Aber ich sagte mir, die Krone muß rasch zuschlagen. In einer Woche
würde der Interfraktionelle Ausschuß zusammentreten, was heute noch
eine Initiative ist, wird dann als Kompromiß mit parlamentarischen
Machtansprüchen erscheinen, noch später als ein Angstprodukt und in ein
paar Monaten als eine Kapitulation des Monarchen.
Ich war nahe daran, die ernsten Worte des sozialdemokratischen Führers
Seiner Majestät zur Kenntnis zu bringen, aber ich unterließ es schließlich
aus dem Gefühl heraus, nach dem Telegramm des Kaisers meinen Rat
nicht aufs neue anbieten zu können.
Leider kam auch — durch ein Mißverständnis — eine Unterredung nicht
zustande, die zwischen dem Abgeordneten Ebert und mir vereinbart war.
Da erfolgte am 14. September das österreichische Friedensangebot an
alle feindlichen Mächte. Herr v. Hintze hatte den „Schrei des Ertrinkenden“
nicht hindern können, der nun das verdiente Echo fand. Reuter meldete
schon am nächsten Tage als Ansicht der amtlichen Stellen in Washington:
Osterreich-Ungarn ist am Zusammenbruch. Man könne nur eine Antwort
geben: „Gewalt bis zum Außersten, Gewalt ohne Begrenzung und Be-
schränkung.“ Auch England verhielt sich natürlich ablehnend, aber es war
bezeichnend, daß Balfour ein glattes Rein nicht wagte. Er schob Deutsch-
land die Verantwortung zu: Payer hätte nichts von Entschädigung Bel-
giens gesagt:
„Wis die Führer in Deutschland, das Hauptquartier, der Kaiser, der Kanzler und
der Reichstag, bereit seien, ihre Absichten klar zu formulieren und eine Lösung
zu suchen, die übereinstimme mit dem, was die Alliierten im Interesse des Rechts,
der Zivilisation und des Friedens für nötig hielten, sind Erörterungen fruchtlos.“
Der Interfraktionelle Ausschuß begann am 21. September seine Be-
sprechungen. Conrad Haußmann hat mir kurz vor seinem Tode seine Auf-
zeichnungen über diese Sitzungen zur Verfügung gestellt, und ich muß
heute bekennen, daß ich den Majoritätsparteien bitter AUnrecht getan hatte,
als ich den Kaiser Anfang September vor ihnen warnte: sie würden unsere
Notlage ausnugen, um Friedensresolutionen zu machen und parlamen-
tarische Machtansprüche zu befriedigen. Wer die Notizen Haußmanns
sieht, muß zu dem Arteil kommen:
Die Abgeordneten sehen die Wirklichkeit der Situation, die Not-
wendigkeit eines Regierungswechsels, die Pflicht, die Bedürfnisse der
Armee voranzustellen, auch den Interessen der Dartei und der Personen.
Aber die Herren drängt weder Ehrgeiz noch besondere Eignung zur großen
Verantwortung: sie warten ungeduldig auf die Initiative von Krone und
Megierung. Sie wollen nur herangezogen werden und fordern deshalb, daß
man auch parlamentarische Vertreter in die Regierung berufe. Das
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