Erstes Kapitel
Meine Arbeit in der Gefangenenfürsorge
Bei Kriegsausbruch befand ich mich im Stab des Generalkommandos
des XIV. Armeekorps, dem die badischen Truppen unterstellt waren.
Meine Gesundheit zwang mich im Herbst 1914 zur Rückkehr in die Heimat.
Sobald ich einigermaßen wieder hergestellt war, habe ich mich dem badischen
Roten Kreuz zur Verfügung gestellt. Mein Tätigkeitsgebiet wurde die
Gefangenenfürsorge.
Die Arbeit für fremde Gefangene und die Hilfeleistung für unsere Volks-
genossen in der Gefangenschaft widersprachen sich so wenig, daß vielmehr
ihre unlösliche Verknüpfung mit jedem Tage deutlicher wurde. — Nur
gestützt auf die Tatsache, daß man den in Deutschland gefangen gebaltenen
Gegnern zu helfen bemüht war, konnte man in Feindesland präzise und
rasche Antwort erhalten, schwierige Mühewaltungen mit Erfolg erbitten.
Es ist aber falsche Seelenkunde, zu glauben, daß in die Liebestätigkeit
ununterbrochen Zweckmäßigkeitserwägungen sich bineindrängen. Die
menschliche Not ruft nach erster Hilfe, man gibt sie, wenn man sie geben
darf. „Feindesliebe ist auch im Kriege das Zeichen derer, die dem Herrn
die Treue halten.“! Ich habe dieses Wort Siegmund-Schultzes im Jahre
1917 aufgegriffen und den mahnenden Zusatz daran geknüpft: „Und auch
das Zeichen derer, die Deutschland die Treue halten.“
Zunächst arbeitete ich in deutsch-russischen Gefangenenangelegenheiten.
Hier konnte ich meine verwandtschaftlichen Beziehungen zum russischen
Hofe nutzbar machen, um Klagen anzubringen. Ich war in der Lage, Hilfe
aufzurufen, die damals in Rußland noch überraschend große Wirkungen
hervorbringen konnte. Bald wurde meine Mitarbeit auch für das Wohl der
deutschen Gefangenen in England und Frankreich und der englischen und
französischen Gefangenen in Deutschland in Anspruch genommen.
1 Dieser Sat findet sich in einem der ersten Aufrufe der „Auskunft- und Hilfs-
stelle für Deutsche im Ausland und Ausländer in Deutschland“, die im Jahre 1914
Siegmund-Schultze und Fräulein Dr. Rotten gegründet hatten. Die Hilfsstelle hat,
bald von den Behörden unterstützt und benutzt, bald bekämpft, bis zum Kriegsende
ihre überaus segensreiche Arbeit fortgesetzt.
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