Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

„Nun, Wilson macht keinen Frieden mit den Hohenzollern, und bis die weg 
sind, wird es noch zwei Jahre dauern.“ 
Es fällt mir nicht ein, derartige Außerungen verallgemeinern zu wollen und 
an der Moral unseres Heeres zu zweifeln, aber Zerfallspmptome liegen vor, es 
wäre ein Verbrechen, sie zu ignorieren. 
Man hat in diesem Kriege schon so viel gewarnt, daß man sich scheut, es wieder 
zu tun. Aber ich fühle mich verpflichtet, noch einmal meiner festen Aberzeugung 
Ausdruck zu geben, daß wir einer Katastrophe entgegengehen, es sei denn, daß vor 
dem Herbst dem Volk ein neuer großer Auftrieb gegeben wird und wir deutliche 
Erfolge auf dem Wege zum Frieden zu verzeichnen haben. 
Die gegenwärtige Regierung kann den Auftrieb nicht geben und kann die Frie- 
densatmosphäre nicht schaffen 
Hertling hat sich in aller Form auf den Standpunkt gestellt, daß Worte nutzlos 
sind. Fängt er oder seine Kollegen plötzlich an zu reden, so sagt die Welt nicht 
mit Unrecht: Jetzt sieht Hertling es doch ein, daß die Militärs es nicht schaffen 
können. Wir haben ja gleich gesagt, nach deutschen Mißerfolgen wird eine politische 
Offensive einsetzen. 
Selbst eine Landtagsauflösung würde heute abgetrotzt aussehen. Man nimmt 
mit Recht an, daß Hertling, der auf seine guten Beziehungen zu den Konservativen 
so großes Gewicht legt, nur unter dem Drucke einer enttäuschten Heimat so drastische 
Maßnahmen ergreifen würde. Auch eine plötzliche Schwenkung in der Behandlung 
der Randstaaten, wie Zurückziehung der Militärverwaltung aus den besetzten 
Gebieten, würde wie Zurückweichen der Regierung aussehen, nachdem Erzberger 
und andere immer wieder diese Forderung vergeblich gestellt haben. Die Rand- 
staaten selbst hätten das Gefühl: Jetzt verzweifeln die Deutschen am Sieg und 
werden human. 
Ich muß immer an Stegemanns Wort denken: 
„Wer zehnmal das Falsche geredet und das Falsche getan hat, wird nicht 
überzeugen, wenn er zum elftenmal richtig redet und handelt. Und alle guten 
deutschen Worte und Maßnahmen werden nichts helfen, wenn sie nicht über- 
zeugen.“ 
Die Regierung Hertling wird sicher fallen, so sicher wie Bethmann fallen mußte, 
Michaelis oder Kühlmann.: Gewiß, man hat bisher immer den falschen Nachfolger 
gewählt! Aber warum? Weil man immer wartete, bis der zu ersetzende Reichs- 
kanzler durch irgendeinen Unglücksfall stürzte, so daß dann überstürzt gehandelt 
werden mußte, anstatt den Wechsel planmäßig und staatsmännisch vorzubereiten 
und rechtzeitig durchzuführen, ohne sichtbaren Druck der Verhältnisse, aus dem 
freien Entschluß der Krone. 
Die Reichstagsmajorität wird auch im Herbst der Krone keinen Spielraum 
lassen. Man hüte sich davor, ihre Stoßkraft zu unterschätzen! Ihre Stärke wächst 
mit der Depression des Volkes, und die Depression im Herbst wird fürchterlich sein. 
Zudem ist das Anklagematerial gegen die schwache Regierung und die Oberste 
Heeresleitung wegen ihrer Illusionspolitik, welches Erzberger und Scheidemann 
heute sammeln, für den Uneingeweihten erschütternd. Das Ministerium Fehrenbach 
wird allgemein als eine maßvolle Lösung begrüßt werden. Der Kaiser wird nur die 
1 Kühlmann war am 8. Juli durch Admiral v. Hintze ersetzt worden. 
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