lenkt. Kombinationen knüpften sich an meinen Namen, die jeder Grund-
lage entbehrten, und ich erhielt mehr Besuche, als mir lieb war. Wohin
ich hörte, wurde von Herrn v. Bethmanns Entlassung mit Erleichterung
gesprochen.
Gleich damals war ich anderer Meinung; im Lichte der späteren Ereig-
nisse bin ich zu der Auffassung gekommen, daß Bethmanns Sturz eine
nationale Katastrophe war. Ich bin nicht blind gegen seine Schwächen; ich
weiß, daß die verhängnisvollen Entscheidungen, die gegen seine bessere Ein-
sicht erzwungen wurden, vor der Geschichte Anklage erheben werden —
weniger gegen die militärischen Widerstände, die ihm entgegen waren,
als gegen den staatsmännischen Willen, der nicht stark genug war, sie zu
brechen. Bethmann Hollweg hätte der öffentlichen Meinung Herr werden
können, wenn die Oberste Heeresleitung ihn gestützt hätte — und der
Obersten Heeresleitung gegenüber hätte er sich durchgesetzt, wenn er einen
Rückhalt in der öffentlichen Meinung gehabt hätte. So aber mußte er
nach zwei Fronten kämpfen. Auch diese Aufgabe wäre vielleicht noch in
seinem Bereich gewesen, wenn seine Mitarbeiter ihn mit Vertrauen auf
seine eigene Linie erfüllt hätten. Sie aber waren häufig voller Skepsis, und
die ihm innewohnende „Krankheit des Zweifels" lähmte dann vollends seine
Entschlußkraft. Ich habe ein tragisches Dokument in meinem Besigtz, das
Zeugnis ablegt für seine Vereinsamung, die er auch während der Kanzler-
schaft gefühlt baben muß. Es ist ein Brief aus dem Dezember desselben
Jahres.1 Man hört deutlich die Klage heraus: warum hatte ich so wenig
Bundesgenossen! An ihnen hat es ihm wahrlich gefehlt; sie befähigen
häufig einen Menschen, über sich selbst hinaus zuwachsen. Nach Jagows
Abgang fand Bethmann für seine ethisch orientierte Außenpolitik spon-
tanes Verständnis eigentlich nur bei dem treuen Stab seiner näheren Mit-
arbeiter in der Reichskanzlei, unter den Staatssekretären nur bei Solf.
Wo waren die mächtigen Helfer im öffentlichen Leben, die den leiden-
schaftlichen Datrioten ebenbürtig waren, die gegen ihn standen? Im
Parlament hielten eigentlich nur Dayer und Haußmann treu zu ihm.
Aber der Haß der Rechten kümmerte ihn mehr, als ihn die Sympathie
der Demokraten freute.
Ich glaube heute, daß die Freunde Herrn v. Bethmanns recht haben,
wenn sie sagen: die Bildung der parlamentarischen Majorität auf der
Basis des Verständigungsfriedens hätte ihm die ersehnten Machtmittel
in die Hand gegeben, um sich und sein Programm durchzusetzen.
Auf die Frage, die ich häufig an meine Besucher richtete: Was sie denn
an Herrn v. Bethmanns Sturz so glücklich mache? bekam ich meist all-
1 Siehe unten S. 179 f.
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