Die Reichstagssitzung wurde auf 5 Ahr nachmittags verschoben.
Oeutelmoser, Haeften und Lewald fertigten noch in der Nacht und am
Vormittag des 5. Oktober neue Entwürfe unter Benutzung des alten
Manuskriptes an. Ich versuchte dann eine einheitlich klingende Rede
zusammenzustellen. Jedes Wort wurde vermieden, das Wilson reizen
und ihm einen Vorwand geben konnte, abzulehnen. Aber die Außenpolitik
stand wenig mehr in der Rede als die Ankündigung des Friedensschrittes.
Es gelang noch, die Linie festzuhalten: Bereitschaft zu einem Frieden des
Rechts; wenn die Feinde ihn uns versagen, Entschlossenheit zum Kampf.—
Der innerpolitische Teil war von AUnterstaatssekretär Lewald neu bearbeitet
worden und wurde von mir wörtlich übernommen.
Die Wirkung der Rede im NReichstag war stark und dämmte die Panik
zurück, die in den letzten Tagen reißende Fortschritte gemacht hatte. Der
Präsident des Reichstages kam zu mir in das Reichskanzlerzimmer und
beglückwünschte mich, „denn“, so sagte er, „ich hatte einen hysterischen
Ausbruch bei den Abgeordneten befürchtet“. Auch in der Offentlichkeit
verhinderte unsere Regierungsbildung, daß der Schreck über das An-
gebot katastrophenartige Formen annahm. Ein beschämendes Vertrauen
kam mir von allen Seiten entgegen; aber ich fühlte die ungesunde Grund-
lage: niemand konnte sich vorstellen, daß wir mit unserem Angebot ins
Leere stießen, die Menschen glaubten an eine planmäßig handelnde Staats-
kunst, die sich vorher der Resonanz vergewissert hätte.
Die Note der Entschlossenheit fand wohltuenden Widerhall. Die
Sozialdemokraten strafften sich im Bewußtsein ihrer Verantwortung.
Der „Vorwärts“, ermahnte die Arbeiter, den Krieg nicht zu früh abzu-
brechen, und wies sie warnend auf das russische Beispiel hin. Den Russen
hätte es an moralischer Kraft gefehlt, Zucht und Ordnung bis zum letzten
zu halten; die Auflösung der deutschen Disziplin würde nur einem geg-
nerischen Imperialismus zu Hilfe kommen.
Leider stimmte auch der „Vorwärts“ die Erwartungen hoch:
1 Ein Auszug aus der Rede ist in den Amtlichen Urkunden (Nr. 34a) gedruckt.
: Aus dem Tagebuch des Prinzen Vsenburg: „6. Oktober, Sonnt. — Bademax
hat Friedensangebot an Wilson gemacht. Entweder haben Erzberger und Scheide-
mann schon hinter den Kulissen Verhandlungen gehabt, die sie eines glücklichen
Verlaufs versicherten, oder sie sind wirklich so patriotisch, daß sie es übernehmen,
die Volksstimmung bei einer Ablehnung fest und stark zu machen. Ich glaube eher
das erstere.“
2 Vom 6. Oktober 1918. Die meisten patriotischen Artikel stammten aus der
Feder des Chefredakteurs Stampfer, der auch während der Versailler Friedens-
verhandlungen ein Vorkämpfer für unser Recht wurde.
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