Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Unter den von der Geschichte aufgeworfenen Schuldfragen wird viel- 
leicht die ernsteste sein: Wer hat verhindert, daß wir rechtzeitig aus dem 
Kriege herauskamen? Wer trägt vor allem die Verantwortung dafür, 
daß die Reichsregierung vor der Offensive nichts für den Frieden und 
nichts für die Erleichterung der kommenden Waffenentscheidung getan hat? 
Heute schon kann die Antwort gegeben werden: General Ludendorff hat 
durch die Denkschrift selbst in der Form, in der er sie eingereicht hat, der 
Reichsleitung die zwei schwerwiegenden Eröffnungen gemacht: Die Oberste 
Heeresleitung erwartet im Gegensaßz zu der von übertriebenen Sieges- 
boffnungen erfüllten öffentlichen Meinung von unseren bevorstehenden 
Siegen nicht die tödliche Zwangslage für die Feinde, Frieden zu schließen, 
und die Oberste Heeresleitung fordert demnach vor Beginn der Opera- 
tionen einen politischen Angriff auf die englische Heimarfront. 
Darauf mußte die Reichsregierung antworten: Sehr wohl, aber jede 
politische Offensive muß in kümmerlichen Anfängen stecken bleiben, wenn sie 
auf das große Sprengmittel, die Erklärung über Belgien verzichtet. Ihr 
könntet genau so gut Eure Offensive ohne Artillerie unternehmen; also 
laßt uns die Erklärung über Belgien abgeben, sonstunternehmen wir nichts. 
Erst, wenn die Oberste Heeresleitung diese Gegenforderung derpolitischen 
Oeitung zurückgewiesen hätte, wäre man berechtigt, von einer militärischen 
Verantwortung für unsere politische Antätigkeit zu sprechen; diese Gegen- 
forderung ist nie gestellt worden. 
Die Sitzungen in Brest-Litowmsk wurden am 9. Januar 1918 wieder 
aufgenommen unter einer beispiellosen Spanmung in allen Ländern. Die 
westlichen Kriegsparteien lauerten auf neue deutsche Zweideutigkeiten. 
Wer aber noch glaubte, die Kraftprobe im Westen ließe sich vermeiden, 
der hoffte auf die deutsche Diplomatie: sie würde in Brest-Litowss ein 
Beispiel geben, das die alliierten Bölker auf den Weg der Verhandlungen 
mitriß. 
Trotki hatte die Verlegung der Konferenz nach Stockholm verlangt 
in der durchsichtigen Absicht, von dort besser gegen die Heimatfronten 
der beiden kriegführenden Darteien operieren zu können. Nun erschien er 
sie diskreditieren nur die Friedensbewegung: Um Lord Lansdowne zu helfen, 
müssen wir die große Masse der Zweifler beeinflussen. Diese bilden die Mitrtel- 
partei zwischen Kriegspartei und Friedenspartei und schwenken, je nach ihrer Auf- 
fassung der militärischen Lage, zum Kriege oder zum Frieden. Jeder deutsche 
Friedensfühler verbessert ihre Auffassung der Kriegslage. 
Die belgische Erklärung muß in Form einer Kampfansage gegen die Lloyd 
Georgesche Regierung erfolgen. 
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