Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

am 15. Oktober 1722 Personen. Die Krankheit wütete furchtbar unter 
den Menschen, die keine Widerstandskraft mehr hatten. 
Die Oberpräsidenten schrieben sehr ernste Berichte über die Stimmung 
in den Industriezentren der Provinzen. Immer wieder die Klage, daß der 
Geist der Freiwilligkeit dahinschwinde. 
Es fehlte nicht an Gegenbewegungen. Sie waren nicht gemacht, sondern 
brachen aus elementarem Nationalgefühl hervor, am stärksten in der be— 
drohten Ostmark. Von überallher trafen Telegramme und Briefe in der 
MReichskanzlei ein, die mich beschworen, die Waffenstillstandsaktion abzu- 
brechen, die Glocken läuten zu lassen und die Nation zum Entscheidungs- 
kampf aufzurufen; aber immer standen die Namen gebildeter Männer 
darunter: Schuldirektoren, Beamte, Akademiker aller Art. 
Die konservative Fraktion trat aus ihrer Zurückhaltung heraus und er- 
klärte in der „Kreuzzeitung“ die Waffenstillstandsaktion für gescheitert; 
sie erließ auf eigene Faust einen Aufruf! zur nationalen Verteidigung. 
Darin hieß es: 
„Die Bedingungen, die der Dräsident stellt, lassen in Verbindung mit seinem 
ganzen Verhalten nur folgende Auslegung zu: er will die Forderungen bis 
zur vollen Kapitulation, bis zur Auslieferung unserer U. Boote und unserer 
Rüstung zu Lande und bis zur Vernichtung der deutschen Kaisermacht weiter 
emporschrauben, um uns dann den Frieden der vollen Anterwerfung mit Ab- 
tretung von Elsaß-Lothringen und von Teilen der Ostmark und A#bernahme 
vernichtender Kriegsentschädigungen aufzuerlegen. 
Unser Volk muß wissen, worum es sich handelt. Betreten die feindlichen Truppen 
mit den schwarzen Horden unser Vaterland, so werden die heimatlichen Fluren 
der Verwüstung und die Bevölkerung dem Elend überliefert. Müssen wir den 
Frieden wehrlos und mit gebundenen Händen abschließen, so steht uns, unseren 
Kindern und Kindeskindern eine Knechtschaft bevor, die weit über das Maß dessen 
hinausgeht, das Dreußen nach 1806 von dem korsischen Eroberer zu erdulden 
hatte. Auf Menschenalter hinaus wird jeder deutsche Bürger und Bauer, wird 
jeder Besitzer und Unternehmer, wird vor allen Dingen aber jeder Angestellte 
und Arbeiter in Stadt und Land zum Lohnstklaven unserer Feinde werden. Frei- 
beit wird es in deutschen Landen nicht mehr geben.“ 
Graf Westarp unterstützte diese Kundgebung durch einen an mich ge- 
richteten Brief (16. Oktober);? er drängte darauf, die neuen Wilson-For- 
derungen abzulehnen und schlug vor, unter anderem zu antworten: 
„Mag man in Deutschland selbst über die Verfassung des Deutschen Reiches 
noch so verschieden denken, die Forderung, daß die deutsche Kaisermacht ver- 
nichtet oder doch zu tatsächlicher Ohnmacht verurteilt werden mühsse, ist eine 
1 Gedr. Westarp, a. a. O., S. 101. 
: Gedr. ebenda, S. 100. 
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