Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Die hier verlangte Neuordnung des Belagerungszustandes entsprach 
im wesentlichen auch den Absichten des Grafen Hertling und den Wünschen 
der meisten Bundesregierungen. 
Ein Punkt bot Schwierigkeit: 
Einbeitlichkeit der Reichsleitung, Ausschaltung unverantwortlicher Neben- 
regierungen, Berufung von Regierungsvertretern aus der Parlamentsmehr- 
heit oder aus Personen, die der Dolitik der Parlamentsmehr-. 
heit entsprechen. Aufhebung des Artikels 9 der Reichsverfassung; die 
politischen Veröffentlichungen der Krone und der Militärbehörden sind vor 
ihrer Beröffentlichung dem Reichskanzler mitzuteilen. 
Die Aufhebung des Artikels 91 widersprach dem bundesstaatlichen 
Charakter, aber bei den föderativen Bindungen des Zentrums konnte man 
da vielleicht noch bremsen. Bedeutsam war, daß die Sozialdemokraten 
nicht eine parlamentarische Regierung nach französischem Muster forderten, 
sie wollten nicht nur Reichstagsabgeordnete in die Regierung bringen. 
Mit keinem Wort wird ein Anspruch darauf erhoben, daß die einzelnen 
Koalitionsparteien entsprechend ihrem Stärkeverhältnis an der Regierung 
beteiligt sein wollen. Keine Rede von einer Initiative des Reichstags bei 
der Auswahl der Dersonen. 
Am 24. September trat der Hauptausschuß zusammen. Die Parteien 
und die Dresse der Mehrheit zeigten keine Spur von Danikstimmung: 
Jeder, der sprach, war erfüllt von unserer heiligen Not und ungeduldig, 
zu helfen, soweit es in seiner Kraft stand. Die sachliche Kritik war frei 
von Gehässigkeit. 
Theodor Wolff gab im „Berliner Tageblatt“ eine gute Parole aus: 
In Tagen wie denjenigen, die wir erleben, muß und wird das 
Volk zeigen, daß es nicht in schwächlicher Nervosität und Zerfah- 
renheit, sondern mit ruhiger, kraftvoller #berlegung auf seinem 
schweren Wege weitergeht. 
Graf Hertling überraschte am 26. September durch eine Rede, in der 
er die Beschwerden über die Handhabung des Belagerungszustands aus 
den sozialdemokratischen Forderungen herausgriff und die Klagen der 
Parteien zu einem erheblichen Umfang anerkannte. Er versprach Ab- 
bilfe — entweder 
1 Artikel 9: Jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, im Reichstag zu 
erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten 
seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Moajorität des 
Bundesrates nicht adoptiert worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des 
Bundesrates und des Reichstags sein. 
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