„Eine furchtbare Verantwortung ruht heute auf der Staats-
leitung. Der gute Wille der Massen ist noch zu retten. Alle ge-
sunden Kräfte in der Arbeiterschaft möchten die auf die Des-
organisation hindrängenden Elemente abstoßen. Aber die Regie-
rung muß ihnen helfen. Sie hat es in der Hand, die zersetzenden
Kräfte zu einer großen zerstörenden Macht in Deutschland werden
zu lassen oder sie zu dauernder Ohnmacht zu verurteilen.“
Ich machte mir keine Illusionen. Wie sollte der Feldherr durch eine
Denkschrift wankend gemacht werden,! wenn seine Entschlüsse selbst in
Berlin wie unabänderliche Naturgesetze betrachtet wurden, teils von über-
schwenglichen Hoffnungen, teils von geheimem Grauen begleitet.
Seitdem die Entscheidung für die Offensive gefallen war, waren unsere
Staatsmänner keine handelnden Personen mehr, sie waren Zuschauer ge-
worden.
Ich beschloß, nach Kreuznach zu fahren, um mich mit Ludendorff aus-
zusprechen. Herr v. Bethmann wünschte mir Glück: Wenn der General
einen guten Tag hätte, so könne man ihm alles sagen.
Ich verbrachte den 19. Februar in Kreuznach. Der Feldmarschall erwies
mir die Ehre, mich am Bahnhof zu empfangen. Ich kannte ihn von früheren
Dagen her und hatte einige Monate unter seinem Kommando gedient, als
er die Division in Karlsruhe befehligte. Wie immer spürte ich wohltuend
die Kraft und Ruhe, die von ihm ausgingen. Unmittelbar übertrug sich das
Gefühl der Sicherbeit: kein Anternehmen kann schlecht ausgehen, dem dieser
gütige, standhafte und wohl abwägende Mann seinen Segen gegeben hat.
General Ludendorff sah ich an diesem Tage zum erstenmal. Er empfing
mich zunächst vor Tisch in seinem Arbeitszimmer. Dort erklärte er mir an der
Hand der Karte die militärische Lage. Man atmete mit dem Feldherrn er-
leichtert auf über die Durchbrechung der militärischen Einkreisung, daß ihm
nun nicht mehr jedes Anternehmen im Westen geknickt werden konnte durch
plötzliche Rotlagen an der Ostfront. Der Wagemut des Führers war zu
spüren, der schließlich auch bereit ist, alles auf eine Karte zu setzen. Wohl
leuchtete aus seinen Worten der Glaube an seinen guten Stern, wohl er-
schrak man über den Ausruf: Dann muß Deutschland eben zugrunde gehen,
mit dem der General die Frage beantwortete: Was geschieht, wenn die
Offensive mißlingt? Aber als Gesamteindruck blieb bei mir haften: Das
1 Haußmann, Schlaglichter, berichtet (S. 185), Ludendorff habe auf diese Denk-
schrift erwidert: „Man kann nicht zwischen Krieg und Frieden, sondern nur zwischen
Abwarten und Handeln wählen.“
2 Ich habe später des öfteren die Beobachtung gemacht, daß diese Worte falsch
gedeutet wurden. Die Auffassung Ludendorffs war einfach: Unsere Lage ist derart,
daß wir entweder siegen oder untergehen müssen.
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