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Parlament ihnen gestellten Fragen beantworten.
Nur mit den Kommissionen dürfen die Minister
persönlich verkehren. Der Präsident und die
Minister können zur Verantwortung vor den Ge-
richtshof der Republik gezogen werden, der aus
dem Obersten Gerichtshof und aus 22 Mitglie-
dern, die aus beiden Kammern durch Wahl her-
vorgehen, gebildet ist.
Nach der Annahme der Verfassung in der Wahl
des Präsidenten wurde die Republik auch von den
Monarchien förmlich anerkannt, nachdem die An-
erkennung durch Brasilien, die Vereinigten Staa-
ten, Frankreich usw. schon vorausgegangen war.
Dennoch ist der Bestand der republikanischen Re-
gierungsform noch immer gefährdet, weniger durch
die royalistischen Bewegungen im Norden des
Landes, die unter der Führung des Hauptmanns
Piava Conceiro steht, aber bisher keine nennens-
werten Erfolge aufzuweisen hat, als durch die Un-
einigkeit in den republikanischen Reihen selbst, die
in der kurzen Zeit seit der Verfassungsannahme
zwei Kabinettswechsel verursacht hat, und durch
die Unzufriedenheit der Massen, da es unter der
Republik nicht zu dem mit großen Worten ver-
heißenen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes,
sondern zu einem Rückschlag, zu wiederholten Aus-
ständen und sozialen Aufständen kam, bei denen
die „freiheitliche“ Regierung weit schärfer und
rücksichtsloser als je die Monarchie mit Waffen-
gewalt eingeschritten ist. Die Finanzen sind zer-
rüttet, die Armee ist demoralisiert, die öffent-
lichen Gewalten korrumpiert; neue innere Wirren
scheinen unvermeidlich zu sein, und das Land
droht anarchischen Zuständen enngegenzugehen.
LLins.]
Privatbeamtenversicherung. Das
Gesetz vom 20. Dez. 1911 brachte den deutschen
Privatangestellten die Erfüllung der seit einem
Jahrzehnt erhobenen und von ihren Standes-
organisationen tatkräftig unterstützten Forderung
nach Erlaß eines Gesetzes betr. die Alters= und
Hinterbliebenenversicherung. Damit ist das Kern-
stück in dem sozialen Programm der Privat-
angestellten zur Tat geworden; gleichzeitig ist aber
dadurch ein Schutzwall aufgerichtet, der sich er-
folgreich den Gefahren entgegenstemmen wird,
welche für einen großen Teil des erwerbstätigen
„neuen Mittelstandes“ aus den Schwankungen
im Wirtschaftsleben wie aus der etwaigen Er-
werbsunfähigkeit drohen.
I. Amfang der Persicherung. Versiche-
rungspflichtig nach dem neuen Gesetz sind
Angestellte in leitender Stellung; Betriebsbeamte,
Werkmeister und andere Angestellte in einer ähn-
lich gehobenen oder höheren Stellung ohne Rück-
sicht auf ihre Vorbildung; Bureauangestellte, so-
weit sie nicht mit niederen oder lediglich mechani-
schen Dienstleistungen beschäftigt werden, sämtlich,
wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bil-
det; Handlungsgehilfen und Gehilfen in Apo-
theken; Bühnen= und Orchestermitglieder ohne
Privatbeamtenversicherung.
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Rücksicht auf den Kunstwert der Leistungen; Lehrer
und Erzieher; Kapitäne, Offiziere des Decks-- und
Maschinendienstes aus der Schiffsbesatzung deut-
scher Seefahrzeuge und von Fahrzeugen der Bin-
nenschiffahrt; Verwalter und Verwaltungsassi-
stenten sowie die in einer ähnlichen gehobenen
oder höheren Stellung befindlichen Angestellten
§ 1).
Voraussetzung der Versicherungs-
pflicht für alle diese Personen ist, daß sie nicht
berufsunfähig sind, daß sie gegen Entgelt als
Angestellte beschäftigt werden, daß ihr Jahres-
arbeitsverdienst 5000 M nicht übersteigt und daß
sie beim Eintritt in die versicherungspflichtige
Beschäftigung das Alter von 60 Jahren noch
nicht vollendet haben. „Entgelt“ im Sinn des
Gesetzes sind neben Gehalt oder Lohn auch Ge-
winnanteile, Sach= und andere Bezüge, die der
Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig,
statt des Gehalts oder Lohns oder neben ihm von
dem Arbeitgeber oder von Dritten erhält (8 2).
Der Bundesrat kann allgemein die Versicherungs-
pflicht auch auf solche Personen erstrecken, welche
eine ähnliche Tätigkeit wie die des vorhin ge-
nannten Personenkreises auf eigne Rechnung aus-
üben, ohne in ihrem Betrieb Angestellte zu be-
schäftigen (§ 4). Er bestimmt auch, wieweit
„vorübergehende Dienstleistungen“ versicherungs-
frei bleiben (8 8).
Versicherungsfrei sind die in Betrieben
oder im Dienst des Reichs, eines Bundesstaats,
eines Gemeindeverbands, einer Gemeinde oder
eines Trägers der reichsgesetzlichen Arbeiter= oder
Angestelltenversicherung Beschäftigten, wenn ihnen
Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenen-
renten im Mindestbetrag nach den Sätzen einer
vom Bundesrat festzusetzenden Gehaltsklasse ge-
währleistet ist; dabei ist das Durchschnittsein-
kommen der betreffenden Beamtenklassen zu be-
rücksichtigen. Das gleiche gilt für die Geistlichen
der als öffentlich-rechtliche Korporationen aner-
kannten Religionsgesellschaften sowie für Lehrer
und Erzieher an öffentlichen Schulen oder An-
stalten. Ob eine Anwartschaft „gewährleistet" ist,
entscheidet der Reichskanzler bzw. die oberste
Verwaltungsbehörde (§ 9).
Der Versicherungspflicht unter-
liegen nicht die Reichs-, Staats- und Ge-
meindebeamten, die Geistlichen der als öffentlich-
rechtliche Korporationen anerkannten Religions-
gesellschaften, die Lehrer und Erzieher an öffent-
lichen Schulen oder Anstalten, solang sie lediglich
für ihren Beruf ausgebildet werden, sowie die im
Reichs- oder Staatsdienst vorläufig beschäftigten
Beamten und vorläufig beschäftigten Geistlichen;
ferner die Angestellten in Eisenbahn-, Post= und
Telegraphenbetrieben des Reichs oder der Bun-
desstaaten, die Aussicht auf Ubernahme in das
Beamtenverhältnis und Anwartschaft auf eine
ausreichende Invaliden= und Hinterbliebenen-
fürsorge haben, Personen des Soldatenstands in