neugegründete Majorität wurde. Der Kampf um den Mann wäre wich-
tiger gewesen. Der neue Kanzler hätte ein überzeugter und überzeugender
Anhänger des Verständigungsfriedens sein müssen, gleichviel, ob er die
schwächlich formulierte Resolution: nachbetete oder nicht. Aber sofort nach
der Ernennung von Michaelis lächelten sich die Auguren zu: der Kanzler
steht mit seinen Sympathien auf der Seite der Annexionisten und wird die
Majorität enttäuschen. War diese Deutung richtig, so mußte entweder die
Majorität in Opposition gehen — dann störte sie den Krieg; oder nach-
geben — dann war sie blamiert. Der Feind würde frohlocken; er konnte
dann sein eben kraftlos werdendes Feldgeschrei von neuem anstimmen:
Demokratie gegen Autokratie. Aber vielen klugen Leuten in Berlin schien
damals die Blamage Erzbergers das wichtigste Gebot der Stunde zu sein.
Ich glaubte, in diesem Wirrwarr der Unsachlichkeit bestimmte Einsichten
festgehalten zu haben. Jetzt hatte ich nicht mehr das Gefühl, nach dem
Weg zu tasten; ich war überzeugt: hier ist die richtige Politik. Ich hielt
es für nötig und möglich:
1. den Grundgedanken der Reichstagsresolution zu retten;
2. Würdelosigkeit und Verzagtheit von ihr abzustreifen und damit
dem soldatischen Gefühl Genüge zu tun;
3. den Führern der Reichstagsmajorität eine väterliche und wohl-
verdiente Rüge zu erteilen und der Reichsleitung dadurch wenig-
stens die Geste der Führung wieder zu sichern;
1 Die Friedensresolution vom 19. Juli 1917 lautet: „Wie am 4. August 1914
gilt für das deutsche Volk auch an der Schwelle des vierten Kriegsjahres das Wort
der Thronrede: „Uns treibt nicht Eroberungssucht“. Zur Verteidigung seiner Frei-
heit und Selbständigkeit, für die Anversehrtheit seines territorialen Besitzstandes hat
Deutschland die Waffen ergriffen. Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Ver-
ständigung und der dauernden Versöhnung der Bölker. Mit einem solchen Frieden
find erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle
Vergewaltigungen unvereinbar. Der Reichstag weist auch alle Pläne zurück, die
auf eine wirtschaftliche Absperrung und Verfeindung der Völker nach dem Kriege
ausgehen. Die Freiheit der Meere muß sichergestellt werden. Nur der wirtschaftliche
Friede wird einem freundschaftlichen Zusammenleben der VBölker den Boden be-
reiten. Der Reichstag wird die Schaffung internationaler Rechtsorganisationen tat-
kräftig fördern. Solange jedoch die feindlichen Regierungen auf einen solchen Frieden
nicht eingehen, solange sie Deutschland und seine Verbündeten mit Eroberung und
Vergewaltigung bedrohen, wird das deutsche BVolk wie ein Mann zusammenstehen,
unerschütterlich ausharren und kämpfen, bis sein und seiner Verbündeten Recht auf
Leben und Entwicklung gesichert ist. In seiner Einigkeit ist das deutsche Volk unüber-
windbar. Der Reichstag weiß sich darin eins mit den Männern, die in heldenhaftem
Kampf das WPaterland schützen. Der unvergängliche Dank des ganzen GVolkes ist
ihnen sicher.“
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