Kühle und Sachlichkeit geführt und beschränkten sich auf die Erörterung
einzelner Beschwerdepunkte.
#berhaupt blieben meine westlichen Beziehungen — anders als die öst-
lichen — ohne jede politische Färbung. Aber der nahen Berührung mit
der englischen Mentalität verdanke ich eine Erkenntnis, die für mein ganzes
kriegspolitisches Denken entscheidend werden sollte: ich begegnete häufig
im Gespräch mit englischen Gefangenen, auch mit gebildeten und ritterlich
denkenden Offizieren, einer Leichtgläubigkeit gegenüber unseren „Schand-
taten“ und „Weltherrschaftsplänen“, die mich wahrhaft erschreckte; und
auf der anderen Seite eine Bereitwilligkeit, angesichts spontaner deutscher
Menschlichkeit umzulernen, die in ihrer Art ebenso erstaunlich war. Ich
weiß von einer Reihe von Engländern, die nach ihrer Rückkehr aus
Deutschland sich in ihrer Ehre gebunden fühlten, Zeugnis gegen unsere
Verleumder abzulegen. Eine großzügig und einheitlich geleitete
Gefangenenbehandlung hätte die Blockade durchbrechen kön-
nen, die England gegen die deutsche Wahrbeit über sein eige-
nes Volk verhängt hatte.
Wenn ich mir von Kriegsanfang an die schwersten Sorgen über den
fortschreitenden Sieges zug der feindlichen Propaganda machte, wurde
mir immer zum Trost gesagt: nach dem Kriege würde der Weg zur Ge-
rechtigkeit wieder frei werden. Demgegenüber hatte ich das bestimmte Ge-
fühl: der Krieg kann nicht anständig ausgehen, es sei denn, daß die unan-
ständige Kriegsgesinnung vorher überwunden wird.
Wenn man die Zeitungen las, mochte man an diesem Ziel verzweifeln;
aber von der Front wurden wiederholt Anzeichen gemeldet, daß in der
kämpfenden Truppe die normale menschliche Gesinnung nicht verloren-
gegangen war. Dafür konnten wir Ende 1914 ein erschütterndes Beispiel
erleben: am Weihnachtstage war jählings und unerwartet das verhöhnte
Evangelium in den Herzen der kämpfenden Soldaten auferstanden. Aus
den Schützengräben lösten sich scharenweise englische und deutsche Soldaten
und sahen sich den Menschenbruder an, auf dessen Tötung es ihnen bisher
allein angekommen war, sprachen freundlich miteinander, tauschten Ziga-
retten aus und feierten in der heiligen Nacht eine Waffenruhe, ohne Be-
fehl und Erlaubnis ihrer Vorgesetzten. Ich hörte, daß kurze Zeit darauf
auf beiden Seiten ein sehr strenger Tagesbefehl herauskam, um derartige
kriegsstörende Erlebnisse unmöglich zu machen.
Im November 1915 wohnte ich der Stockholmer Gefangenenkonfe-
renz bei.
Prinz Max von Baden 2 17