Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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sondern nur von Wohltätigkeitsgesellschaften aus- 
geführt werden, die nur im Nebenamt für den 
Gottesdienst Sorge zu tragen und wenigstens ein 
Drittel der ihnen für Kultuszwecke zugehenden 
Gaben für Charitaszwecke zu verwenden haben. 
Diese Vereine sind auch in Kultusangelegenheiten 
an die engere Kontrolle von Pfarrvorständen ge- 
bunden, denen Geistliche nicht angehören dürfen. 
Nicht nur die bestehenden, dem Kultus dienenden 
Gebäude, sondern auch diejenigen, die in Zukunft 
auf Kosten der Gläubigen errichtet werden, können 
ohne Erlaubnis des Justizministers nicht veräußert 
oder mit Hypotheken belastet werden und gehen 
nach 99 Jahren ohne jede Entschadigung in den 
Besitz des Staats über. Die Regierung ist Herrin 
über alle bestehenden Kirchen, von denen sie dem 
Kultus soviel überläßt, als ihr gutdünkt; sie nimmt 
auch das Recht in Anspruch, alle früher den Je- 
suiten zugehörenden Kirchen für den Kultus zu 
schließen und zu andern Zwecken zu verwenden. 
Religiöse Abzeichen oder Bilder auf öffentlichen 
Denkmälern, an den Fronten der Privathäuser 
oder an sonstigen öffentlichen Orten, außer an den 
Kultusgedäuden und den Kirchhöfen anzubringen, 
ist verboten. Portugiesische katholische Geistliche, 
die nur in Rom in Theologie, Philosophie und 
kanonischem Recht promoviert haben, dürfen in 
Portugal keine Kultfunktion ausüben; katholische 
Geistliche, die ihre Studien in Portugal gemacht 
haben, dürfen den theologischen Doktorgrad nicht 
an einer päpstlichen Hochschule erwerben. Die 
Veröffentlichung von Bullen, Hirtenschreiben oder 
sonstigen Akten des Papstes, der Bischöfe oder 
sonstiger dem Kultus vorstehender Personen an 
Orten, die Kultuszwecken dienen oder an andern 
öffentlichen Orten oder durch die Presse oder auf 
losen Blättern ist ohne vorhergehende Vorzeigung 
und Erlaubnis des Justizministers, der sie nach 
Gutdünken verweigern kann, verboten. Kinder 
dürfen während der Schulzeit dem öffentlichen 
Kultus nicht beiwohnen usw. — Gegen dieses 
Dekret, das kein Trennungsgesetz, sondern voll- 
ständige Kirchenberaubung auf materiellem Gebiet, 
Unterdrückung und Tyrannei auf geistlichem Gebiet 
sei, sowie gegen die übrigen Willkürmaßnahmen 
der Regierung gegen die katholische Kirche erhob 
der Papst durch die Enzyklika „Iam dudum in 
Lusitania“ vom 24. Mai 1911 feierlichen Ein- 
spruch und erklärte es für nichtig in allem, was 
die Rechte der Kirche verletze. 
Nachdem die Regierung über 7 Monate lang 
durch Dekrete die Hauptpunkte ihres Programms 
durchgeführt hatte, schritt sie zur Vornahme der 
Wahlen zu einer konstituierenden Volksversamm- 
lung. Ein Dekret verlieh das aktive Wahlrecht 
allen 21 Jahre alten, auf portugiesischem Gebiet 
wohnenden, des Lesens und Schreibens kundigen 
Portugal. 
  
Portugiesen und den Familienhäuptern (also auch 
Frauen) sowie allen aktiven Soldaten und Unter- 
offizieren ohne Rücksicht darauf, ob sie Analpha- 
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des Landheers und der Marine, das passive Wahl- 
recht den gleichen Personen mit Ausnahme des 
aktiven Militärs, der Beamten, der Ordensleute 
und der durch einen Vertrag an den Staat ge- 
bundenen Personen. Die Wahlen standen unter 
der unerhörtesten Beeinflussung von seiten der 
Regierung. Nicht nur war der größte Teil des 
Volks als Analphabeten (etwa ½) vom Wahl- 
recht ausgeschlossen (außer den Soldaten); die 
Versammlungsfreiheit wurde aufgehoben, die Preß- 
freiheit unterdrückt, jede gegnerische Wahlpropa- 
ganda unmöglich gemacht; die Soldaten mußten 
in militärischer Disziplin für den befohlenen Kan- 
didaten stimmen. An zahlreichen Orten wurden 
die Wahllisten mit Wählern ohne Wahlberech- 
tigung gefüllt, Hunderte von rechtmäßigen Wäh- 
lern zurückgewiesen (in monarchisch gesinnten 
Provinzen wurden überhaupt keine Wahlen vor- 
genommen), an andern Orten die oppositionelle 
Kandidatur für ungültig und der Regierungs- 
kandidat ohne Wahl für gewählt erklärt. So er- 
gaben die Wahlen von Ende Mai eine konstitu- 
tionelle Versammlung, die, weit entfernt ein Aus- 
druck des Volkswillens zu sein, nur ein Kongreß 
von republikanischen Parteimännern, von Krea- 
turen der herrschenden Clique ist. Am 19. Juni 
1911 trat die konstituierende Versammlung zu- 
sammen und die 192 anwesenden Abgeordneten 
sprachen die Abschaffung der Monarchie und der 
Dynastie Braganza aus, proklamierten einhellig 
die Republik und bestätigten die provisorische Re- 
gierung mit dem Präsidenten Braga in ihrem 
Amt; Präsident der Kammer wurde Anselmo 
Braacamp. 
Die erste Aufgabe der konstituierenden Ver- 
sammlung war die Beratung des von der Regie- 
rung vorgelegten Verfassungsentwurfs, der im 
wesentlichen dem Muster der französischen Ver- 
fassung nachgebildet war. Am 18. Aug. wurde 
die neue Verfassung von der Versammlung an- 
genommen, am 24. von 121 Abgeordneten (von 
217) der 71 Jahre alte Generalstaatsanwalt 
Manoel de Arriaga zum ersten Präsidenten der 
Republik gewählt (86 Stimmen fielen auf B. Ma- 
chado). — Die Verfassung sieht die übliche Tren- 
nung der ausführenden, gesetzgebenden und richter- 
lichen Gewalten vor. Die ausführende Gewalt ist 
einem Präsidenten der Republik anvertraut, der die 
Minister ernennt und entläßt. Die gesetzgebende Ge- 
walt wird durch zwei Kammern ausgeübt, von denen 
die eine, Nationalrat genannt, durch das allge- 
meine und direkte Stimmrecht auf 3 Jahre ge- 
wählt wird; die andere wird durch die Vertreter 
der Gemeinden, also indirekt, gewählt und ist alle 
3 Jahre zur Hälfte zu erneuern. Beide Kam- 
mern zusammen bilden den Kongreß, dessen Haupt- 
geschäft die Wahl des Präsidenten der Republik 
ist. Dieser wird auf 4 Jahre gewählt; er ist 
ebenso wie die Minister dem Parlament verant- 
wortlich; sie verkehren aber mit dem Parlament 
  
beten seien oder nicht, und den aktiven Offizieren nur durch Botschaften, mit denen sie die vom
	        
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