„Die politische Kritik schwächt nicht die Kraft der nationalen Verteidi-
gung, wenn es eine hilfreiche Kritik ist; und eine andere erwarte ich in
dieser ernsten Stunde von keiner deutschen Partei.
„Die Durchführung des allgemeinen, geheimen, gleichen und direkten
Wahlrechts in Preußen steht unmittelbar bevor. Sie wird hoffentlich in
den anderen Bundesstaaten, in denen es noch fehlt, eine gleiche Entwick-
lung einleiten.
„Da die Mitglieder des Reichstags, die nach dem Willen des kaiserlichen
Erlasses vom 30. September!t in der Regierung mitwirken werden, gerade
zur Stärkung der Regierung auf ihr Mandat und diese Verbindung mit
ihrer Wählerschaft nicht verzichten sollen, habe ich unter Zustimmung der
verbündeten Regierungen einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Ar-
tikel 9 zweckentsprechend einschränkt und den Artikel 21 aufhebt. Ich bitte
Sie um rasche Verabschiedung des Gesetzes.
„Eine Aufhebung des Belagerungszustandes während des HKrieges ist
nicht ohne weiteres gangbar. Die verletzenden Zustände, zu denen er ge-
führt hat, können aber dadurch abgestellt werden, daß der Kaiser kraft
der ihm zustehenden Kommandogewalt die stellvertretenden Kommandie-
renden Generale dem Kriegsminister unterstellt, der seine Weisungen vom
Reichskanzler empfängt. Diese Anderung werde ich sofort einführen, um
die berechtigten Klagen über die Zensur zu beheben. Die Anderung des
Gesetzes über den Belagerungszustand ist insoweit unaufschiebbar, als es
zum Schutz der persönlichen Freiheit, des Versammlungsrechtes und der
Pressefreiheit notwendig erscheint.
„Mit dem 30. September, dem Tage des kaiserlichen Erlasses, beginnt
eine neue Epoche in Deutschlands Geschichte. Heute aber handelt es sich
vor allem um die Frage: Was leistet die Regierung im gegenwärtigen
Augenblick? Die Stoßkraft, die diese Regierung für den Frieden hat,
hängt davon ab, daß ein fester Volkswille dahinter steht. Nur wenn
die Feinde fühlen, das deutsche Volk steht geschlossen binter seinen
verantwortlichen Staatsmännern, nur dann können Worte zu Taten
werden.
„Wir dürfen uns keinen Illusionen bingeben. Unsere Lage ist ernst.
Ich rechne mit der Möglichkeit, daß der von mir unternommene Schritt
den Weg zu einem ehrenvollen Frieden freimacht, aber die Möglichkeit
liegt ebenso vor, daß das deutsche Volk noch einmal aufgerufen werden
muß, alle Kräfte der Hingabe und der Freiwilligkeit einzusetzen, um den
Kampf auf Leben und Tod zu führen, wenn die anderen es wollen.
1 S. o. S. 329.
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