Von den baltischen Provinzen will ich nicht viel sagen. Man könnte
mir Befangenheit vorwerfen, weil dort so viele Deutsche ermordet und
verschleppt worden sind. And ich müßte zugeben, daß in Estland der ein-
geborene Haß landloser Esten gegen den deutschen Großgrundbesitz eine
besondere „nationale" Roheit in den lokalen Bolschewismus hineingebracht
hat. Die estnischen Mordbrenner haben an Grausamtkeit ihre russischen
Lehrmeister vielfach noch übertroffen. Nur soviel will ich feststellen: Es
waren nicht nur deutsche Adlige sondern auch lettische und estnische Bauern,
die während der ersten Leidenszeit Tag für Tag die deutschen Truppen zu
Hilfe riefen, und dann, als sie endlich kamen, mit einem Jubel begrüßten,
der von allen, die ihn gehört haben, niemals vergessen wird.
Am 12. Januar 1918 bekräftigte Trotzki erneut das Selbstbestimmungs-
recht des ukrainischen Volkes. Er wolle der selbständigen Beteiligung der
ukrainischen Friedensdelegation kein Hindernis in den Weg legen. Gleich-
zeitig aber kat die russische Regierung alles, um die Macht der Zentralrada
durch Bürgerkrieg zu zerstören.
Ende November hatten die in ganz Rußland stattfindenden Wahlen
auf dem Gebiet der Lkraine zu einem glänzenden Sieg des ukrainischen
Nationalgedankens geführt; ihre Kandidaten stellten mehr als 75 Prozent
der ukrainischen Abgeordneten der Sobranje, während es die Bolschewisten
nur auf 10 Drozent brachten. Darauf ließ die Petersburger Regierung
ihre ursprüngliche Forderung nach Neuwahlen zur Rada fallen, und griff
zu dem bereits bewährten Mittel, einen Kongreß der Arbeiter und Bauern
einzuberufen. Aber 2000 Delegierte versammelten sich in Kiew, aber ent-
gegen den Erwartungen der Einberufer ergab sich eine überwältigende
Mehrheit für die Zentralrada. Nur eine kleine Gruppe von 80 Bolsche-
wisten sonderte sich ab; sie begaben sich nach Charkow und wollten von dort
aus mit Gewalt die Diktatur des Droletariats aufrichten. In der Tat
gelang es ihnen, unterstützt von russischen Soldatenbanden, das damals
noch jeden Selbstschutzes entbehrende Land so zu terrorisieren, daß der
von der Majorität des Volkes verabscheute Bolschewismus schließlich
nur mit deutscher Hilfe abgewendet werden konnte.
Am 6. Dezember 1917 hatte die finnische Volksvertretung die Selb-
ständigkeit Finnlands proklamicrt und diese wurde am 7. Januar 1918
von der russischen Regierung anerkannt. Aber schon am 28. Januar 1918
ist die finnische Regierung genötigt, gegen die Beteiligung von russischen
Truppen bei dem an diesem Tage ausgebrochenen roten Aufruhr in Finn-
land zu protestieren. Sie erhält die zynische Antwort:
„Nach den in Petersburg eingetroffenen Nachrichten hat die soziale Revo-
lution in Finnland begonnen. Ihren Grundsätzen gemäß ist die russische Regierung
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