Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

voraus und den Zusammenbruch aller historischen Werte Deutschlands. Er sagte 
mir wörtlich: 
a) Die Regierung kann in der Wahlrechtsreform die Partie gewinnen, wenn sie 
mutig spielt. 
b) Die Regierung wird die Partie verlieren, wenn sie fortfährt, ihren Gegnern 
zu zeigen, daß sie vor den letzten Konsequenzen doch zurückschrecken wird. 
e) In hervorragendem Maße spielen persönliche Ambitionen eine Rolle beim Wider- 
stand gegen die Wahlrechtsreform. Abgeordnete wollen ihre Mandate behalten. 
Andererseits glaubt man nicht, daß diese Regierung Ernst machen wird mit jenem 
grundlegenden Systemwechsel, von dem einmal die Rede war. Dieser System- 
wechsel würde bedeuten, daß sehr viele Landräte, Oberpräsidenten usw. springen. 
d) Kardorff rät nun, man solle einen Ministerrat einberufen und in ihm bereits 
beschließen: für den Fall der Ablehnung der Wahlrechtsreform sofortige Auf- 
lösung und grundlegende Aufräumung im Landrats- und Dräsidentenpersonal. 
Oieser Beschluß sollte nicht drohend und provokatorisch in die Offentlichkeit 
dringen, wohl aber vertraulich bis zu den interessierten Abgeordneten, Land- 
räten usw. durchsickern. 
Dann garantiert Kardorff auf Grund intimster Kenntnis der konservativen 
Stimmung für einen Amfall. So aber sehen die Konservativen bei Heydebrand 
feste Entschlossenheit, klares Drogramm, offene Kampfesstellung, bei der Re- 
gierung aber Kompromißsucht, behutsames Zurückweichen usw. Wie konnte z. B. 
Hertling in seiner Landtagsrede betonen, daß er zuerst sich den Grafen Westarp 
habe kommen lassen“. Anstatt, daß die Konservativen in die Defensive gedrängt 
werden und Angst bekommen, fühlen sie sich in der stolzen Rolle der vorsichtig 
Umworbenen . . . Die jetzige konservative Partei] nannte Kardorff die bloße 
Vertreterin des Großgrundbesitzes.“ 
Die hier geäußerten Besorgnisse waren nur allzu begründet. Immer 
mehr befestigte sich bei den Wahlrechtsgegnern die Überzeugung, sie brauch- 
ten Graf Hertling nicht zu fürchten trotz seiner Ankündigung vom 5. De- 
zember 1917, er wolle das wiederholt und feierlich gegebene Königswort 
einlösen. Seit dem 19. Januar waren die Verschleppungsabsichten nicht 
mehr zu verschleiern: der Wahlrechtsausschuß faßte an diesem Tage den 
Beschluß, erst die Reform des Herrenhauses zu beraten. 
Gleichzeitig gingen die maßgebenden Stellen in ihrer Ablehnung der 
belgischen Erklärung über die passive Resistenz hinaus. Mir wurde ein 
unerfreuliches Symptom der Sinnesänderung gemeldet. Hahn wurde zu 
Oberstleutnant v. Haeften gerufen und erhielt den Befehl, nicht mehr für 
eine Erklärung über Belgien zu werben. Er stellte seinem Chef anheim, 
ihn fortzuschicken, aber erklärte, sich das Recht der Meinungsäußerung in 
dieser lebenswichtigen Frage wahren zu müssen. Das Vertrauensverhältnis 
blieb durch diese Anterredung unberührt.1 
1 Ihr Niederschlag findet sich in einem Brief vom 20. Januar 1918, aus dem ich 
die folgenden Sätze zitieren möchte: „Ich denke in diesen Tagen an eines der 
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