Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

glaube nachgewiesen zu haben, daß ein entschlossener und fordernder 
Kanzler in der Zeit vom Januar 1917 bis März 1918 das Einverständnis 
der Obersten Heeresleitung hätte erzielen können. Gewiß wären die 
Militärs nicht frei von taktischen Erwägungen gewesen; vielleicht hätte 
die Hoffnung überwogen, daß die vorgeschlagene Aktion nicht den Frieden, 
wohl aber die „Zertrümmerung der englischen Heimatfront“ herbei— 
führen würde, wie das zahlreiche Denkschriften in Aussicht gestellt hatten. 
Möglich, daß auch Illusionen im Hintergrund gestanden hätten, sich 
doch noch einmal mit Belgien über Lüttich zu verständigen. Das mili- 
tärische Denken geht eben naturnotwendig andere Wege als das politische. 
War aber die Erklärung über Belgien einmal heraus, dann konnte auch 
der General Ludendorff nicht mehr an den Rechtsfrieden rühren. Eine 
überwältigende Bewegung hätte sich binter den handelnden Staatsmann 
gestellt. Für die Gewerkschaftler, ohne deren guten Willen der deutsche 
Krieg verloren war, hatten Legien und Stegerwald deutlich genug 
gesprochen. 
Seine tiefsten Wurzeln aber hatte der Ethische Imperialismus in der 
deutschen Armee. Nicht umsonst ist das niederländische Dankgebet zu 
Anfang des Krieges eine deutsche Nationalhymne geworden. Es wurde 
neben „Deutschland, Deutschland über alles“ mit Vorliebe gesungen. Ich 
werde nie das Leuchten vergessen, das auf den Gesichtern der jungen 
Kriegsfreiwilligen lag: sie glaubten an die deutsche Sendung in der Welt 
und wollten, daß „das Recht siegreich sei“. Der Rechtsfriede war reif; er 
ist nur nicht geerntet worden — durch den bösen Willen der anderen und 
unsere Blindbeit. 
Die verpaßten Gelegenheiten der Jahre 1917/1918 haben nicht nur über 
das deutsche Schicksal bestimmt, sondern die Geschichte der Menschheit 
um Jahrhunderte zurückgeworfen. Die großen Worte: Völkerbund, 
Heiligkeit der Verträge, Rechte der kleinen Nationen, Selbstbestimmung, 
haben von ihrem reinen Klang eingebüßt durch den heuchlerischen Miß- 
brauch, der im Versailler Frieden mit ihnen getrieben worden ist. Ich 
möchte aber daran erinnern, daß Wilson selbst seinerzeit die psychologischen 
Voraussetzungen genannt hat, die für das Zustandekommen der echten 
Völkerbundgesinnung unerläßlich waren: „No victory“, kein über- 
wältigender Sieg der Entente oder Deutschlands. 
1 Bei allen Arbeiten jener Zeit, die für die O. H. L. bestimmt waren, war es 
natürlich, daß in der Ausdrucksweise auf die militärische Mentalität Rücksicht ge- 
nommen wurde. Die Worte Friede und Verständigung durften nicht zu häufig 
fallen, und das Schwergewicht mußte auf die „Zertrümmerung der feindlichen 
Heimatfront“ gelegt werden. 
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