bringen würde. Auch Haeften war aufgefallen, daß der Feldmarschall die
Lage ruhiger ansah als der General Ludendorff. Ich bat ihn, sofort mit
Spa zu telephonieren.
Als Haeften sich auf der Treppe des Reichskanzlerpalais von mir ge-
trennt hatte, traf er den Grafen Hertling. Sie wechselten einige Worte:
„Was denken Sie von der Lage?“
Haeften erwiderte: „Ich halte sie für katastrophal.“
„Das Friedensangebot an Wilson finde ich eine glänzende Idee von
Herrn v. Hinte.“
„Aber Exzellenz, was geschieht nun, wenn Wilson die Abdankung des
Kaisers fordert?“
„Das hat mich der Kaiser am vorigen Sonntag auch gefragt, und ich
erwiderte ihm: Majestät, ich glaube nicht, daß er das tut, aber wenn die
Forderung kommt, dann werden wir den Kampf eben wieder aufnehmen“.“
Darauf stellte Haeften die Frage, ob dann noch ein Soldat den Finger
krumm machen würde.
Hertling wehrte ab: „Ich glaube, Sie sehen die Dinge viel zu schwarz.“
Gegen 6 Uhr begann der Kronrat. Der Kaiser war anscheinend guter
Stimmung, als er den Sitzungssaal betrat. Mit der Frage: „Was für eine
Nervosität muß ich hier in Berlin finden?“" begrüßte er die Anwesenden.
Als mir das Wort erteilt wurde, wußte ich, daß die Entscheidung für
das Angebot fallen mußte, wenn es mir nicht sofort gelang, den Kaiser
auf meine Seite zu ziehen. Ich begann daher mit der Erklärung: „Ich bin
ein Gegner des Angebots.“ Seine Moajestät unterbrach mich: „Die Oberste
Heeresleitung hält es für nötig, und du bist nicht hierher gekommen, um
der Obersten Heeresleitung Schwierigkeiten zu machen.“ Die ganze Be-
sprechung trug nur formalen Charakter.
Haeften hatte inzwischen den General Ludendorff telephonisch erreicht
und ihn dringend gebeten, er möchte mir wenigstens Zeit lassen bis nach
der ersten Reichstagssitzung. Die Aberstürzung würde in der Heimat die
Katastrophe herbeiführen. Der Feldmarschall schiene gar nicht so schwarz
zu sehen.
Ludendorff erwiderte: „Der Feldmarschall mag recht haben, beute liegt
keine unmittelbare Gefahr vor; aber wer würde dafür stehen können, daß
1 Oberst v. Haeften war in den Tagen vom 1. bis 5. Oktober fast ununterbrochen
in meiner Umgebung. Nach meiner Ernennung wurde er der Vertreter der Obersten
Heeresleitung beim Reichskanzler neben Oberst v. Winterfeldt. Ich berichte zuweilen
über Vorgänge, die sich in meiner Abwesenheit abspielten, deren Zeuge aber Haeften
war. Dabei stütze ich mich auf mündliche Mitteilungen, die mir Haeften in der Zeit
vom 1. Oktober bis 9. November gemacht hat.
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