Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

konnte, um den philanthropischen Faden fester zu knüpfen, damit er im 
gegebenen Augenblicke für eine politische Botschaft zur Verfügung stünde. 
Darum habe ich auch meine Korrespondenten nicht entmutigt, wenn sie 
auf die heikle Frage von Recht und Unrecht in diesem Kriege zu sprechen 
kamen, und geduldige Belehrung versucht, wo mir kränkende und groteske 
Vorurteile entgegentraten. Meine Korrespondenten zeigten sich für die 
Aufklärung durchaus empfänglich. Immer stärker wurde ihr Wille, den 
deutschen Gefangenen zu helfen. Allerdings arbeiteten sie unter dem 
dauernden Druck einer nervösen Angst vor der öffentlichen Meinung, wie 
man sich das in Deutschland kaum vorzustellen vermag.1 
„Wie gern,“ so schrieb mir eine Verwandte, „ach, wie gern hätte ich 
die deutschen Schwestern gesehen, aber ich darf nicht. Ich bin direkt 
elend davon, daß man mich im alten Vaterland für feige halten könnte. 
Du weißt nicht, wie schwer das alles ist.“ 
Es war natürlich gerade für diejenigen Damen des russischen Hofes, die 
deutscher Abstammung waren, äußerste Vorsicht geboten. 
Ende Oktober 1915 erhielt ich von zwei Verwandten die Nachricht, wie 
wenig sie helfen könnten. Daß sie sich selbst nach Gefangenen erkundigten, sei 
unmöglich, nur durch Bekannte in der offiziellen Welt — ein andermal bieß 
es, durch Neutrale — könnten sie auf Mißstände aufmerksam machen. Die 
1 So schrieb die Zarin am 5. Januar 1916 an den Zaren: „. Ich las einen 
endlosen Brief von Max an Vicky, er wünschte, daß ich ihn läse — er versucht, 
gerecht zu sein, aber es war mehr als schmerzlich, da manches leider wahr war über hier 
und die Gefangenen — ich kann nur wiederholen, daß ich finde, man müßte einen 
höhergestellten Beamten mit Mme. Orjewsky absenden, um unsere Gefängnisse, be- 
sonders in Sibirien, zu inspizieren. Es ist so weit weg, und leider erfüllen die Leute 
in unserem Lande nur selten ihre Dflicht, besonders wenn sie außer Sichtweite sind. 
Der Brief packte mich, viel Wahres war darin, und auch falsche Dinge, und er sagt, 
die Anseren wollen keine Vorwürfe gegen die Behandlung hier glauben (ebenso 
umgekehrt). Ich sah, was die Schwestern ihm erzählt hatten, auch über die Kosaken. 
Aber all dies ist zu schmerzlich, nur finde ich, daß er recht hat, wenn er sagt, sie haben 
nicht Lebensmittel genug, um ihre Gefangenen zu ernähren.“.. „Außer um der 
Mencchlichkeit willen, deshalb, weil nicht schlecht von unserer Gefangenenbehandlung 
gesprochen werden darf, möchte man strenge Befehle geben, und daß die, die sie 
nicht erfüllen, bestraft werden — aber ich habe nicht das ARecht, mich als „Deutsche“ 
darum zu kümmern, einige rohe und dumme Menschen nennen mich wahrscheinlich 
so, um meine Einmischung zu hindern. Unsere Kälte ist zu intensiv, mit mehr Nah- 
rung kann man ihr Leben retten — 1000 sind gestorben — unser Klima ist so schreck- 
lich verheerend. Ich hoffe, daß Georgi und Tatitschew auf ihrer Reise alles inspizieren 
werden — besonders die kleinen Städte, und ihre Nasen in alles hineinstecken werden, 
da man doch auf den ersten Blick nicht alles bemerken kann. “ („Oie letzte Zarin“, 
ihre Briefe an Nikolaus II. und ihre Tagebuchblätter von 1914 bis zur Ermordung, 
herausgegeben von Joachim Kühn, Berlin, S. 144.) 
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