Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Prälaten der Kapitel durch die sog. Wahlkapitula- 
tionen ihre Macht außerordentlich zu steigern. 
Im 16. Jahrh. erreichte die Macht der Land- 
stände ihren Höhepunkt. Dieser Macht gegenüber 
waren die Bestrebungen der Landesherren, die auf 
Herstellung einer innern Staatseinheit gerichtet 
waren, zunächst meist vergeblich. So fanden z. B. 
die brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. 
(1499/1535) und Joachim II. (1535/71) bei den 
märkischen Ständen den heftigsten Widerstand, und 
Joachim II. mußte 1540 versprechen, daß er keine 
wichtige Staatshandlung mehr „ohne Rat und 
Bewilligung der gemeinen Landstände“ vornehmen 
werde. Die von den Ständen bewilligten Steuern 
flossen in die landständische Kasse (Landkasten) 
und wurden von den Ständen selbst verwaltet. 
In den Reversen von 1550 fand sodann diese 
ständische Staatsverfassung ihren definitiven Ab- 
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u. 
Erst Friedrich Wilhelm I., dem Großen Kur- 
fürsten (1640/88), gelang es, die Macht der 
Stände in den verschiedenen Territorien seines 
Staats nach schwerem Kampf zu zertrümmern; er 
setzte an Stelle des Ständestaats die einheitliche, 
im Landesherrn konzentrierte Staatsgewalt. Aller- 
dings gelang die dauernde Bewilligung von festen 
jährlichen Steuersummen für das Heer seitens der 
Stände nur dadurch, daß er die Bauern fast ganz 
der Willkür des Adels überlassen mußte. König 
Friedrich Wilhelm I. (1713/40) hob die Leib- 
eigenschaft der Bauern auf den Domänen auf und 
milderte durch wiederholte Edikte die unwürdige 
Lage der Hörigen auf den adligen Gütern. Ferner 
beseitigte er jeden Einfluß der Stände auf Staats- 
angelegenheiten. „Ich stabiliere die Souveränität 
wie einen rocher von bronce“, erklärte er den 
ostpreußischen Ständen. 
Ahnlich verlief die Entwicklung in Bayern. 
Der Ursprung der bayrischen Landstände fällt in 
das 14. Jahrh. Die „Landschaft“ setzte sich aus 
drei Ständen zusammen: dem Prälatenstand, zu 
dem die Landesuniversität, die Prälaten und 
Abtissinnen des Landes und die Kollegiatstifter 
und seit 1782 auch der Malteserorden gehörten; 
dem Ritterstand, zu dem jeder Angehörige eines 
der gefreiten Stände zählte; endlich dem Stand 
der Städte und „gebannten Märkte“, soweit sie 
keinem andern Landstand unterworfen waren. Sie 
besaßen das Stenerbewilligungsrecht und das Recht 
der Mitwirkung bei der Gesetzgebung. Auch in 
Bayern erreichten im 16. Jahrh. die Landstände 
den Gipfelpunkt ihrer Macht, auf den unmittelbar 
der Niedergang folgte, und unter Maximilian I. 
(1598 1051) waren die Stände fast ohnmächtig. 
Sein Sohn gestand den Ständen nur noch die 
Abgabe eines Gutachtens zu, wenn sie gefragt 
würden. 
Hier wie anderwärts fanden die gegen die Land- 
stände gerichleten Bestrebungen in der Reichsgesetz- 
gebung eine Stütze, indem die den einzelnen 
Neichsständen auferlegten Reichs= und Kreislasten 
Stände. 
  
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unbedingt beschafft werden mußten und von den 
Landständen nicht verweigert werden konnten. 
Ferner waren die Reichsstände berechtigt, zu den 
Kosten der Besetzung und Erhaltung der nötigen 
Festungen die Untertanen heranzuziehen. 
Der Hauptgrund für den Rückgang der land- 
ständischen Verfassung, vor allem in Brandenburg- 
Preußen und in Bayern, lag in der durch den 
Westfälischen Frieden zugestandenen Souveränität 
und internationalen Stellung der Reichsstände. 
Nachdem so die Landeshoheit der Reichsstände 
fast ganz unabhängig geworden war, konzentrierte 
sie ihre Kräste auf die Schwächung der land- 
ständischen Macht. Der Niedergang derselben zeigte 
sich in dem Verlust wesentlicher ständischer Rechte, 
so des Rechts der Selbstversammlung und der 
Steuerbewilligung. Die anläßlich der Wahl Leo- 
polds zum deutschen Kaiser festgestellte Wahlkapi- 
tulation von 1658 untersagte ganz allgemein Zu- 
sammenkünfte der Landstände ohne Vorwissen und 
Bewilligung der Landesherren sowohl in Steuer- 
sachen als in andern Angelegenheiten. Die Landes- 
herren unterließen vom 17. Jahrh. ab fast überall 
die Berufung der Landtage oder ersetzten sie durch 
ständige Landtagsausschüsse. 
Nur in wenigen Ländern erhielten sich die 
Landstände in alter Bedeutung entweder bis zur 
Gegenwart, wie in Mecklenburg ((s. d. Art. 
Mecklenburg Bd III, Sp. 1040), oder doch, wie 
in Braunschweig, Hessen, Sachsen und Württem- 
berg, so lang, bis sie durch moderne Repräsentativ- 
verfassungen abgelöst wurden. In Braun- 
schweig hatte noch das Landesgrundgesetz, die 
Neue Landschaftsordnung von 1832, der Kammer 
stark ständischen Charakter verliehen. So umfaßte 
diese Kammer 10 Vertreter der Ritterschaft, 12 
der Städte, 10 der Fleckenbewohner, Freisassen 
und Bauern sowie 16 gemeinschaftlich von diesen 
„3 Standesklassen“ zu wählende Abgeordnete, 
von denen 2 der höheren Geistlichkeit angehören 
mußten. Die neuere Gesetzgebung hat dann auch 
hierin Wandel geschaffen. — In Sachsen be- 
standen die alten Landstände bis 1831, wo durch 
Vertrag des Königs mit den Ständen eine neue 
Repräsentativverfassung für das Königreich zu- 
stande kam. In Württemberg hatten die 
Landstände bis 1805 einen Teil ihrer Macht sich 
zu erhalten gewußt. Mit Unterstützung Napoleons 
aber „stabilierte“ der neue König die „volle Sou- 
veränität“; doch begann mit den Verhandlungen 
des Wiener Kongresses alsbald auch der Streit 
um die ständische Vertretung in Württemberg. 
Die 1819 in Kraft getretene Verfassung trug noch 
stark ständischen Charakter, erst die Verfassungs-= 
änderungen von 1849, 1868, 1874 und 1906 
haben durchgreifende Anderungen gebracht. 
Zweifellos haben die alten Landstände sehr oft 
Interessenpolitik getrieben, indem jeder Stand vor 
allem seine Sonderinteressen vertrat und wahrte. 
Doch haben sie auch Gutes und Fruchtbares ge- 
wirkt. So hat z. B. in Bayern die „Landschaft"
	        
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