Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Parlament ihnen gestellten Fragen beantworten. 
Nur mit den Kommissionen dürfen die Minister 
persönlich verkehren. Der Präsident und die 
Minister können zur Verantwortung vor den Ge- 
richtshof der Republik gezogen werden, der aus 
dem Obersten Gerichtshof und aus 22 Mitglie- 
dern, die aus beiden Kammern durch Wahl her- 
vorgehen, gebildet ist. 
Nach der Annahme der Verfassung in der Wahl 
des Präsidenten wurde die Republik auch von den 
Monarchien förmlich anerkannt, nachdem die An- 
erkennung durch Brasilien, die Vereinigten Staa- 
ten, Frankreich usw. schon vorausgegangen war. 
Dennoch ist der Bestand der republikanischen Re- 
gierungsform noch immer gefährdet, weniger durch 
die royalistischen Bewegungen im Norden des 
Landes, die unter der Führung des Hauptmanns 
Piava Conceiro steht, aber bisher keine nennens- 
werten Erfolge aufzuweisen hat, als durch die Un- 
einigkeit in den republikanischen Reihen selbst, die 
in der kurzen Zeit seit der Verfassungsannahme 
zwei Kabinettswechsel verursacht hat, und durch 
die Unzufriedenheit der Massen, da es unter der 
Republik nicht zu dem mit großen Worten ver- 
heißenen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, 
sondern zu einem Rückschlag, zu wiederholten Aus- 
ständen und sozialen Aufständen kam, bei denen 
die „freiheitliche“ Regierung weit schärfer und 
rücksichtsloser als je die Monarchie mit Waffen- 
gewalt eingeschritten ist. Die Finanzen sind zer- 
rüttet, die Armee ist demoralisiert, die öffent- 
lichen Gewalten korrumpiert; neue innere Wirren 
scheinen unvermeidlich zu sein, und das Land 
droht anarchischen Zuständen enngegenzugehen. 
LLins.] 
Privatbeamtenversicherung. Das 
Gesetz vom 20. Dez. 1911 brachte den deutschen 
Privatangestellten die Erfüllung der seit einem 
Jahrzehnt erhobenen und von ihren Standes- 
organisationen tatkräftig unterstützten Forderung 
nach Erlaß eines Gesetzes betr. die Alters= und 
Hinterbliebenenversicherung. Damit ist das Kern- 
stück in dem sozialen Programm der Privat- 
angestellten zur Tat geworden; gleichzeitig ist aber 
dadurch ein Schutzwall aufgerichtet, der sich er- 
folgreich den Gefahren entgegenstemmen wird, 
welche für einen großen Teil des erwerbstätigen 
„neuen Mittelstandes“ aus den Schwankungen 
im Wirtschaftsleben wie aus der etwaigen Er- 
werbsunfähigkeit drohen. 
I. Amfang der Persicherung. Versiche- 
rungspflichtig nach dem neuen Gesetz sind 
Angestellte in leitender Stellung; Betriebsbeamte, 
Werkmeister und andere Angestellte in einer ähn- 
lich gehobenen oder höheren Stellung ohne Rück- 
sicht auf ihre Vorbildung; Bureauangestellte, so- 
weit sie nicht mit niederen oder lediglich mechani- 
schen Dienstleistungen beschäftigt werden, sämtlich, 
wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bil- 
det; Handlungsgehilfen und Gehilfen in Apo- 
theken; Bühnen= und Orchestermitglieder ohne 
Privatbeamtenversicherung. 
  
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Rücksicht auf den Kunstwert der Leistungen; Lehrer 
und Erzieher; Kapitäne, Offiziere des Decks-- und 
Maschinendienstes aus der Schiffsbesatzung deut- 
scher Seefahrzeuge und von Fahrzeugen der Bin- 
nenschiffahrt; Verwalter und Verwaltungsassi- 
stenten sowie die in einer ähnlichen gehobenen 
oder höheren Stellung befindlichen Angestellten 
§ 1). 
Voraussetzung der Versicherungs- 
pflicht für alle diese Personen ist, daß sie nicht 
berufsunfähig sind, daß sie gegen Entgelt als 
Angestellte beschäftigt werden, daß ihr Jahres- 
arbeitsverdienst 5000 M nicht übersteigt und daß 
sie beim Eintritt in die versicherungspflichtige 
Beschäftigung das Alter von 60 Jahren noch 
nicht vollendet haben. „Entgelt“ im Sinn des 
Gesetzes sind neben Gehalt oder Lohn auch Ge- 
winnanteile, Sach= und andere Bezüge, die der 
Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, 
statt des Gehalts oder Lohns oder neben ihm von 
dem Arbeitgeber oder von Dritten erhält (8 2). 
Der Bundesrat kann allgemein die Versicherungs- 
pflicht auch auf solche Personen erstrecken, welche 
eine ähnliche Tätigkeit wie die des vorhin ge- 
nannten Personenkreises auf eigne Rechnung aus- 
üben, ohne in ihrem Betrieb Angestellte zu be- 
schäftigen (§ 4). Er bestimmt auch, wieweit 
„vorübergehende Dienstleistungen“ versicherungs- 
frei bleiben (8 8). 
Versicherungsfrei sind die in Betrieben 
oder im Dienst des Reichs, eines Bundesstaats, 
eines Gemeindeverbands, einer Gemeinde oder 
eines Trägers der reichsgesetzlichen Arbeiter= oder 
Angestelltenversicherung Beschäftigten, wenn ihnen 
Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenen- 
renten im Mindestbetrag nach den Sätzen einer 
vom Bundesrat festzusetzenden Gehaltsklasse ge- 
währleistet ist; dabei ist das Durchschnittsein- 
kommen der betreffenden Beamtenklassen zu be- 
rücksichtigen. Das gleiche gilt für die Geistlichen 
der als öffentlich-rechtliche Korporationen aner- 
kannten Religionsgesellschaften sowie für Lehrer 
und Erzieher an öffentlichen Schulen oder An- 
stalten. Ob eine Anwartschaft „gewährleistet" ist, 
entscheidet der Reichskanzler bzw. die oberste 
Verwaltungsbehörde (§ 9). 
Der Versicherungspflicht unter- 
liegen nicht die Reichs-, Staats- und Ge- 
meindebeamten, die Geistlichen der als öffentlich- 
rechtliche Korporationen anerkannten Religions- 
gesellschaften, die Lehrer und Erzieher an öffent- 
lichen Schulen oder Anstalten, solang sie lediglich 
für ihren Beruf ausgebildet werden, sowie die im 
Reichs- oder Staatsdienst vorläufig beschäftigten 
Beamten und vorläufig beschäftigten Geistlichen; 
ferner die Angestellten in Eisenbahn-, Post= und 
Telegraphenbetrieben des Reichs oder der Bun- 
desstaaten, die Aussicht auf Ubernahme in das 
Beamtenverhältnis und Anwartschaft auf eine 
ausreichende Invaliden= und Hinterbliebenen- 
fürsorge haben, Personen des Soldatenstands in
	        
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