zu achten und 
durch freie Wahlen erst den Willen der Nation 
erforschen zu wollen, setzte doch sofort eine brutale, 
heuchlerische Gewalt= und Willkürherrschaft ein. 
Statt möglichst bald die allgemeinen Wahlen zu 
einer konstituierenden Versammlung auszuschrei- 
ben, erließ die provisorische Regierung in den 
Monaten bis zur Wahl eine Reihe von vielfach 
überstürzten und mangelhaft vorbereiteten De- 
kreten, die tief und gewaltsam in alle Gebiete des 
öffentlichen und privaten Lebens eingriffen: so 
über die Verbannung der königlichen Familie, 
Abschaffung des nicht historischen Adels, der Or- 
densabzeichen, Aufhebung der Pairskammer, Be- 
seitigung des Schwurs auf das Evangelium, Ein- 
führung des wöchentlichen Ruhetags, Herabsetzung 
des Arbeitstags. Einführung der Zivilehe und der 
Ehescheidung, Verweltlichung der Friedhöfe und 
des Personenstandes, Reform der Verwaltung im 
Sinn der Dezentralisation, Verweltlichung des 
Unterrichts, Abschaffung der von Kongregationen 
geleiteten Schulen usw. Gegen die Monarchisten. 
oder der Anhänglichkeit an die Monarchie „Ver- 
Portugal. 
  
1464 
Prozeß in die Gefängnisse geworfen oder aus 
dem Land gebracht. Um die sog. politischen Ver- 
brechen zu verfolgen, wurden in Lissabon und 
Porto Ausnahmegerichte unter dem Namen von 
Untersuchungsgerichten eingesetzt, vor welche die 
Verdächtigen aus allen Teilen des Reichs ge- 
schleppt wurden. 
Der Haß der neuen Machthaber richtete sich 
vor allem gegen die katholische Kirche, deren Be- 
kämpfung, Entrechtung und Beraubung eine Flut 
von Maßregeln bezweckte. Obwohl der Patriarch 
von Lissabon, 3 Erzbischöfe und 9 Bischöfe in 
einem Hirtenbrief im Febr. 1911 die Gläubigen 
aufgefordert hatten, die neue Regierung anzuer- 
kennen, soweit es die Gewissensfreiheit zulasse, 
wobei sie zugleich gegen einige Maßnahmen der 
provisorischen Regierung Protest erhoben, wurden, 
da das Plazet der Regierung nicht eingeholt 
worden war, die Bischöfe und die Geistlichen, die 
den Hirtenbrief verlasen, gerichtlich verfolgt, teils 
aus dem Lande vertrieben teils abgesetzt teils ins 
Gefängnis geworfen, wo sie wie auch auf der 
Straße vom Pöbel, unter stillschweigender Billi- 
gung der Regierung, vielfach geistig und körperlich 
mißhandelt wurden. Im Nov. 1910 wurden alle 
Jesuiten, auch die einheimischen, aus dem Mutter- 
land, später auch aus den Kolonien, vertrieben, 
während den portugiesischen Mitgliedern der 
übrigen Orden zwar der Aufenthalt in ihren Fa- 
milien gestattet, aber jede Lehrtätigkeit, selbst das 
Erteilen von Privatstunden und von Handarbeits- 
unterricht untersagt wurde; nur die zum 1. Jan. 
1911 angekündigte Ausweisung der deutschen und 
österreich-ungarischen Missionäre aus den Kolonien 
unterblieb wegen des Einspruchs der deutschen und 
österreichischen Regierung, die sich auf die auch 
von Portugal unterzeichnete Kongoakte von 1883 
und das Brüsseler Antisklavereiabkommen von 
1899 stützten. Die theologische Fakultät der Uni- 
versität Coimbra wurde aufgehoben, die Semi- 
narien von 13 auf 5 vermindert, die Ernennung 
der Seminarprofessoren vom Staat beansprucht. 
Der Bischof von Beja, der wegen Bedrohung 
seines Lebens nach Spanien geflohen war, wurde 
wegen „Verlassens seiner Diözese“ von der Re- 
gierung abgesetzt, der Bischof von Porto seit März 
1911 interniert, der Bischof von Guarda seines 
Amtes entsetzt, dem Patriarchen von Lissabon und 
dem Bischof von Oporto Ende 1911 der weitere 
Aufenthalt in ihren Diözesen untersagt, da sie 
ihren Geistlichen verboten hatten, Kultusvereini- 
gungen zu bilden. Durch ein Dekret der pro- 
visorischen Regierung, das an Ungerechtigkeit und 
Härte gegen die Kirche das französische Tren- 
nungsgesetz weit übertrifft, wurde schließlich im 
dächtigen“ wurde in der brutalsten Weise vor= April 1911 die Trennung von Staat und Kirche 
gegangen. Im ganzen Land wurde nach „Ver= durchgeführt. Die wichtigsten Bestimmungen sind 
schwörungen" gegen die Republik nachgespürt, solgende: Das Dekret gewährleistet (theoretisch) 
Hunderte von verdächtigen Personen wurden be= die Gewissensfreiheit und hebt die katholische Re- 
droht und aufgefordert, das Land zu verlassen, 
Hunderte ohne gesetzliche Formalitäten und ohne 
ligion als Staatsreligion auf. Der öffentliche 
Kultus darf nicht mehr von Kultusgesellschaften,
	        
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