Ich erwiderte, das entspräche ganz meiner Auffassung, ich müsse aber
daran erinnern, daß diese Prärogative durch die Oberste Heeresleitung
verletzt worden sei, als General Ludendorff dem Kaiser im Januar dieses
Jahres das Altimatum gestellt hatte, er würde sein Amt niederlegen, wenn
Seine Majestät Herrn v. Valentini nicht entließe. Dieser übergriff in die
Rechte der Krone hätte dem Ansehen der Monarchie geschadet: der General
drohte mit seinem Abschied in einem Augenblicke, da er wußte, daß der
Kaiser nicht in der Lage war, ihn zu entlassen. Es böte sich jetzt die Gelegen-
beit, diesen Akt der Vergewaltigung wieder gutzumachen. Ich schlüge
Seiner Mojestät vor, daß er Herrn v. Valentini wieder zurückriefe. Mir
sei bewußt, daß der Kaiser in Herrn v. Berg seinen persönlichen Freund
sähe, den er nur sehr ungern aus seiner nächsten Nähe verlieren würde. Als
Herrn v. Valentini sein Abschied bewilligt wurde, habe der Kaiser auch ihn
als seinen Freund bezeichnet, und so dürfte ich hoffen, daß die Zurückbe-
rufung des früheren Kabinettchefs auch in rein persönlicher Beziehung einen
Ersagz zu bieten vermöchte. Seine Moajestät schien über diese Lösung erfreut,
er fragte mich aber, ob der Feldmarschall und General Ludendorff keinerlei
Schwierigkeiten machen würden. Ich konnte beruhigende Auskunft geben,
da ich die notwendigen Erkundigungen schon eingezogen hatte.
Von meinem Gespräch mit dem Kaiser nahm ich den zuversichtlichen
Eindruck mit, daß er lopal mit der parlamentarischen Regierung zusammen-
arbeiten wollte. General Ludendorff hatte den gleichen Vorsatz. Das ver-
sicherte mir Haeften in diesen Tagen immer aufs neue. Ich hatte keine
Sorge vor politischen Einmischungen des Generals. Aber der unheim-
liche Zweifel verließ mich nicht: Hat Ludendorff noch die nötige seelische
Spannkraft, um in diesem Augenblicke das Schicksal der deutschen Armee
zu lenken? Zum mindesten sollte bei den Entscheidungen der kommenden
Wochen sein militärisches Gutachten nicht mehr allein maßgebend sein.
Ebensowenig wollte ich bei der Beurteilung der auswärtigen Lage nur
auf das Auswärtige Amt angewiesen sein. Ich hatte ein starkes Gefühl
der Insicherheit gegenüber den Informationsquellen, die mir bei meinem
Amtsantritt zur Verfügung gestanden hatten.
1 Dieses Gefühl findet lebhaften Ausdruck in einem Aufschrieb aus den ersten
DTagen meiner Kanztlerschaft:
„... Es hat sich herausgestellt, daß in den Beratungen von Dienstag-Donnerstag
[1. —SOktober] der Reichskanzler nicht in der Lage war, seine Entscheidung auf
Grund von authentischen Informationen zu treffen:
a) über die Moral der deutschen Truppen,
b) über die Möglichkeit, noch einmal durch eine große nationale Erhebung die alte
Kampfkraft herzustellen,
370