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Die Bedeutung der ständischen Gliederung
zeigt sich vor allem in den durch die Ebenbürtig-
keit bedingten rechtlichen Verhältnissen, sofern für
gewisse gerichtliche Handlungen, wie Herausforde-
rung zum Zweikampf, Zeugnis, Urteilfindung,
Funktion als Vorsprecher, für die Vormundschaft,
das Erbrecht und die Eingehung einer vollwirk-
samen Ehe Ebenbürtigkeit verlangt wurde (oagl.
hierüber d. Art. Ebenbürtigkeit).
Jeder Stand brachte sein Sonderrecht hervor.
Die Geburtsstände schlossen sich gegeneinander
durch die Ausbildung des Prinzips der Eben-
bürtigkeit ab. In der Entscheidung der Frage,
welche Stände einander ebenbürtig sind, spiegelt
sich die Geschichte der Ständebildung wider.
Durch die Rezeption des römischen Rechts wur-
den allmählich alle Stände außer dem „hohen
Adel“ in privatrechtlicher Beziehung grundsätzlich
dem gemeinen Recht unterworfen und behielten
nur in einzelnen Punkten ein Sonderrecht bei.
In den Städten zeigt die ständische Glie-
derung nicht die gleiche Tendenz der Sonderung
wie in den besprochenen land= und lehnrechtlichen
Verhältnissen. Hier bemerken wir vielmehr das
Bestreben der Gleichmachung der ständischen Un-
terschiede. So verschwanden bald die Geburts-
stände, um einem freien, standesgleichen
Bürgertum zu weichen. Die Bevölkerung
der älteren Städte bestand aus Freien, Ministe-
rialen des Stadtherrn und hörigen Handwerkern.
Doch bald erlangten alle Elemente der Stadt die
volle Freiheit. „Stadtluft macht frei“, hieß der
Grundsatz, kraft dessen ein Unfreier, der sich Jahr
und Tag unbehelligt in der Stadt aufgehalten
hatte, frei wurde. Indes standen innerhalb der
Bürgerschaft die Reicheren und Vornehmeren als
„Alt-, Voll= oder Erbbürger“ den minder-
berechtigten Handwerkern und Kleinkauf-
leuten gegenüber, die zunächst von den städti-
schen Amtern und vom Stadtrat ausgeschlossen
waren. Zur Klasse der „Altbürger“ zählten auch
die Ministerialen, die in der Stadt wohnten.
Die in Innungen, Zünften oder Gilden organi-
sierten Handwerker erlangten aber vom 14. Jahrh.
an in den meisten Städten Deutschlands die
volle Gleichberechtigung mit den Altbürgern,
den „Patriziern“. Weiteres im Art. Bürger-
stand.
Die ständische Gliederung bestand im alten
Stände.
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Landesadel. Wenn auch die Reichsritter eine be-
schränkte landesherrliche Gewalt auf ihren Be-
sitzungen ausübten, so besaßen sie doch keine Reichs-
standschaft; seit der Mitte des 18. Jahrh. führten sie
alle den Freiherrntitel. Durch die Umgestaltung der
Heeresverfassung und die bereits oben exwähnte
Einführung des Briefadels hatte der niedere Adel
seinen Charakter als Berufsstand verloren und
war zu einem privilegierten Geburtsstand gewor-
den (über seine Vorrechte vgl. d. Art. Adel). Trotz
der Abschließung des Adels wurden doch Ehen
zwischen Adligen und Nichtadligen freien Stands
allgemein bis ins 18. Jahrh. hinein als eben-
bürtig behandelt, im 18. Jahrh. aber vielfach nicht
mehr, wie auch z. B. das preußische Allgemeine
Landrecht bestimmte, daß ein Mann von Adel
mit Frauen aus dem Bauern= oder geringeren
Bürgerstand ohne gerichtliche Dispens keine Ehe
zur rechten Hand eingehen durfte, eine Bestim-
mung, die erst 1869 aufgehoben wurde. Die
Reichsbauern sind mit den Reichsdörfern noch
kurz vor dem Untergang des Reichs verschwunden.
Reichsunmittelbar waren auch die Reichsbeamten.
Die Reichsunmittelbaren waren sämtlich gegen
Kaiser und Reich zur Treue verpflichtet. Die
Reichsstände (Kurfürsten, Fürsten, Reichs-
städte) hatten ferner die Pflicht, persönlich oder
durch einen Vertreter an den Reichstagen teil-
zunehmen, zum Reichsheer Truppen zu stellen
und die Reichssteuern aufzubringen.
IV. Die fländische Verfassung. Ständische
Verfassung nennt man eine bestimmte Art der be-
schränkt-monarchischen Verfassung. In ihr ist der
Monarch in seiner Regierung eingeschränkt da-
durch, daß die zu ständischen Körperschaften ver-
einigten oder durch Beauftragte der dort ver-
tretenen Bevorrechteten an der Regierung bzw.
Gesetzgebung des Landes teilnehmen. Dieses Recht
der Stände galt ihnen als gleichmäßig ursprüng-
lich wie das des Monarchen. Es hat seine Wurzel
in der dauernden Verbindung des Grafenamtes
der nachkarolingischen Zeit mit dem größeren
geistlichen und weltlichen Grundbesitz. Und jeder
grundbesitzende Inhaber obrigkeitlicher Gewalt
wird so im Staat zum selbständigen Rechtssubjekt.
Diese Inhaber ortsobrigkeitlicher Gewalten ver-
einigen sich zu Körperschaften, zu Ständen, die
als geschlossene Korporationen dem Monarchen
gegenüberstehen und ihr Recht und ihre Inter-
deutschen Neich selbst bis zu dessen Untergang essen vertreten. So begegnen wir seit Ende des
fort. Man unterschied auch in der Neuzeit im 13. Jahrh. überall den Ständen als geschlossenen
Reiche Reichsfürsten, Grafen und Herren, Reichs= Körperschaften sowohl im Reich wie in den ein-
ritter. Reichsstädter und Reichsbauern. Zu Beginn zelnen Territorien.
der Neuzeit war der erste unter den Ständen der 1. Die Reichsstände. Der Reichstag im
hohe Adel, der sich in alter Weise aus den Fürsten alten deutschen Reich ist aus der Notabelnversamm-
und Herren zusammensetzte (vgl. hierüber und über lung, dem erweiterten königlichen Hof, hervor-
das Verhällnis des hohen zum niedern Adel gegangen. Zur Beratung wichtiger Reichsange-
d. Art. Adel, Ebenbürtigkeit, Fürst, Standes- legenheiten lud der König alle Fürsten des Reichs
herren, deutsche). Innerhalb des niedern Adels zu einem „Reichstag“ ein. Bisweilen erging in
vollzog sich durch die Ausbildung der Reichs= dringenden Fällen die Einladung auch an die
ritterschaft die Scheidung in den Reichs- und Ritterschaft. Eine Pflicht, die Großen um ihren