können, sondern weil wir nicht wollen, Hände weg von der belgischen
Unabhängigkeit. Jetzt oder nie ist die Gelegenheit da, die Welt mit der
deutschen Macht durch Mäßigung zu versöhnen. Die ganze Denkschrift
sollte den Titel „Ethischer Imperialismus“! führen.
Meine Freunde in Berlin gingen an die Arbeit mit Feuer und Glauben
— sie durchschauten noch nicht, daß die Sache verloren war, für die wir
uns einsetzten. Dabei mußten sie immer, wenn sie aufsahen, wahrnehmen,
wie ein Bundesgenosse nach dem anderen von der optimistischen Welle fort.
gerissen wurde. Der Sinn der Menschen verhärtete sich gegen jeden Nat,
der auf politische Taten drängte. Auf den Gesichtern lag ein erwartungs-
volles Leuchten: Wann geht es los? Auch bei den sozialdemokratischen
Massen spürte man das Aufatmen der Erleichterung, daß Deutschland
nun nicht mehr der umstellte Hirsch war: bei der Ersatzwahl in Nieder-
Barnim fiel der Anabhängige gegen den Mehrheitskandidaten mit Pauken
und Trompeten durch, und der „Vorwärts“ (28. Februar 1918) leuchtete
dem Nottinghamer Arbeiterkongreß gehörig heim, der eine Salve von un-
annehmbaren Friedensbedingungen losgelassen hatte. Ein sozialdemokra-
tischer Führer gab den Sinn des Artikels im vertrauten Kreise mit den
Worten wieder: Na, da müssen sie eben noch einmal Haue kriegen.
Wer wollte gegen diese Stimmung etwas unternehmen? Der Feldberr
brauchte sie im Rücken eines Heeres, das zur Entscheidungsschlacht antrat.
Die öffentliche Meinung hat nicht die Verpflichtung, sorgend vorauszu-
schauen. Die Leiter der auswärtigen Dolitik aber durften nicht in ihrer
Wachsamkeit nachlassen; ihre Aufgabe war es, jeden Tag aufs neue die
internationale Lage zu prüfen, ob sie nicht reif für den Frieden wäre.
Die Aufnahme der Hertlingschen Rede in England hätte eine doppelte
Klarheit bringen sollen: viel ist schon versäumt, aber noch kann alles gut
gemacht werden.
Der Abgeordnete Holt interpellierte am 28. Februar über den Frieden;
es war die zweite Friedensdebatte im Unterhaus innerhalb von vierzehn
Tagen. Balfour hielt eine große Rede, darin er die unaufrichtige und
gewalttätige deutsche Politik angriff, mit der man nicht verhandeln könne.
Im Mittelpunkt seiner Anklage stand die Rede Hertlings; der große Dia-
lektiker nahm sie in allen Einzelheiten vor. Die Erklärung des Reichskanz-
lers über Belgien nannte er „den Hrüfstein für die Ehrlichkeit der Absichten
der deutschen Diplomatie"“.
„Holt weiß ganz gut, daß der deutsche Angriff auf Belgien ohne Heraus-
forderung durch Belgien unternommen worden ist. Er weiß ebensogut wie jeder
1 Siehe unten II. Kapitel 5.
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