Lord Robert Cecil sagte am 2. Oktober in einem Interview:
„Wahrscheinlich würde eine einzige Erklärung aus dem Munde eines
leitenden deutschen Staatsmannes genügen, die Welt dem erstrebten Ziele näher-
zubringen. Dieser müßte die bündige Versicherung abgeben, daß Belgien ge-
räumt und in seiner unbeschränkten UAnabhängigkeit wieder her-
gestellt, sowie auch die übrigen Fragen ohne Annexionen und ohne Ent-
schädigungen mit schuldiger Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht der
Völker bei Friedensschluß geregelt werden, endlich, daß gegen eine Wiederkehr
des Krieges durch Abrüstung, Schiedsgerichte und Begründung eines Bölker-
bundes Schutzwehren geschaffen werden müssen. Trotz des bemerkenswerten Um-
schwunges in den Anschauungen, der sich in Deutschland vollzieht, hat indessen
noch kein deutscher Staatsmann sich zu dem neuen Weltideal bekannt.“
Ich will nicht darüber urteilen, ob dieser verschlagene Idealist guten oder
bösen Willens war, als er solch ein klares Bekenntnis zum Verständigungs-
frieden ablegte. Entscheidend ist: so konnte nur ein Staatsmann sprechen,
der noch an die ungebrochene Kraft des Gegners glaubt und sich nicht des
eigenen Sieges sicher fühlt.
Die Persönlichkeiten in der neuen Regierung interessieren die englische
Offentlichkeit nicht minder als die erwartete Kursänderung. Die liberale
englische Hresse zitiert aus Solfs und meinen Aeden.
Massingham schreibt in der „Nation“ kurz vor meiner Ernennung:
„Ich sehe eine solche rettende Persönlichkeit, das ist Drinz Max. Bei ihm be-
steht mindestens die Verheißung hohen sittlichen Wertes . Wenn dieser Mann
als Kanzler des Deutschen Reiches sprechen wird, ist in der Tat ein neues Faktum
geschaffen.“
Nach unserem Angebot war die Sache des Verständigungsfriedens
verloren. Vor dem Ausland gelang es nicht, unsere Notlage auch nur
24 Stunden zu verschleiern. Die Bitte um Waffenstillstand wirkte wie ein
Wunder; kein Mensch hatte dieses umstürzende Ereignis erwartet. Die
kleinen Gruppen um Morel trugen ihre Fahne hoch, aber sie kämpften
nicht mehr, sondern demonstrierten nur noch; die Opportunisten beeilten
sich, ihre Bekehrung der Welt zu verkünden; Lansdowne sprach sich
gegen die Gewährung eines Waffenstillstandes aus, der dem Feinde Ge-
legenheit geben würde, seine Kräfte zu konsolidieren.
Kein Mensch achtete mehr auf die Worte und Taten der deutschen Re-
gierung anders als auf Symptome der militärischen Lage.
Die Schadenfreude der Kriegshetzer nahm hysterische Formen an: „Jetz
haben wir sie“, so sagte auch Northcliffe und die gelbe amerikanische Presse:
1 Unterredung mit dem Londoner Korrespondenten der „Neuen Zürcher Zeitung“.
Sperrungen von mir.
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